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100 Jahre Reoublik

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„Verfolgt man die 100 Jahre der Republik österreich, dann sieht man eini lange Entwicklung der Aufstiege und Tiefschläge — und der Chancen und Versdumnisse, die den österreichern vom Schicksal vorgegeben wurden. Zu- erst erlebte die Republik die Kuriositäten des Nationalismus, die zum ersten Weltkrieg fiihrten und das großartige Integrations- gebilde der Habsburgermonarchie zerstörten. Dann folgte die Periode verrückter Klassenkämpfe, die zu den Schrecken eines Bürger- krieges fiihrten. Und dann mein- ten viele- österreicher, sie seien eigentličh Deutsche (wie lustig, wenn man die uralten Filme sieht, wie sie Hitler zujubelten). So sollten sie sich nicht wundern, daß sie nach dem verlorenen zweiten Weltkrieg besetzt wurden.

Zwei Parteien verwalteten nach dem zweiten Krieg österreich. Liest man alte Parlamentsproto- kolle, bemerkt man deutlich, daß Österreich damals verwaltet und nur mangelhaft regiert wurde. Immerhin gelang es dieser Ko- alition, Kraftwerke zu bauen (etwa Kaprun, zu dem heute so viele Ausflilgler fahren, um diese Kuriositdt der filnfziger Jahre zu bestaunen und das Museum der Wasserkraft-E-Werke zu besich- tigen). Damals bauten die Oster- reicher die Autobahn, deren er- ster Belag natürlich längst abge- fahren ist — nur leider zu schmal, weil man alien Ernstes glaubte, zwei Bahnen würden für unseren Verkehr ausreichen! In den sech- ziger Jahren bauten die Wiener dann auch den Donauturm, auf den sie sehr stolz gewesen sein sollen — statt etwa Tiefgaragen in der Innenstadt!

Dann freilich begann der syste- matische Abstieg der Republik. Liest man Zeitungen aus dem Jahre 1968, also zum 50. Geburts- tag der Republik, dann staunt man Uber die Gleichgültigkeit der Zukunft gegeniiber. Sie alle schrieben damals nur von ihrer Vergangenheit, statt sich aučh mit ihrer Zukunft zu befassen. Und die guten Lehren, die man aus der Vergangenheit hätte ziehen sollen, wurden nur mangelhaft angewandt.

So gaben die österreicher damals und in den siebziger Jahren viel Geld filr Agrarsubventionen aus, obwohl 1965 sowieso der letzte Bauer den Betrieb einstel- len sollte; sie finanzierten ihre Pensionen über das Budget und hatten dann kein Geld für wich- tigere Dinge. Für Forschung und Wissenschaft hatten die öster- reicher nur Brosamen iibrig. Sie forschten nicht im Bereich der Elektronentechnik, investierten nicht genug in ihre Industrien (nicht einmal uber ein Stahlkon- zept konnten sie sich. einigen). Ihre Gemeindebauten — etwa in Wien — sind die Slums von heute, in denen wir nicht mehr wohnen wollen. Dafür stritten sie sich damals, ob sie ein neuntes Schul- jahr einführen sollen — und auf eine den Gegebenheiten ihrer Zeit entsprechende Lehrplanreform konnten sie sich natürlich gleichfalls nicht einigen. Die Parteien wurden immer mehr Inter- ess enverbände; das Budget diente dazu, die Interessengrup- pen zu finanzieren. Nur die Mit- telmäßigen kamen in den Partei- apparaten zur Spitze.

Die österreicher begannen, immer mehr Produkte aus dem Ausland einzuführen. Sie mußten teure Devisen fiir Patente zahlen, weil sie zuwenig forschten. Bald blieben auch die vielen Ferien- gäste aus, denen man in öster- reich keine — den intemationa- len Standard entsprechende — Einrichtung bieten konnte. Sie flogen Heber mit den Super-Jets nach Afrika und nach Latein- amerika. In Österreich blieben die Versuche einer Raumplanung stecken; so wurde der Osten österreichs immer ärmer, der Westen (relativ) reicher. Und die Österreicher untemahmen kaum Maßnahmen, militärisch so gerii- stet zu sein, um einen Gegner zumindest kurze Zeit aufzuhal- ten. Im Gegenteil: sie diffamier- ten noch ihre kleine Wehrmacht, um die Kosten der Rüstung Heber in den immer mehr Mittel verschlingenden staatlichen Ver- waltungsapparat zu stecken, Uber dessen Reform sich keine Regierung einigen konnte.

Als österreich waffenlos und hilflos war und die österreicher bereits zu Hilfsarbeitern Europas geworden waren, beschlossen die USA und die Sowjetunion, dem Land zu helfen und es zu beset- zen. In Wien blieb weiter eine Regierung, die die Freunde aus Washington und Moskau ins Land gerufen hatte — und ,,Be- rater” halfen der Regierung bei der Bewältigung der Aufgaben.

Aber nicht nur Osterreich war von diesem Schicksal betroffen. Ganz Eurbpti konnte slth” üb’ér seine Einigung nicht klar werden tend diskutierte die europdischen Probleme zwar laufend, aber er- gebnislos. Die Europäer lieferten den Sowjets und den Amerika- nern, was diese brauchten, wäh- rend sich die beiden Weltmächte auf ihr Militär und die For- schungstätigkeit konzentrierten. Sie dachten — die Europäer arbei- teten.

Dennoch feiert Osterreich heute — 2018 — sein hundertjähriges Jubiläum als Republik. Zwar mei- nen manche, daß sie nichts zu feiern hatten — aber ihr Bundes- präsident hat gesagt — daß man ja immer gefeiert hätte. Warum also nicht auch diesmal?”

2018 ist jenes Jahr, in dem die Kinder, die 1968 geboren werden, erst 50 Jahre alt sind.Riickblicke sollten Ausblicke sein. Die österreicher des Jahres 2018 konnten uns vielleicht Vor- würfe machen, dafl wir ihre Ge- genwart verspielt hatten.

Und auch das ist Thema eines Jubiläums.

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