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Bittere Pillen

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Mit der Unterzeichnung des Staatsvertrages zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR steht der Umsetzung der darin enthaltenen Bestimmun- gen nichts mehr im Wege. Erste spektakuläre Etappe wird die Aus- dehnung des Geltungsbereichs der DM auf das DDR-Gebiet sein.

Die Regelungen zur Errichtung der Währungsunion sind im Arti- kel zehn des Vertrages niederge- legt. Dort ist festgehalten, daß ab 1. Juli die Deutsche Mark alleiniges gesetzliches Zahlungsmittel, Rech-

nungseinheit und Wertaufbewah- rungsmittel im gesamten Wäh- rungsgebiet ist. Die geldpolitische Verantwortung und das Emissions- recht für diese Währung liegt ab diesem Zeitpunkt ausschließlich bei der Deutschen Bundesbank. Auf dem Gebiet der DDR ist ein markt- wirtschaftlich orientiertes Kredit- system zu errichten.

Die Umrechnung von Ostmark auf D-Mark wird nun - „Nachbes- serungen" vorbehalten - folgen- dermaßen geregelt:

• Löhne, Gehälter, Stipendien, Renten, Mieten und Pachten und andere regelmäßige Zahlungen werden 1:1 umgestellt.

• Alle anderen auf Ostmark lau- tenden Forderungen und Verbind- lichkeiten werden grundsätzlich 2:1 umgestellt. (Das umfaßt im Prinzip zunächst auch die Sparguthaben.)

• Auf Antrag können Guthaben von Personen mit Wohnsitz in der DDR bei Geldinstituten bis zu be- stimmten Betragsgrenzen, die nach dem Alter der Betroffenen variie- ren, 1:1 umgerechnet werden.

• Nach einer Bestandsaufnahme des Volksvermögens wird die Mög- lichkeit vorgesehen, den Sparern zu einem späteren Zeitpunkt für den bei der Umstellung 2:1 redu- zierten Betrag ein verbrieftes An- teilsrecht an diesem Volksvermö- gen einzuräumen.

Letztlich sind aber alle derart umgerechneten Beträge nur als „Startwerte" für den 1. Juli zu betrachten. Danach beginnen die marktwirtschaftlichen Prozesse mit aller Macht zu wirken. Eindring- lich wird sich die Frage stellen, was diese Summen kaufkraftmäßig hergeben werden. Ob überhaupt oder wie lange die DDR-Betriebe diese Löhne bezahlen können.

Ein kräftiger Kaufkraftverlust gegenüber den derzeitigen Bedin- gungen wird sich für die DDR- Bürger durch die Angleichung der Preise für Grundnahrungsmittel an das westdeutsche Niveau und den Wegfall bisheriger Subventionen und Preiskontrollen in der DDR ergeben. Umgekehrt wird es zu Preissenkungen bei verschiedenen dauerhaften Konsumgütern kom- men, die bisher bis zu mehr als doppelt so teuer waren wie beim Nachbarn. Insgesamt wird das Preisniveau in der DDR nach dem 1. Juli um 30 bis 40 Prozent steigen. Das heißt, die Preise dürften noch einige Zeit niedriger als in der Bundesrepublik bleiben. Aber nach dem 1. Juli kommen tiefgreifende Änderungen in der Preisstruktur. Die Kaufkraft einer DM wird auf ehemaligem DDR-Gebiet höher sein, aber bei weitem nicht in einem solchen Ausmaß, daß die Lohndif- ferenzen ausgeglichen werden können. Schließlich belief sich der durchschnittliche Bruttolohn 1988 in der Bundesrepublik auf 3.078 DM, in der DDR auf 1.038 Ostmark, die jetzt in DM umgewandelt wer- den sollen.

Die krassen Unterschiede im Lebensstandard bleiben damit vorerst erhalten. Angesichts dessen haben nun die DDR-Gewerkschaf- ten neue Tarifverträge in einzelnen Branchen auszuhandeln begonnen. Für Bank- und Versicherungsan- gestellte wurden bereits 50prozen- tige Lohnerhöhungen erreicht. Aus anderen Branchen hört man von Forderungen nach Lohnerhöhun- gen um bis zu 10 0 Prozent. Das mag

im Sinne eines Abbaus der eklatan- ten Einkommensunterschiede und Vermeidung neuerlicher Wande- rungen angemessen erscheinen. Aber werden die Betriebe diese Löhne noch erwirtschaften können?

Zu einem erheblichen Teil wahr- scheinlich nicht. Insbesondere die exportierenden Betriebe kommen noch von einer anderen Seite unter Druck: Ihre Produkte, die bisher zum Ostmark-Kurs auf den Welt- märkten noch einigermaßen kon- kurrenzfähig waren, werden das nach Aufwertung auf den DM-Kurs (nichts anderes stellt die 1 ^-Um- rechnung dar) wohl kaum noch sein. Aber auch die für den Inlandsbe- darf produzierenden Kombinate sehen sich einer Überschwemmung mit westlichen Konkurrenzproduk- ten gegenüber, der sie kaum stand- halten können.

Da hilft es auch nicht viel, daß die Betriebe durch die 2:1-Zusammen- legung ihrer Verbindlichkeiten bei den Kapitalkosten stark entlastet werden. Allgemein wird geschätzt, daß ein-Drittel der Kombinate die Währungsunion, die außerdem von einem Abbau von Zollschranken begleitet sein wird, nicht überleben kann. Die ostdeutsche Produktion wird stark fallen, was sich bereits

jetzt ankündigt: In den ersten vier Monaten dieses Jahres war der Ausstoß um 4,5 Prozent geringer als im vergleichbaren Zeitraum des Vorjahres.

Das muß entsprechende Folgen für die Beschäftigung haben: Von März auf April ist die Zahl der Arbeitslosen in der DDR bereits von 38.000 auf 65.000 gestiegen. Die westdeutschen Gewerkschaf- ten verfügen, so war zu lesen, über Informationen, nach denen bis Ende Juni 600.000 Kündigungen in der

DDR ausgesprochen werden sol- len. Für die Zeit danach wird mit einem Anstieg der Arbeitslosigkeit auf mindestens eine Million gerech- net. Das wäre eine Arbeitslosen- quote von 13 Prozent.

Will man das vermeiden, müßten an die fraglichen Betriebe Subven- tionen bezahlt werden, um sie am Leben zu erhalten. Das könnte nur aus dem Budget der Bundesrepu- blik erfolgen. Die Zustimmung der EG-Partner zu einer solchen nicht EG-konformen Maßnahme müßte wohl durch Zugeständnisse auf anderen Gebieten erkauft werden. Das Budgetdefizit der Bundesre- publik könnte durch solche Bela- stungen - wenn es nicht zu Steuer-; erhöhungen kommt - auf bis zu sechs Prozent des Bruttoinlands- produkts ansteigen - im interna- tionalen Vergleich ein ziemlich hoher Wert. Der erhöhte Kapital- bedarf wird zu steigenden Zinsen führen, was auf den Finanzmärk- ten bereits jetzt antizipiert wird. Für 1991 wird mit Kapitalmarkt- zinsen in der Bundesrepublik von zehn Prozent gerechnet.

Alles in allem bewirken die jetzt angenommenen Regelungen ein um etwa 45 Milliarden DM höheres Nachfragepotential seitens der

DDR-Bürger, als es die Pläne der Bundesbank vorgesehen hätten - das sind etwa zwei Prozent des westdeutschen BIP und damit kein weltbewegender Betrag.

Inflationäre Gefahren drohen daher eher von der Angebots- als von der Nachfrageseite. Die Schlie- ßung vieler DDR-Betriebe wird das verfügbare Gütervolumen reduzie- ren, die Produkte werden auf den Märkten fehlen und so das Angebot verknappen. Auch die potenten westdeutschen Unternehmen wer- den das nicht ohne weiteres kurz- fristig ausgleichen können. Entla- stung könnte durch vermehrte Importe erfolgen - angesichts der hohen Handelsbilanzüberschüsse der Bundesrepublik ein durchaus erwünschter Effekt.

Dennoch ist mit einem Anstieg der Inflationsrate in Deutschland auf vier bis fünf Prozent zu rechnen (April 1990:2,3 Prozent). Auch das ist keine Katastrophe und die hi- storische Bedeutung der Ereignisse kann dadurch nicht geschmälert werden. Ärgerlich ist lediglich der Versuch, diese möglichen Kosten herabzuspielen. Eine Strategie, der man sich hierzulande hinsichtlich möglicher Auswirkungenauf Öster- reich nur allzu gerne anschließt.

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