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Kann Österreich mithalten?

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Wenn am Abend des 3. Oktober in der Bundesrepublik Deutschland eine neue Regierung gewählt oder die alte im Amt bestätigt worden ist, dann wird die Frage der DM-Aufwertung wohl als Punkt 1 auf ihrer Tagesordnung stehen. Die meisten Experten meinen, daß das Wahlergebnis vom 3. Oktober höchstens den Prozentsatz der Aufwertung beeinflussen wird, nicht mehr aber die prinzipielle Frage, ob aufgewertet werden soll oder nicht. Im Falle eines CDU-Wahlsieges rechnet man allgemein mit einem geringeren Aufwertungssatz.

Offener als noch vor wenigen Wochen ist heute die Frage, wie Österreich auf die DM-Aufwertung reagieren wird. Konnte man noch Anfang August aus Regierungskreisen hören, daß sich Österreich mindestens mit 60 Prozent, wahrscheinlich aber mit bis zu 100 Prozent einer DM-Aufwertung anschließen werde, so scheinen nun vermehrt Zweifel an der Zweckmäßigkeit und dem Nutzen einer starren Bindung an die DM aufzutreten.

Seit das Direktorium der österreichischen Nationalbank am 13. Juli den Beschluß faßte, die bisherige enge Anlehnung an den Europäischen Währungsverbund zu lockern und die Bandbreite von 4,5 Prozent aufzugeben, innerhalb welcher der Schilling den Bewegungen der Schlangenwährungen seit Mai 1974 gefolgt ist (was de facto eine leichte Aufwertung des Schilling gegenüber der DM zur Folge haben sollte), ist noch nicht viel Wasser die Donau hinab-, doch viel vom Devisenschatz der Nationalbank hinausgeflossen.

Innerhalb von zwei Monaten, vom 23. Juli bis zum 15. September 1976, verlor die Nationalbank laut den zwei Wochenausweisen gleichen Datums Devisen im Wert von 10 Milliarden Schilling, und das in der Hauptsaison des Fremdenverkehrs.

Trotzdem wurde der offiziell als obere Aufwertungsgrenze angegebene Devisenmittelkurs von 705 S für 100 DM, der einer Aufwertung von 1,5 Prozent gegenüber dem durchschnittlichen Devisenmittelkurs der DM im Juni 1976 entsprochen hätte, nie erreicht. Ende Juli 1975 betrug der Devisenmittelkurs der DM 705,10 S für 100 DM, ohne große Ankündigung der Notenbank. Im Juli-Durchschnitt 1976 betrug die Aufwertung des Schilling 0,52 Prozent, im August-Durchschnitt 0,76 Prozent, jeweils auf den durchschnittlichen DM-Devisenmittelkurs vom Juni 1976 bezogen.

Der Verlust von Devisen und damit die Kosten waren beträchtlich, der erhoffte preisdämpfende Erfolg war gering. Im August war der Preisindex wieder von 6,6 Prozent im Juli auf 7,4 Prozent gesprungen, die Wohnungskosten, die Gemüsepreise und die Tramwaytarife orientieren sich eben nicht am DM-Kurs!

Eine Ende Juli einsetzende Gerüchtewelle über eine neue DM-Aufwertung löste dann eine Flucht in die DM aus, womit ebenfalls ein beträchtlicher Teil der österreichischen Devisenverluste zu erklären ist. Da die Nationalbank, nun einmal auf die Aufwertung des Schilling eingeschworen, den DM-Kurs nicht nach den Grundsätzen einer marktgerechten Kursgestaltung für den Schilling nach oben pendeln ließ, konnte man die aufwertungsverdächtige Mark mit Schilling preisgünstig erwerben, österreichische Exporteure zogen es vor, ihre Verkaufserlöse nicht sofort in Schilling umzuwechseln, während die Importeure deutscher Waren ihre DM-Rechnungen vor 1 Fälligkeit sofort zu begleichen trachteten.

Doch außer spekulationsbedingten DM-Wolken zogen noch andere Wolken am österreichischen Aufwertungshimmel auf. Die Ergebnisse der Zahlungsbilanz verschlechtern sich von Monat zu Monat. Im Juli zeigte die Handelsbilanz ein doppelt so großes Defizit wie im Juli 1975. In den ersten sieben Monaten 1976 verzeichneten die Einfuhren einen Zuwachs von 21,7 Prozent auf 122,9 Milliarden Schilling, während die Ausfuhren nur um 12,8 Prozent auf 39,5 Milliarden anstiegen. Der Einfuhrüberschuß der ersten sieben Monate erreichte somit 29,4 Milliarden, was einer Zunahme um mehr als 60 Prozent gegenüber dem Vergleichszeitraum des Vorjahres entspricht.

Gleichzeitig reduzierte sich der Zustrom ausländischen Kapitals, die Grundbilanz drehte auf Grund dieser Entwicklung von einem Akti-vum in Höhe von 11,6 Milliarden auf ein Passivum von 10,5 Milliarden. Die Devisennettoeingänge aus dem Fremdenverkehr gingen im Juli zurück, verglichen mit dem Vorjahr um sieben Prozent, und die Erwartungen für August sind nicht sehr optimistisch.

Daher kommentierte die Neue Wirtschaftszeitung vom 8. September die Defizitentwicklung in der laufenden Rechnung der österreichischen Zahlungsbilanz: „Die Entwicklung steht im Widerspruch zu den Bemühungen der Notenbank, den Schilling gegen die Deutsche Mark zu stärken und den Paritätskurs dem Stand vom Sommer 1975 (705 S für 100 DM) angenähert zu halten.“

Heute ist es daher nicht mehr so sicher, daß der Schilling so leicht einen Aufwertungsflug der DM im ursprünglich geplanten Ausmaß wird nachvollziehen können. Ein 60pro-zentiges bis volles Mitziehen des Schillings bei einer DM-Aufwertung könnte durch eine weitere Verschlechterung der Handelsbilanz und einen stärkeren Rückschlag im Fremdenverkehr eine schmerzhafte Umkehr rascher erforderlich machen, als angenehm wäre.

Der Versuch mit der Manipulation des Wechselkurses (offiziell nennt mar. dies die „Entdeckung des Wechselkurses als instrumentelle Variable“) Stabilitätspolitik zu machen, kann sehr schnell die Währungsreserven eines kleinen Landes erschöpfen. Seit 1972 lag die Inflationsrate Österreichs über dem gewogenen Durchschnitt der Hartwäh-rungsländer. Der Unterschied hat sich seit 1974 laufend erhöht. Eine' Fortsetzung dieser Entwicklung könnte die österreichische Wechselkurspolitik gefährden.

Es ist ein Irrtum zu glauben, daß es auf die Dauer nur eine Flexibilität des Schillingwechselkurses nach oben gibt, wenn die anderen realen Grundlagen (wie Preisstabilität, mäßige Lohnerhöhungen, strukturelle Mobilität, keine standortbezogene Pragmatisierung von Arbeitsplätzen in der Industrie usw.), die in den Ländern des Stabilitätsblocks (Schweiz, BRD, USA) gegeben sind, fehlen.

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