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Wie hoch war der Preis?

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Das politische und wirtschaftliche Leben in Westdeutschland steht im Zeichen des Deutschlandvertrages, der weder in der deutschen Presse noch in jener der Alliierten und des neutralen Auslandes ungeteilte Zustimmung gefunden hat. Daß ein so bedeutendes Vertragswerk Verteidiger und Gegner auf den Plan gerufen hat, ist selbstverständlich, und die politischen Parteien sind sich noch nįcht im klaren, wie sich die einzelnen Bestimmungen des Abkommens auswirken werden. Tatsache ist, daß die Durchführung der Vereinbarungen die innerdeutsche Struktur erheblich zu verändern vermag.

Die deutschen Verteidigungsausgaben für das erste Vertragsjahr wurden mit 10,2 Milliarden DM festgesetzt. Es entfallen hiefür für den Unterhalt der alliierten Sicherheitstruppen auf deutschem Boden und für die Bildung von zwölf deutschen Divisionen nach unserer Währung auf einen Einwohner 1280 Schilling. Bisher belasteten die Be- satzungskosten, die mit ihrer Höhe von s 7658 Milliarden DM 40 Prozent der Bundeseinnahmen in Anspruch nahmen, den einzelnen in der westdeutschen Bundesrepublik mit 960 Schilling jährlich. Der finanzielle Rüstüngsanteil der anderen Partnerstaaten beträgt in den USA 7200, in England 1600 und in Frankreich 1500 Schilling pro Kopf.

Nach Ansicht des Deutschen Industrie- und Handelstages, in dem 80 Industrie- und Handelskammern vertreten sind, kann der jährliche Mehraufwand von 2542 Milliarden DM ohne Gefährdung der Währung nur dann aufgebracht werden, wenn das Sozialprodukt (die Gesamtsumme an produzierten Sachgütern und persönlichen Leistungen) gegenüber 1951 um mindestens 6 Prozent gesteigert wird. Dies ist aber nur bei stärkster Anspannung und rationellstem Einsatz der verfügbaren Arbeitskräfte, erreichbar. Die deutsche Opposition fürchtet nun, der Menschenbedarf für die zwölf aufzustellenden Divisionen werde so groß sein, daß durch den Entzug einer solchen Anzahl von Lohnempfängern die Produktivität nicht gesteigert, sondern vermindert werden würde. Diese Befürchtung ist allerdings nicht stichhaltig, da der Kader für die 200.000 Mann, die auf Grund einer allgemeinen Wehrpflicht aufgeboten werden sollen, vielfach durch die männlichen Arbeitslosen gespeist werden dürfte, deren Zahl sfdi auf rund eine Million beläuft.

Dagegen sind die deutschen Industriewerke bei der gegenwärtigen Veralterung ihres Maschinenparks nicht in der Lage, eine sechsprozentige Erhöhung ihrer Leistungen auf sich zu nehmen; es müßten hiezu vielmehr Investitionen in der Höhe von 7 Milliarden DM vorgenommen werden. Zur Aufbringung dieser Summe hätte vor allem eine grundlegende Revision der Steuerpolitik, durch die im vergangenen Jahr 14.726 Milliarden DM (80 Prozent der Bundeseinnahmen) aus der Wirtschaft gezogen wurden, Platz zu greifen. Eine Unterstützung durch das kapitalskräftigeAusland dürfte kaum in Betracht kommen, da dieses gegen eine finanzielle Beteiligung an dem Ausbau der deutschen Industrieunternehmungen ist, schon um die deutsche Ausfuhr nicht zu begünstigen.

Der Vertrag verpflichtet ferner die Bundesrepublik, die Rückzahlungen, die für das frühere Deutsche Reich aus den Restitutionsverfahren entstanden sind oder noch entstehen, bis zu einer Höhe von 1,5 Milliarden DM auf sich zu nehmen. Von einigeih Ausnahmen abgesehen, müssen auch alle Gegenstände, die im Zuge der deutschen Besetzung fremder Gebiete während der Kriegszeit durch Requisition oder erzwungene Besitzentziehung erworben wurden, an die früheren Besitzer zurückgestellt werden.

Die endgültige Regelung der Repara- rationsfrage wird dem zukünftigen Friedensvertrag Vorbehalten, die Alliierten haben sich nur bereit erklärt, Forderungen auf Reparationen nicht mehr aus der laufenden Produktion geltend zu machen. Westdeutschland hat bisher bereits 16,1 Milliarden DM an Reparationen aufgebracht, und zwar 7,5 Milliarden DM durch Abmontierung von Industrieanlagen, 8 Milliarden DM durch die Beschlagname des deutschen Auslandsvermögens und 0,6 Milliarden DM durch den Verlust der deutschen Handelsflotte.

Der Entzug des deutschen Auslandsvermögens in der bereits angegebenen Höhe von 8 Milliarden DM wird bis nach Abschluß eines Friedensvertrages aufrechterhalten. Das heißt, das auch alle Ansprüche von deutschen Staatsangehörigen gegen ehemalige Feindstaaten oder Bundesgenossen des Deutschen Reiches einschließlich etwaiger Forderungen gegen Österreich, derzeit nicht geltend gemacht werden können. Die Deutsche Studiengesellschaft für privatrechtliche Auslandsinteressen und der Ausschuß des Bundestages für das Besatzungsstatut für auswärtige Angelegenheiten weisen darauf hin, daß das deutsche Auslandsvermögen diesmal schlechter behandelt wird als im Versailler Vertrag. Damals wurde das deutsche Guthaben im Ausland zur Bezahlung der deutschen Schulden an das Ausland herangezogen, nach der gegenwärtigen Regelung werden aber die Auslandsvermögen als Reparationen enteignet, während Deutschland gleichzeitig die Begleichung deutscher Vorkriegsverbind- lichkeiten auferlegt wird.

Die Abstattung deutscher Auslandsschulden hat nämlich bis zu ihrer vollen Deckung weiter zu erfolgen. Auf der im Mai 1952 abgehaltenen Londoner Schuldenkonferenz erklärte sich die Bundesrepublik bereit, vorläufig 600 Millionen DM jährlich auf das Schuldenkonto zu transferieren; eine höhere Summe könne nicht aufgebracht’ werden. Der Antrag wurde von den Auslandsgläubigern nicht angenommen, es ist aber zu erwarten, daß eine Einigung doch noch erzielt werden wird.

Neben den Entschädigungsleistungen für die Opfer des Nationalsozialismus und einer finanziellen und devisenrechtlichen Hilfe für West- Berlin mußte Bonn auch noch Zugeständnisse machen, die in die deutsche Privatwirtschaft stark eingreifen. So hat an Stelle des bisherigen alliierten Kartellgesetzes ein Bundesgesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen zu treten, wobei gewisse alliierte Bedingungen erfüllt werden müssen. Die Umgestaltung des deutschen Umsatzsteuerrechtes hat so abgefaßt zu sein, daß kein Anreiz für den Zusammenschluß von Unternehmungen geboten wird. Die alliierten Gesetze und Ausführungsvorschriften zur Entflechtung des Kohlenbergbaues, der Eisen-, Stahl- und IG-Farbenindustrie bleiben in Kraft, bis die Aktion beendet ist; als Endtermin ist der 31. Dezember 1952 angesetzt. Einige alliierte Auflagen sind in die Reform des Aktienrechtes aufzunehmen. Für das künftige deutsche Gewerberecht muß der Grundsatz der Freiheit der Berufsausübung maßgeblich sein, und es wird ausdrücklich hervorgehoben, daß die Gewerbetätigkeit von Personen, die unter dem bisherigen alliierten Recht ein Gewerbe begonnen haben, nicht wegen mangelnder Sachkunde oder wegen Überbesetzung des betreffenden Gewerbes untersagt werden darf.

Das Inkrafttreten des Deutschlandvertrages wird vom Staate und der Allgemeinheit große Opfer zur Wiedererlangung der deutschen Souveränität verlangen, und eine Umstellung in der Gesamtwirtschaft, die derzeit noch nicht absehbare Folgen mit sich bringen wird, dürfte kaum vermeidbar sein. Man darf nicht vergessen, daß die westdeutsche Wirtschaft auf sehr engem Raum mit einer Bevölkerungsüberzahl zu arbeiten hat, denn die ihr zur Verfügung stehende Bodenfläche beträgt nur 52 Prozent jener des Jahres 1937, auf ihr sind 73 Prozent der gesamten deutschen Bevölkerung zusammengedrängt, während es vor 1938 auf dem heutigen Bundesgebiet nur 57 Prozent gewesen sind.

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