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Der reine Leistungslohn—familien- und kinderfeindlich

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Damjt ist der Aufriß gegeben. Die Zahlen kann jeder deuten der mit der Problematik vertraut ist. Soweit der Gesetzgeber hier eine Aufgabe hat, muß gesagt werden, daß neue wirkungsvolle Gesetze, welche dem Abbau der Ehenot dienen könnten, noch nicht geschaffen sind. Nach der weltanschaulichen Struktur des politischen Lebens in Westdeutschland dürften solche Gesetze neben den Schulgesetzen wohl zu den schwierigsten Aufgaben des Gesetzgebers gehören. Etwas anderes ist es, daß in Deutschland, das sonst in sozialpolitischen Maßnahmen führend zu sein pflegte, seit Kriegsende jede Berücksichtigung der Familien im Einkommen der Lohnempfänger fehlt. Neuerdings setzten aber Verhandlungen ein mit dem Ziel, für das dritte und jedes weitere Kind Zulagen zu gewähren, sofern das Einkommen der Familie eine bestimmte Höhe (etwa 4800 DM jährlich) nicht übersteigt. Leider scheinen viele der an diesen Verhandlungen Beteiligten keinen anderen Weg zu sehen als den einer zentralistischen Regelung über die Staatskasse. Dagegen wird gerade von maßgebender katholischer Seite gefordert, daß dieser sogenannte Familienlastenausgleich im Rahmen eines vom Staat erlassenen und das Obligatorium sichernden Gesetzes eine Einrichtung der Selbstverwaltung sein müsse.

Die Arbeiterfamilie mit kleinen Kindern, die vom Vater allein unterhalten werden muß, ist in Deutschland bei dem heutigen System des reinen Leistungs-

lohnes schlecht bestellt. Denn sie erhält keine Kinderzulagen wie beispielsweise die Beamten, und die für Kinder gewährte Steuerermäßigung bietet keinen fühlbaren Ausgleich. So wirkt sich der reine Leistungslohn geradezu familien- und kinderfeindlich aus, ein Zustand, der nur durch Ausgleichskassen beseitigt werden kann.

Besondere Notstände beeinflussen nachdrücklich den Lebensstandard der deutschen Familie. Als erster ist zu nennen die Wohnraumnot, die trotz der enormen Aufwendungen aus öffentlichen Mitteln und der regen Bautätigkeit, besonders auf dem Gebiet des sozialen Wohnungsbaues, bei weitem och nicht behoben ist. Immerhin verdient es erwähnt zu .werden, daß die katholische Siedlungsarbeit während der fünf Jahre ihres Wirkens für 21.000 Wohnungen 200 Millionen DM aufgebracht und sachgemäß verausgabt hat. Weitere Notstände sind die Last der Kriegsschäden an Häusern und Wohnungseinrichtungen, der Verlust der Ersparnisse durch die Währungsreform und die Unmöglichkeit, angesichts der Teuerung und des geringen Reallohnes erneut Vermögen zugunsten der Familie zu bilden. Bedenken wir die Lage der Arbeitslosen, der Kriegs-, Sozial- und Fürsorgerentner. Im August 1949 standen allein nur den

Familien der Angestelltenrentner je Kopf für die Ernährung 1 DM im Tag zur Verfügung; Invalidenrentner, Fürsorgeempfänger lagen darunter.

Alle diese Notstände rufen nach Wirtschafts- und Sozialreformen, um den erkrankten Gesellschafts-

körper langsam ausheilen zu lassen und zu verhüten, daß nicht mehr ganze Volksschichten ins Elend versinken, sondern tüchtige Familien in der Lage sind, ihr Leben selbst zu meistern, Sicherlich bedürfen sie dazu auch noch der religiösen Hilfskräfte, die ihnen die

Kirche gewähren muß. Daß die Kirche ihre Aufgabe der Familie gegenüber, in einer Unzahl von Fällen rein praktisch — sie hat ja die beste Theorie! —, noch besser lösen möge, ist der Wunsch, den mancher katholischer Laie an die kirchliche Führung heranträgt.

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