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Aufbruch der Familie

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Die Tatsache, daß eine Forderung „bloß“ gerecht ist, genügt heute weniger denn je, die Träger der öffentlichen OrcInungsgewalten zu bewegen, sich, damit zu befassen, geschweige denn sie durchzusetzen. Man muß heute mit Katastrophen aufwarten können. Das gilt auch für den Ruf nach gleichberechtigter Wiedereingliederung der Väter und Mütter in die Gemeinschaft ihrer Mitbürger. Die Katastrophe heißt hier: Zusammenbruch unseres Systems der sozialen Sicherheit. Für das Gebiet der Sozialversicherung hat dies Univ.-Doz. Dr. Hans Schmitz, der Direktor der Angestelltenversicherungsanstalt und Präsident des OestSrreichischen Familienbundes, auf der Familienpolitischen Woche bewiesen, die kürzlich vom Institut für Sozialpolitik und Sozialreform und vom Oester- reichischen Familienbund veranstaltet wurde. Nach dem heute geltenden System bezahlt die jeweils aktive Bevölkerung der bereits inaktiv gewordenen die Renten und Pensionen. Dies gilt für die Soziallasten in ihrer Gesamtheit. In siebzehn Jahren wird es um 330.000 Pensionisten und Rentner mehr, je-doch um 100.000 Erwerbstätige und etwa 400.000 Kinder weniger geben als noch vor drei Jahren! „Wir müssen den Mut haben, es offen auszusprechen“, betonte der Redner, „wenn wir diese Entwicklung nicht zum Stillstand bringen, wenn uns hier nicht ein Wände gelingt, belügen wir uns seifst, indem wir unseren und unserer Mitbürger Lebensabend als gesichert hinstellen und noch Hoffnungen auf Besserung erwecken.“ Es könne daher im Kampf um den Familienlastenausgleich keine Frontenbildung geben: hie Familie — hie Kinderlose, und schon gar nicht im Kampf um die soziale Sicherheit eine Frontenbildung: hie Jugend — hie Alter! Lastenausgleich und soziale Sicherheit sind Anliegen aller.

Diese Tatsachen sind eine Bestätigung dafür, daß die Gesellschaft selbst jede Störung ihrer natürlichen Ordnung automatisch rächt. Dieselbe naturrechtliche Position der Familie im Gesellschaftsganzen und die katastrophalen Folgen einer Durchbrechung der natürlichen Ordnung beweisen auch die fr- gebnisse der modernen Psychologie und Pädagogik. Frau Univ.-Prof. Dr. Silvia Bayr-Kiimpfinger zeigte als Kinderpsychologin die Notwendigkeit der unmittelbaren mütterlichen Erziehung für das Wohl der Gesellschaft auf. In den Kindergärten, Hortgruppen und Schulklassen, die sie untersuchte, fallen jene Kinder auf, die in entscheidenden Jahren der Erziehung und Betreuung durch ihre Mutter entbehren mußten. Ihre Leistungsfähigkeit bleibt unter dem Durchschnitt, und sie sind für die Gesellschaft eine Gefahr. Kein Kleinkinderheim kann, selbst bei größtem hygienischen und materiellen Aufwand, den Anschauungsreichtum einer selbst nur mittelmäßigen Familie ersetzen. Die heutige Steuerpolitik lockt die Frau und Mutter durch ungerechtfertigte Begünstigungen geradezu aus der Familie heraus, wo sie nicht schon durch die materielle Not in den Beruf hineingezwungen werden. Die Ermöglichung eines naturgerechten Familienlebens erfordert daher die Beseitigung dieser Mißstände. Die Referentin schlug etwa eine Art Muttergehalt für alle jene Frauen vor, die auf ihren Beruf verzichten, um sich wenigstens bis zum dritten Lebensjahr ihrem Kinde widmen zu können.

Nfit den Forderungen an die Steuerpolitik befaßten sich auf der Tagung die Herren Rat des VGH Dr. Josef Naderer (Kritik der bisherigen Steuerpolitik) und Dr. Alfons Schneider (Vorschläge für eine — den Familien in Aussicht gestellte — organische Steuerreform).

Mit den vom Institut für Sozialpolitik und Sqzialreform ausgearbeiteten Vorschlägen für den nun in Heal isierung befindlichen ersten Schritt zum Ausgleich ' der Familienlasten, denen im Hinblick auf den damals bevorstehenden Initiativantrag der OeVP-Fraktion besondere Aktualität zukam, befaßte sich Prof. Dr. Anton Burghardt. Das Institut hält eine grundsätzlich gleichberechtigte Einbeziehung der Selbständigen in das Kinderbeihilfesystem und eine progressive Erhöhung der derzeitigen Kinderbeihilfe von 105 S für notwendig und durchführbar. In Anbetracht der Tatsache, daß es sich wegjp der Finanzierungsschwierigkeiten nur um einen ersten Schritt handelt, muß man zunächst mit folgender Progression zufrieden sein: für das erste Kind soll die Beihilfe 100 S betraget , für das zweite Kind 15Q S, für das dritte Kind 200 S, für das vierte und jedes weitere Kind je 250 S. Das Institut hat auch einen detaillierten Finapzierungspjan dazu vorgelegt, der sich vor allem auf die Hälfte der bisher als JJesatzungskostensteuer eingezahlten Beträge stützt.

Univ.-Prof. Dr. August M. Knoll, der Präsident des Institutes für Sozialpolitik und Sozialreform, legte überzeugend dar: Während der Lebensstandard eines ledigen Arbeiters gegenüber dem Jahre 1938 auf 162 Prozent gestiegen ist, senkte sich der Lebensstandard einer Arbeiterfamilie mit vier Kindern auf 55 Prozent, auf die Hälfte! Während die Einkommensteuerlast für den Ledigen seit Kriegsende relativ kaum gestiegen ist, ist die des Erhalters einer fünfköpfigen Familie siebzehnmal größer geworden.

Die Familie wird sogar über ihr Existenzminimum hinaus besteuert. Erschütternd ist das Bild, das der Referent wie auch Landeshauptmann Dr. Heinrich Gleißner, letzterer auf der Abschlußkundgebung, über den,Zusammenbruch der Familien sogar auf dem Lande entwerfen mußte: Wie sich in Niederösterreich, mit Ausnahme der Bezirkshauptmannschaft Zwettl, das Einkindersystem restlos durchgesetzt hat und wie der Rückgang der Geburtenzahl in Oberösterreich in der Bauernschaft der größte ist und es in die- sem Bundeslande Gerheinden gibt, in denep ein Drittel aller Höfe keine Erben hat.

Diese Entwicklung war nur durch die •völlige Desintegration der Familie in den letzten fiundertfünfzig jähren möglich. Nun wird die Familie als Grundlage der Gesellschaft wiederentdeckt. „Der Aufbruch geht überall von den Familien selbst aus, die sich zur Selbsthilfe organisieren“, betonte der international anerkannte Fachmann für Familienpolitik, Prof. Dr. Jakob David aus Zürich. Innerhalb der letzten 25 Jahre haben, so führte er in der Schlußkundgebung aus, mehr als 30 Staaten zumindest erste Schritte zum Ausgleich der Familienlasten unternommen, fünf europäische und einige außereuropäische Staaten das Recht der Familie in ihren Verfassungsgesetzen verankert, mehrere ihr auch durch« öffentlich- rechtliche Stellung ihrer Bewegung, durch Errichtung eigener Kommissionen oder gar eines eigenen Ministeriums ihren Platz im öffentlichen Leben gesichert.

' Der Widerhall dieser familienpolitischen Woche läßt hoffen, daß das Eis der Familienverachtung wenigstens bei einzelnen für das Wohl der Gesellschaft Verantwortlichen zu schmelzen beginnt. Bei der Schlußkundgebung war das einmütige Eintreten der Vertreter beider Kirchen, Seiner Exzellenz Bischof DDr. König und Oberkirchenrat Künzel, und der Vertreter der OeVP und der WdU sowie das Schreiben der SPOe, die am selben Tag erfolgte Ankündigung der Ehestandsdarlehen durch den ebenfalls an der Kundgebung teilnehmenden Staatssekretär Dr. Bock fine eindrucksvolle Dokumentation des ersten Erfolges des Zusammenwirkens der im Oesterreichischen Familieh- bund organisierten aufstrebenden Bewegung mit einem Team von Fachleuten, die sich im Institut für Sozialpolitik und Sozialreform zusammengefunden haben. Der Herr Bundeskanzler selbst hat den Versammelten seinen festen Willen bekundet, den Forderungen der Familien zum Durchbruch zu verhelfen und auch ihren Organisationen Gelegenheit zu geben, zum Initiativantrag seiner Partei Stellung zu nehmen.

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