6774620-1969_17_07.jpg
Digital In Arbeit

Millionäre in Deutschland

Werbung
Werbung
Werbung

Genau 15.247 Deutsche — von fast 60 Millionen Bürgern der Bundesrepublik — haben Ärger, weil sie Millionäre sind. Zwar sind nur die größten unter ihnen namentlich bekannt, weil das in der Bundesrepublik gültige Bankgeheimnis keine Auskunft über die Vermögenslage zuläßt. Aber sie fühlen sich als Schicht getroffen. Sie haben Ärger, weil die Nichtmillionäre sich darüber ärgern, daß ihrer Meinung nach das Geld zu ungleichmäßig verteilt ist. Der „Mann auf der Straße“ hört es nicht gern, daß die Zahl der Millionäre in zehn Jahren um mehr als die Hälfte gestiegen ist. Von 1957 bis zum 1. Jänner 1966, das ist der letzte statistisch erfaßte Stichtag, ist die Zahl der DM-Millionäre um genau 65,4 Prozent gestiegen. Die Zunahme war in den einzelnen Bundesländern unterschiedlich; regional gesehen, kann man sogar von einem gewissen Ausgleich sprechen. Im ehemaligen „Armenhaus“ der Bundesrepublik, in Schleswig-Holstein, und auch in Niedersachsen stieg die Zahl stark an; in Nordrhein-Westfalen, im größten Bundesland, dagegen, wo ohnehin ein Drittel aller deutschen Millionäre sitzt, weniger stark, im Saarland gar nahm sie ab. Die Ursachen sind nicht schwer zu erkennen: die Kohlenkrise hat zu Einbußen geführt; im Norden der Bundesrepublik dürfte sich die Ausdehnung des Stadtstaates Hamburg über seine Grenzen nach Schleswig-Holstein und Niedersachsen ausgewirkt haben. Die Bevölkerung von Hamburg nimmt seit Jahren ab, die der angrenzenden Landkreise dagegen steigt schnell.

Anlaß zum Ärger über die zunehmende Zahl der Millionäre besteht jedoch nur dann, wenn die Vermögen unter der Millionengrenze sich weniger vermehrt haben. Die Kritiker weisen denn auch auf eine geradezu alarmierende Zahl hin: die Zahl der steuerpflichtigen Vermögen bis zu 50.000 DM ist rapid um fast 80 Prozent zurückgegangen. Die „kleinen Reichen“ also nahmen ab, während die Großen wuchsen und wuchsen.

Aber hier zeigt die Statistik wieder einmal ihre Tücken. Entscheidend ist das Wort „steuerpflichtig“. Dazu muß man wissen, daß in Deutschland das in Grundstücken, Häusern oder Eigentumswohnungen angelegte Vermögen durch starke Vergünstigungen, die mit der Förderung des Wohnungsbaus zusammenhängen, nur noch mit einem relativ geringen Teilwert in der Steuerveranlagung erscheint. Hinzu kommt, daß in der fraglichen Zeit die Steuerfreibeträge für Ehefrauen und für Kinder unter 18 Jahren erheblich heraufgesetzt worden sind. Insofern gibt also die Steuerstatistik ein falsches Bild.

Bei Vermögen, die 100.000 DM (25.000 US-Dollar) übersteigen, wirken sich diese Vergünstigungen kaum noch aus. Sie sind deshalb zum Vergleichen besser geeignet. Das Deutsche Industrie-Institut in Köln hat errechnet, daß die Zahl der Vermögen zwischen 250.000 und 500.000 DM am stärksten, nämlich um 70,5 Prozent, zugenommen hat, während darunter und darüber die Steigerung um 65 Prozent liegt, genauso hoch also wie über der Millionengrenze. Mit anderen Worten: nicht nur die Spitze, sondern die gesamte Pyramide hat sich verbreitert. Daraus kann nach Meinung des Industrie-Instituts abgeleitet werden, daß der Wohlstand insgesamt entsprechend gestiegen ist. Für rund 59 Millionen Deutsche, die nicht an den 236.800 Vermögen und 100.000 DM und mehr partizipieren, ist das kein bedeutender Trost. Sie sind natürlich weiterhin der Meinung, daß an der Steuergesetzgebung, die noch an der Aufbauzeit der ersten Nachkriegsjahre orientiert ist, etwas geändert werden muß.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung