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Das „Tor zur Welt hat Schwindsucht

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Seit rund drei Jahrzehnten wird die Freie und Hansestadt Hamburg von Sozialdemokraten regiert. Heute nagen Riesenschulden und Skandale am Ruf der Handelsmetropole.

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Seit rund drei Jahrzehnten wird die Freie und Hansestadt Hamburg von Sozialdemokraten regiert. Heute nagen Riesenschulden und Skandale am Ruf der Handelsmetropole.

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Wer heute Hamburg besucht, ist beeindruckt von der wohl interessantesten Stadt der Bundesrepublik, spürt und sieht so vieles, was eine Wirtschaftsmetropole von internationalem Format ausmacht.

Es sind das die Prunkstätten klassischen Städtebaus an der Binnenalster und an der Kleinen Alster genauso wie das Hamburger Hafenviertel, wo alte Kneipen neben modernsten technischen

Anlagen für die Frachtlöschung stehen.

Auch in den Jahresberichten der Europäischen Gemeinschaft war in den letzten Jahren von der Hansestadt zu lesen als der reichsten Region der Bundesrepublik, wahrscheinlich des europäischen Wirtschaftsraumes überhaupt. Und heute noch hat die Stadt mit 40.000 DM das höchste Pro-Kopfeinkommen der Bundesrepublik, ist sie noch immer der zweitgrößte Banken- und Versicherungsplatz nach Frankfurt am Main. Unbestritten auch die Spitzenposition im Medienbereich mit 28.000 Beschäftigten, den zahlreichen Verlagen, Pressebüros etc. Daran gemessen läßt wenig darauf schließen, daß Hamburg wie so viele europäische Hafenstädte bzw. Großstädte auch an Krisenerscheinungen leidet, deren konkrete Auswirkungen derzeit Schlimmes nur ahnen lassen.

Seit rund 30 Jahren wird die Freie und Hansestadt Hamburg von den Sozialdemokraten regiert; zuletzt wurde 1981 der gebürtige Hamburger Klaus von Dohnanyi zum Ersten Bürgermeister der Stadt (siehe Kasten) gewählt.

Heute wird Hamburg — und nicht nur von der lokalen bürgerlichen Presse - als Stadt bezeichnet, die nur mehr von Schulden und Skandalen lebt.

Einige Parameter signalisieren tatsächlich eine gewisse Talfahrt der Hansestadt, die immer schneller wird.

Das Hauptproblem ist eine kontinuierlich sinkende Bevölkerungszahl. Das Wohnen in der Stadt erschien auch hier in den letzten Jahren immer weniger Familien erstrebenswert. Vor allem die jungen „Aufsteiger“ zog es ins umliegende Grünland.

Jetzt hat man etliche Kleinstädte rund um Hamburg, und da nach geltenden Regelungen am Wohnort Lohnsteuer gezahlt wird, fließen diese fetten Einnahmen in die Kassen der Gemeinden, Hamburg indessen ist mit 13.000 DM pro Kopf verschuldet. Auch für Klein- und Mittelbetriebe war das Hamburger Umland weitaus lukrativer als die Metropole, die sich längst zur Steuer-Hochburg gemausert hat. Um rund ein Drittel ist z. B. die Gewerbesteuer in der Stadt höher als etwa im benachbarten Schleswig-Holstein. Zugelegt hatten die Stadtväter vor allem auch bei der Grund-und Getränkesteuer, bei Strom und den Energiekosten. Für Hamburg liegt das Problem darin, daß die Stadt eine Sonderstellung hat. Sie ist Stadt und Bundesland zugleich. Die umliegenden Bereiche können daher nicht eingemeidet werden: die Landesgrenzen sind unverrückbar.

Jetzt klagt die Opposition, allen voran der CDU-Spitzenkandidat für die Wahl des Ersten Bürgermeisters im nächsten Jahr, Hartmut Perschau, langsam werde die Metropole ausgezehrt, während sich rundherum ein „Speckgürtel“ von Mittel- und Großverdienern sowie Firmen gebildet hat, an den man nicht herankommt. Allein der jährliche Verlust durch Gewerbesteuern wird von Hartmut Perschau mit 300 Millionen Mark geschätzt.

Die Statistiken bekräftigen das Dilemma: 1974 hatte Hamburg 1,734.000 Einwohner, zehn Jahre später sind es nur mehr 1,593.000. 18 Prozent davon sind älter als 65 Jahre, jeder zehnte der Wohnbevölkerung ist ein Ausländer. 16 Prozent aller Neugeborenen haben ausländische Eltern. 170.000 Menschen pendeln jeden Tag zwischen Hamburg und ihren Wohnorten rund um die Stadt.

Seit Jahren kritisiert die Opposition, daß die sozialdemokratische Landesregierung ihre Ausgaben nicht an diese prekäre Bevölkerungsentwicklung angepaßt habe und statt dessen die Ausgaben im öffentlichen Dienst und bei der Sozialhilfe rapide ansteigen ließ. Heute beschäftigt Hamburg 113.000 Menschen im öffentlichen Dienst, 53 Prozent der Finanzen werden durch sie geschluckt.

„Hamburger Speckgürtel“

Das größte Problem ist auch für die Hafenstadt die Arbeitslosigkeit, mit Höchstzahlen seit 30 Jahren. Die Entwicklung hier ist ebenfalls rasant: 1981 gab es 30.000, 1984 schon 81.000 und im August dieses Jahres schon 92.000 beschäftigungslose Hamburger. 20 Prozent sind Jugendliche.

Das Problem ist sicherlich auch strukturell bedingt. Traditionelle Berufe gingen reihenweise verloren. Mitte der siebziger Jahre wurden etliche Raffinerien stillgelegt, da durch den Preisschock beim Erdöl Westeuropa auf andere Energiequellen umstieg. Heute kriselt es im Schiffsbau. Vorwiegend die Anbieter aus dem Fernen Osten blasen einen scharfen Wettbewerbswind durch Hamburgs Werften.

Hoch ist auch der Anteil an arbeitslosen Akademikern: 58.000 Studenten gibt es allein in der Hansestadt; die traditionellen Studienrichtungen wie Medizin, Jus oder Pädagogik quellen über. Anderseits gibt es z. B. in der Stadt 19 Lehrstühle für Informatik, besetzt sind nur acht. Der Grund laut Bürgermeister Doh-nanyis Pressesprecher: Die finanziellen Anreize für Professoren sind schlecht, die technische

Ausstattung ebenfalls. Es will keiner nach Hamburg.

Eine Tatsache, die den CDU-Bürgermeisterkandidaten Perschau auf die Barrikaden treibt: Im letzten Jahr wurden die Hamburger Stahlwerke mit 200 Millionen Mark subventioniert, um nach dem Willen der Stadtväter 800 Arbeitsplätze zu sichern. Im gleichen Zeitraum standen kümmerliche 12 Millionen für Forschungsaufgaben, Innovationsunterstützung und Existenzgründungsdarlehen zur Verfügung. Diese Fehlentwicklung in der Ausbildung hat laut Perschau dazu geführt, daß beispielsweise Hamburg heute noch immer der zweitgrößte Platz in der Luftfahrtindustrie ist (nach Seattle in den USA), daß die Facharbeiter für diese Branchen aber mit Bussen jeden Tag aus Hannover oder Braunschweig hergefahren werden müssen. f Ähnliches macht sich auch in ' der Medienbranche bemerkbar. Fachkräfte für die neuen Kommunikationstechnologien müssen mit hohen Gagen aus dem Süden der BRD gelockt werden.

Die Liste der Probleme läßt sich fortsetzen: Hamburg hat eine der höchsten Kriminalitätsraten in der Bundesrepublik. An Einwohnern gemessen geschehen hier doppelt so viele Straftaten wie etwa in München. Unbewältigt auch noch immer das Problem der riesigen Mülldeponie im Stadtteil Georgswerder, wo 1979 erstmals Dioxin entdeckt wurde. Erst im Vorjahr entschloß sich der Senat zum Handeln. Gelöst ist das Problem aber noch keineswegs, der Müllberg noch immer da.

Der Wind für einen Umschwung zu ihren Gunsten weht daher nach Meinung der CDU günstig.

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