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Euphorie der Verschwendung

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Die meisten Österreicher legen eine gewisse Skepsis an den Tag, wenn von einem Aufholen Österreichs gegenüber den führenden westlichen Industriestaaten die Rede ist. Eine Studie, die kürzlich zwei Mitarbeiter des österreichischen Institutes für Wirtschaftsforschung publiziert haben, beweist dies aber schwarz auf weiß.

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Die meisten Österreicher legen eine gewisse Skepsis an den Tag, wenn von einem Aufholen Österreichs gegenüber den führenden westlichen Industriestaaten die Rede ist. Eine Studie, die kürzlich zwei Mitarbeiter des österreichischen Institutes für Wirtschaftsforschung publiziert haben, beweist dies aber schwarz auf weiß.

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Das schnellere Wachstumstempo Österreichs zeigt besonders deutlich ein Vergleich mit Großbritannien und den USA. Während 1960 das Bruttonationalprodukt pro Einwohner in Großbritannien real (also auf der Basis der echten Kaufkraft der einzelnen Währungen) noch um 31 Prozent höher war als in Österreich, waren es 1971 nur noch 2 Prozent In diesem Jahr dürften die Österreicher das Mutterland der Industrialisierung bereits überrundet haben.

Auch gegenüber der Schweiz konnte

Österreich etwas aufholen: Deren Vorsprung ging von 27 auf 24 Prozent zurück. Nur in der Bundesrepublik Deutschland war das Wachstum noch größer als in Österreich, da sich der Vorsprung dieses Staates von 23 auf 25 Prozent steigerte.

Das Wirtschaftswachstum ist in Österreich in ganz besonders hohem Maße dem Arbeitnehmer zugute gekommen. Lagen 1960 die realen Löhne und Gehälter (inklusive Soziallohn) in Großbritannien noch um 26 Prozent über dem österreichischen Standard, so hatte 1971 unser Land bereits gleichgezogen.

Der Abstand gegenüber den USA hat sich von 150 auf 77 Prozent verringert, derjenige gegenüber der Schweiz von 23 auf 12 Prozent. Nur der Vorsprung der Bundesrepublik Deutschland nahm von 14 auf 18 Prozent zu.

Worauf ist dieses Aufholen Österreichs zurückzuführen? Die Antwort auf diese Frage geben ziemlich deutlich einige weitere Vergleichsdaten. So ist zum Beispiel interessant, daß sich der private Konsum in Österreich dem westlichen Niveau entschieden weniger angenähert hat als die Löhne: während zum Beispiel die Briten im Durchschnitt nur gleich viel verdienen wie die Österreicher, geben sie real um 13 Prozent mehr aus. Die Österreicher sind also sparsamer; das gilt auch gegenüber den meisten anderen Staaten. Das gibt unserer Wirtschaft die Möglichkeit, einen größeren Teil des Nationalprodukts zu investieren. Während die Ausgaben für die Bruttoan-lageinvestitionen in Österreich 1971 nicht weniger als 28,6 Prozent des Bruttonationalprodukts ausmachten, waren es in der Schweiz 28,3 Prozent und in Deutschland 26,5 Prozent. Bei weitem größer ist der Abstand gegenüber Großbritannien (17,4 Prozent) und den USA (16,9 Prozent). Umgekehrt ist die Quote des privaten Konsums in diesen beiden Staaten beachtlich höher (Großbritannien 61,7 Prozent, USA 62,7 Prozent) als in Österreich (56 Prozent), Deutschland (54,3 Prozent) und der Schweiz (57,3 Prozent).

Dank den höheren Investitionen war auch das Wirtschaftswachstum größer.

Ebenso sieht es mit der Steigerung der Produktivität — also dem Verhältnis zwischen Arbeits- und Produktionsleistung — aus: auch hier hat Österreich (4,9 Prozent) die höchste Zuwachsrate zu verzeichnen gegenüber 4,3 Prozent in Deutschland, 2,9 Prozent in der Schweiz, 2,7 Prozent in Großbritannien sowie 2,2 Prozent in den USA. Es wird also nicht nur mehr, sondern auch rationeller produziert und auch bezüglich der Rationalisierung wies Österreich eine Spitzenposition auf.

Wenn es uns also in Österreich viel rascher besser geht als in den meisten anderen Ländern, so nicht zuletzt deswegen, weil wir weniger verbrauchen und mehr investieren. Der internationale statistische Vergleich weist diesen Kausalzusammenhang überzeugend nach. Das ist deshalb wichtig, weil diese schlichte und einleuchtende Tatsache von der Wirtschaftspolitik und auch von der Nationalökonomie gerne in Frage gestellt worden ist.

Schlüsselfigur hiefür ist der bri-ttische Nationalökonom John May-nard Keynes, dessen 1936 erschienene „General Theory“ speziell in den angelsächsischen Staaten dominierenden Einfluß ausübte. In den USA vertreten Kapazitäten wie zum Beispiel Aluin Hansen und der Nobelpreisträger Samuelson, Gal-braith und Peter Drucker hauptsächlich Keynesche Ideen. Die amerikanische Wirtschaftspolitik unter Kennedy und Johnson wurde ganz von der Theorie Keynes beherrscht und auch unter Nixon versuchte der inzwischen abgelöste Finanzminister Conally weitgehend mit Keynesschen Methoden zu arbeiten. Sein Nachfolger, Schultz, geht zwar zum Großteil andere Wege, aber bei der Haltung Amerikas in der internationalen Währungspolitik machen sich noch immer sehr stark Keynes-sche Ideen bemerkbar (und das nicht nur deshalb, weil Keynes der eigent-. liehe Vater der Bretton-Woods-Abkommen war).

Eine der Grundthesen des britischen Nationalökonomen ist es, daß ein Volk nicht durch Sparsamkeit, sondern durch Verschwendung reich werde. Dieses aller Erfahrung und jedem Common Sense konträre Konzept bewies Keynes mit den Mitteln der mathematischen Nationalökonomie, deren Basisformel C = a + ß Y lautet und die in den Weiterentwicklung mit noch zahlreichen Faktoren angereichert wird. Wie immer sie aber auch ausgestaltet wird, ihre Verwendung für ökonometrische Berechnungen bringt in einem Punkt immer wieder das gleiche Resultat: nichts läßt die Wirtschaft so rasch wachsen wie der zunehmende Konsum.

Großbritannien und seit Kennedy auch die USA haben sich — allen Warnungen zum Trotz — ganz dem System Keynes' verschrieben. Die Folgen waren weniger statt mehr Wachstum, dafür aber mehr statt weniger Arbeitslosigkeit. Der Versuch, durch Verschwendung reich zu werden, endete nur in der Inflation.

Trotz diesem eindeutigem Verdikt der ökonomischen Faktizität stellen aber die Keynesschen Methoden eine ständige Versuchung dar und sind gerade in den siebziger Jahren wieder eindeutig im Vormarsch: Die Konjunktursteuerung und Wachstumsförderung wird einseitig über den — öffentlichen und privaten — Konsum versucht.

Noch zeigen sich aber — außer in Form der Inflation — in Österreich nicht die wachstumsinhibierenden Folgen dieses gefährlichen Konzepts' (in Deutschland tritt hingegen in den letzten Jahren schon eine Verflachung des Wirtschaftswachstum ein). Gerade das ist das Gefährliche an diesen Methoden, daß sie zunächst tatsächlich das zu halten scheinen, was sie versprechen, eine Wachstumseuphorie provozieren, hinter der freilich der Katzenjammer nicht ausbleibt; der Kausalnexus zwischen Euphorie und der nachfolgenden Stagnation ist den meisten Laien — und oft sogar Experten — nicht einsichtig.

Österreich befindet sich derzeit gerade in der euphorischen Phase, die hier deshalb so effizient ist, weil die in den sechziger Jahren akkumulierte wirtschaftliche Potenz große Reserven gewährt. Längerfristig läßt die derzeitige Wirtschaftspolitik freilich nichts Gutes erwarten

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