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Wohlstand auf Pump

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Auf jeden Zweifel an ihrer Wirtschaftspolitik kontert die Regierung, daß die Wirtschaft schließlich permanent wachse und die Beschäftigtenzahlen immer neue Rekordhöhen erklimmen. De facto sind aber Wirtschaftswachstum und Vollbeschäftigung Konstanten der österreichischen Wirtschaftspolitik seit den fünfziger Jahren. Die Regierung Kreisky brachte nicht die Vollbeschäftigung — denn die hat es schon vorher gegeben — sondern einen übersteigerten Arbeitskräftebedarf, der nahezu ausschließlich mit Ausländern gedeckt werden muß, und der — wie dieser Tage auch der prominente Sozialist Karl Ausch betont hat — einer der entscheidensten Faktoren der Inflation ist.

Nun ist aber Inflation beileibe kein Wohlstandsfaktor oder auch nur eine zwar unangenehme, aber unvermeidliche Begleiterscheinung des Wohlstands. Gerade jene Staaten, die in den frühen fünfziger Jahren eine energische Stabilisde-rungspolitik betrieben haben — sind heute die prosperierenden Staaten mit hoher Beschäftigung und — trotz den inzwischen begangenen wirtschaftspolitischen Fehlern — noch immer relativ schwacher Inflation. Jene Staaten hingegen, die — basierend auf der mißverstandenen Lehre Keynes' — eine Politik des leichten Geldes betrieben, einen Expansionismus um jeden Preis favorisiert haben, sind heute die „Fuß-maroden“ der europäischen Gemeinschaft. Das klassische Beispiel ist Großbritannien, das — nicht zuletzt infolge seiner seit Kriegsende vorwiegend inflationistischen Politik, die besonders schnelles Wachstum garantieren sollte, aber genau das Gegenteil bewirkte — binnen weniger Dezennien aus dem führenden Industriegiganten zum kranken Mann Europas geworden ist.

Wer aber meint, dies wäre für die übrigen Staaten eine Warnung gewesen und hätte sie veranlaßt, unbeirrbar auf den Pfaden der Stabilitätspolitik zu wandeln, der hat weit gefehlt: Trotz seinem evidenten Versagen greift der Inflationismus immer stärker um sich.

Nun ist aber die Inflation nicht das einzige Alarmsignal für wirtschaftliche Fehlentwicklung. Es gibt noch andere Indizien, deren Bedeutung nicht. unterschätzt werden darf und die oft auch die Vorboten einer beschleunigten Inflation, ja einer Wirtschaftskrise ganz allgemein sind — beispielsweise der übermäßig zunehmende Steuerdruck, die Ausgabenexplosion im Budget, das Überborden der Subventionswirtschaft, die Notwendigkeit von immer stärkeren dirigistischen Eingriffen, weil das Wirtschaftsgeschehen nicht mehr von sich aus funktioniert.

Ein sehr signifikanter Indikator ist auch die Außenhandelsentwicklung, denn der Verlust der Balance zwischen Export und Import — das ließ sich in den letzten Dekaden am Beispiel diverser Staaten immer wieder beobachten — ist zumeist das erste Symptom für den wirtschaftlichen Abstieg. Mit großen Außen-handelsdeflziten hat unter anderem auch der Niedergang Großbritanniens begonnen.

Gerade das Außenhandelspassi-vum ist aber in Österreich während der siehziger Jahre in alarmierender Weise in die Höhe geschnellt Für die sechziger Jahre war 1966 der Rekordstand — ein Erbe der Koalitionsära — mit 16,7 Milliarden Schilling erreicht worden. Bis 1969 konnte das Defizit dann auf 10,7 Müliarden Schilling gesenkt werden und unterschritt damit sogar das Niveau von 1964 (10,8 Milliarden Schilling).

Bereits im Jahr 1970 schnellte es aber auf 18 Milliarden Schilling hinauf — also in einem einzigen Jahr um nahezu 80 Prozent. Es lag damit schon fühlbar über der Rekordhöhe des Jahres 1966.

Seither gab es kein Halten mehr. Schon 1972 machte das Passivum 30,8 Milliarden Schilling aus, hatte sich also in drei Jahren verdreifacht — und dies, obwohl es damals noch keine Ölkrise gab. Im Jahr 1973 stieg es weiter auf 35,9 Milliarden Schilling an, wobei die Ölkrise das Fazit auch dieser Handelsbilanz erst minimal beeinflußt hatte.

Eine derartige Entwicklung ist keineswegs auf mangelnde Leistungsfähigkeit unserer Exportwirtschaft zurückzuführen, die Jahr für Jahr beachtliche Anstiege verzeichnen konnte. Mit dem rasant steigenden Importbedarf konnte sie aber einfach nicht Schritt halten.

Hierin spiegelt sich die Tatsache, daß die Produktions- und Exportleistung unserer Wirtschaft durch die sprunghafte Einkommensentwicklung und die Ausgabenexpansion der öffentlichen Hand einfach überfordert ist, daß auf diese Weise die Illusion einer Wohlstandssteigerung geschaffen wird, die offenbar über sonstige Mängel der Wirtschafts- und Finanzpolitik — speziell auf dem Gebiet, der Inflationsbekämpfung und der Besteuerung — hinwegtäuschen soll. Es handelt sich aber um einen Wohlstand auf Pump, dem früher oder später die Stunde der Wahrheit folgen muß.

Nun mag man darauf hinweisen, daß bisher das Handelsbilanzdefizit immer durch die Dienstleistungsund Kapitalbilanz weitgehend ausgeglichen wurde. Damit kann es aber auf Dauer unmöglich so wie bisher weitergehen, weü die Dienstleistungsbilanz, speziell die des Fremdenverkehrs, langfristig nicht so rasch zunehmen kann, um mit einer solchen galoppierenden Passivierung der Handelsbilanz gleichzuziehen.

Kapitalimport wiederum ist gerade das, was ein inflationsgepeinigtes Land am wenigsten brauchen kann, da dieser die Inflation nur noch weiter anheizt. Viel richtiger wäre es, die Überliquidität im eigenen Land vom Konsum stärker auf die Veranlagung hin zu lenken — eine Aufgabe, die angesichts der Inflation allerdings viel stärkerer Anreize bedürfte, als sie heute gewährt werden.

Nahezu in allen Staaten, die heute von Wirtschaftskrisen geschüttelt werden und von Arbeitslosigkeit bedroht sind, hat die Fehlentwicklung mit wachsenden Handelsbilanzdefiziten 'begonnen, die im weiteren Verlauf zu Zahlungsbilanzdefiziten wurden und schließlich zu Währungskrisen und wirtschaftlicher Stagnation führten. Auch Österreich wird dieser Weg nicht erspart bleiben, wenn nicht bald das Konzept unserer Wirtschaftspolitik gründlich geändert wird.

Worauf zielt die Regierung, daß sie mit diesem Wohlstand auf Pump — ohne Rücksicht auf die Zukunft — die Bevölkerung in einem Zustand permanenter Euphorie halten will? Kurzfristig mag dies mit wahltaktischen Gründen zwar nicht entschuldigt, aber doch motiviert werden. Eine ganze Legislaturperiode hindurch ist eine solche Politik entschieden zuviel.

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