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Ein Potemkinsches Koni unktur dorf ?

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Josef hatte es besser gewußt. Leider nicht einer der Josefs am Stubenring, sondern der ägyptische vor mehr als 300 Jahren. Wirtschaftspolitiker von seinem Format fehlen gegenwärtig nicht nur in Österreich, sondern der ganzen Welt.

Josef hatte es nämlich noch nicht als wissenschaftlich unfein angesehen, so simple Erfahrungen anzuerkennen wie etwa diejenige, daß auf fette Jahre eben auch wieder magere kommen, und daß man in den fetten Vorsorgen müsse. Wir glaubten hingegen, die ewige Hochkonjunktur erfunden zu haben, und übersahen dabei ein paar Kleinigkeiten wie die Beschränkung der Ressourcen, die Kosten von Investitionen, die ökologischen Störelemente, die unserer Art des Produzie- rens immanent sind, und nicht zuletzt den Faktor Zeit, welcher es mit sich bringt, daß wir nicht heute bereits die Produktion konsumieren können, die bestenfalls in zehn Jahren zur Verfügung stehen wird.

Die Konsequenzen der Konjunktureuphorie blieben nicht aus, die Erdölmisere mit allen ihren Nebeneffekten fiel uns auf den Kopf, Zweifellos wäre sie zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht notwendig gewesen, sondern sie wunde durch die geschickten Manipulationen der OPEC, dem internationalen Kartell der Erdölproduzenten, vorverlegt. Dennoch sollten wir darauf nicht nur mit Empörung reagieren. Der Schweizer Nationalökonom Bruno Fritsch sagt ganz richtig, wir könnten den Arabern gar nicht dankbar genug dafür sein, daß sie uns schon jetzt mit einer Vorahnung jener Ölkrise konfrontiert hätten, der wir in längstens fünfzehn Jahren auf jeden Fall unter noch viel dramatischeren Begleiterscheinungen gegenüber gestanden wären. Die OPEC hat nämlich durch ihre Aktionen eine jener „Minikrisen” inszeniert, die beispielsweise Linstone für notwendig hält, um die Menschheit aus ihrer Lethargie zu reißen und ihr vor Augen zu führen, daß es so wie bisher nicht mehr weitergehen kann.

Brachte uns die Erdölkrise zur Vernunft? Dies ist heute schwer zu sagen. Erst in einigen Jahren wird sich herausstellen, ob wir richtig reagiert haben und mit der Krise fertig geworden sind. Vorläufig haben wir sie jedenfalls noch nicht gemeistert, wie Inflation, passive Zahlungsbilanzen und Arbeitslosigkeit in den meisten Industriestaaten zeigen.

Verfallen wir daher nicht in den beliebten Fehler der Futurologen, die vor lauter Enthusiasmus darüber, was uns ihrer Meinung nach im Jahr 2000 beglücken wird, das Schlamassel der Gegenwart übersehen. Für 1975 sind die Prognosen jedenfalls nicht gerade herzerfrischend.

Die OECD erwartet eine durchschnittliche Inflationsrate von „nur” 11 Prozent — gegenüber 15 Prozent im abgelaufenen Jahr —, aber bei einer Wirtschaftsproduktion, die nicht viel über dem Niveau von 1973 liegen wird, und bei steigenden Arbeitslosenzahlen. Die Politiker — allen voran Giscard in Frankreich und Schmidt in Deutschland — versprechen zwar nach dem Lauf des

Jahres einen Wirtschaftsaufschwung bei „relativer” Stabilität, aber sind dies bloß Absichtserklärungen oder haben die Herren wirklich Rezepte?

Fatale Tatsache ist es jedenfalls, daß die Prognosen der OECD in den letzten Jahren immer wieder zu optimistisch waren. Die große Hoffnung, daß die Erdölproduzenten so „vernünftig” sein werden, das öl wieder zu verbilligen, ist bisher jedenfalls Wunschtraum geblieben. Jede von irgendeinem Ölstaat groß angekündigte Preissenkung erwies sich jedenfalls immer wieder als geschickt maskierte Preiserhöhung.

Österreichs Konjunkturdoktoren attestieren unserem Land eine Zukunft über dem OECD-Standard: Das Wirtschaftsforscbungsinstdtut prognostiziert für 1975 3,5 Prozent Wachstum des Bruttonationalprodukts bei 9,5 Prozent Inflation, das Ford-Institut verspricht sogar 3,9 Prozent Wachstum bei 9,3 Prozent Inflation. Die Vollbeschäftigung wird nach einhelliger Auffassung der Konjunkturforscher auch im neuen Jahr erhalten bleiben.

Zweifellos wird die Regierung alles tun, um die Vollbeschäftigung zu erhalten, das Wachstum anzukurbeln und die Inflationsrate niedrig zu halten. Die Frage ist bloß, mit welchen Methoden dies geschieht.

Wir dürfen nicht vergessen, daß wir in einem Wahljahr stehen und die Konjunktur daher so gut wie möglich „frisiert” werden wird, um der Regierungspartei eine gute Startposition zu verschaffen — was allerdings dn den meisten Fällen dadurch geschehen dürfte, daß man die Probleme vor sich herschiebt So hat man es schon im ahgelaufcnen Jahr gehalten mit dem Effekt, daß sich gegenwärtig die Staatsfinanzen in einem Zustand befinden, der den Staat, wäre er eine Firma, in Konkurs treiben müßte.. Die dringendsten Zahlungen werden gegenwärtig auf dem Kreditwege mit Methoden finanziert, die nach Ansicht vieler Experten gesetz-, ja sogar verfassungswidrig sind.

Wie auch die juristische Seite aus- sehen mag, rein ökonomisch bedeuten diese Manipulationen jedenfalls ein Weiterschleppen der Probleme von 1974 in das neue Jahr, in dem aber für die zusätzlichen Schwierigkeiten ebensowenig Vorsorge getroffen ist wie im abgelaufenen. Für das gigantische Büdgetdefizit 1974, das weit höher ist, als präliminiert wurde, ist in keiner Weise kn neuen Etat Vorsorge getroffen- Im Gegenteil: Vieles spricht dafür, daß abermals die laufenden Einnahmen zu hoch und die Ausgaben zu tief angesetzt wurden, wir also neuerlich mit einem „unvorhergesehenem” Zusatzdefizit rechnen müssen.

Die große Gefahr in Österreich besteht momentan vor allem darin, daß im Hinblick auf den Wahltermin ein Potemkinsches Konjunktur- dorf errichtet wird, welches gleich nach den Wahlen zusammenbricht, Österreich unter das OECD-Niveau geraten läßt und Probleme heraufbeschwört, die noch zu vermeiden wären, wenn die Konsequenzen aus unseren desolaten Staatsfinanzen sowie den sonstigen Schwierigkeiten sofort gezogen und jene Sanierungsmaßnahmen eingCleitet würden, die früher oder später doch kommen müssen. Probleme, die man vor sich herschiebt, erledigen sich nicht von selbst, sondern werden immer größer. Auch das ist erine der simplen Wahrheiten, über die man heute glaubt, hinwegsehen zu können.

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