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Mit Tempo 100 in die Stagflation?

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Österreich, so monierten Warner immer wieder in den letzten Tagen, sei keine Insel der Seligen. Das ist zweifellos richtig. Die internationale Energie- und Rohstoffverknappung geht gewiß nicht spurlos an uns vorbei. Im Gegenteil: Wir sind sogar infolge der unterlassenen Krisenbevorratung in einer besonders prekären Situation.

Mag sein, daß auch diesmal wieder unsere Regierung mehr Glück als — Vorsicht besitzt und eine überraschende Lockerung des ölboykotts ihr über die Runden helfen wird. Verlassen sollte man sich doch lieber nicht darauf.

Aber die Daumenschrauben für den Fetisch Auto und die viel gravierendere Mangelsituation bei Heizölen sind nicht die schlimmsten Folgen der Ölkrise, um so mehr als diese zwar spektakulär im Vordergrund steht, in Wirklichkeit aber nichts anderes als ein Teil einer generellen Energie- und Rohstoffkrise ist, deren voller Umfang erst Schritt für Schritt in den nächsten Jahren evident werden wird.

Zwar besitzt Österreich keine eigene Autoindustrie größeren Um-fangs, aber viele unserer Industriebetriebe sind direkte oder indirekte Zulieferer der internationalen Kfz-Konzerne und daher in weiterer Folge auch in Mitleidenschaft gezogen. Dazu ist der für Österreich so wichtige Fremdenverkehr weitgehend auf den Autotouristen abgestellt. Weiter dürfen wir nicht vergessen, daß die Ölkrise auch den Flugverkehr — und damit abermals den Tourismus — trifft, und daß unter Umständen früher oder später auch die Seilbahnen unter dem Energiemangel leiden könnten. Dies alles träfe Österreich empfindlich.

Überhaupt wird den sonstigen Wirtschaftlichen Auswirkungen allein schon der Ölkrise zuwenig Beachtung geschenkt. Viele Fabriken verwenden nämlich öl als Energieträger und die ganze petrochemische Industrie hängt am „flüssigen Gold“. Hier überall können bei Anhalten der Krise Restriktionen notwendig werden, die auch Konsequenzen für den Arbeitsmarkt haben.

Dabei ist, wie schon gesagt, der ölmangel nur ein Teil allgemeiner Verknappungserscheinungen auf dem Primärsektor, so daß ein Ausweichen auf andere Energiearten nur sehr bedingt möglich ist und Engpässe auch auf anderen Gebieten auftreten können, ja sich bereits in Form einer kontinuierlichen Preissteigerung schon seit längerem auf den internationalen Rohwarenmärkten bemerkbar machen.

Diese konjunkturbremsenden Faktoren von der Versorgungsseite her treffen die österreichische Wirtschaft — genauso wie die internationale — in einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt. Auch ohne Energie- und Roh-materialkrise droht die maßlose Konjunkturüberhitzung der letzten Jahre nunmehr in die Stagnation umzuschlagen.

In Amerika macht man sich emstlich Sorgen wegen einer neuen Baisse und in Deutschland gibt es bereits mehr als 70.000 Kurzarbeiter. Weitere Betriebe haben Kurzarbeit schon beantragt. Nicht anders ist die Situation in den übrigen europäischen Staaten. Die zusätzlichen Bremselernente von der Materialseite her sind deshalb besonders peinlich, ja sie machen die traditionellen Konjunkturbelebungsmaß-nahmen — wie beispielsweise for-

cierte staatliche Investitionstätigkeit und Stärkung der Kaufkraft — zu einem sehr problematischen Auskunftsmittel.

Dies ist um so mehr der Fall, als allen Warnungen zum Trotz die Inflationsbekämpfung während der Hochkonjunktur von den meisten Regierungen nicht ernst genug genommen wurde. Konjunkturbelebungsmaßnahmen, wie sie im nächsten Jahr vielleicht notwendig werden könnten, wirken nahezu immer inflationär.

Dies wäre nicht weiter tragisch, könnten wir von einer einigermaßen stabilen Basis ausgehen. Aber der gegenwärtig ohnehin schon trabenden Inflation neue Inflationsimpulse zu geben, ist nicht nur sehr riskant, sondern womöglich auch noch wirkungslos: Hat nämlich die Inflation ein gewisses Ausmaß erreicht, dann spricht die Wirtschaft auf inflationäre Impulse nur noch sehr schwach an. Es müssen Überdosen verabreicht werden, die — abgesehen von der sozialen Ungerechtigkeit jeder Inflation — die Wirtschaft krank machen und sie letzten Endes in eine lang anhaltende Baisse treiben können.

Was uns also jetzt droht, ist die Stagflation, die Kombination von Inflation und Stagnation. Schon unter normalen Umständen ist das oine sehr gefährliche und schwer zu behandelnde wirtschaftliche Krankheit, weil Konjunkturbelebungsmaß-naihmen inflationistisch und Infla-tionsdämpfungsmaßnahmen konjunkturschwächend wirken, also die Bekämpfung der Krankheit auf der einen Seite zwangsläufig deren andere Seite verschlimmern muß. Es droht uns also jetzt das berüchtigte britische Stop-Go-System, mit dem die Stagnation nicht beseitigt wird und bei dem die Inflation immer zunimmt.

Die Mangelerscheinungen auf dem Primärsektor machen solche Konjunkturbelebungsmethoden besonders dubios. Was soll eine Flut von neuen Aufträgen an eine Wirtschaft, die diese entweder mangels Material und Energie überhaupt nicht erfüllen kann oder die benötigten Mengen nur zu Überpreisen erhält? Dadurch würden nämlich die schon von Haus aus wirksamen Inflationsimpulse von Konjunkturbelebungsmaßnahmen potenziert.

Die Gefahr nicht nur in Österreich, aber besonders hier, besteht nun darin, daß die Wirtschaftspolitiker diese Situation nicht rechtzeitig erkennen und daher die falschen Konsequenzen daraus ziehen könnten. Sie ist bei uns um so größer, als unsere Regierung offenbar entschlossen ist, hauptsächlich die Inflation als Konjunkturinstrument einzusetzen. Operierte sie doch schon völlig unsinnig in Zeiten der Hochkonjunktur mit dem Slogan „Inflation oder Arbeitslosigkeit“.

Was wir heute brauchen, ist eine sehr elastische Wirtschaftspolitik, die externe Dämpfungsfaktoren nicht mit aller Gewalt zu konterkarieren sucht, sondern vielmehr bestrebt ist, die Entwicklung im Griff zu behalten und gleichzeitig die zweifellos vorhandene und auf die Dauer nicht aufrechtzuerhaltende Konjunkturüberhitzung abzubauen. Zugegeben, es muß konjunkturpolitisches Neuland betreten werden. Aber dieser mutige Schritt läßt sich nicht mehr vermeiden, weil die sicheren Methoden von einst heute die unsichersten geworden sind.

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