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Digital In Arbeit

Fragwürdige Wohlfahrtsstrategie

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Prognosen wollen mit Vorsicht genossen sein. Hatten wir noch vor wenigen Jahren vom „strukturellen“ Arbeitskräftedefizit gehört, und wurden die Staaten Mitteleuropas als „klassische“ Arbeitskraftimportländer bezeichnet, so werden jetzt Stimmen laut, die für die achtziger Jahre eine gigantische Arbeitslosigkeit prophezeiten. Machten sich die Wirtschaftspolitiker vor kurzem noch Sorgen darüber, aus welchen Kontinenten in Hinkunft die Arbeitskräfte herangeholt werden sollen, nachdem die Arbeitsmärkte Südeuropas leergefegt waren und auch diejenigen der Levante und Nordafrikas bald erschöpft waren, so können jetzt die meisten Staaten ihre Gastarbeiter gar nicht schnell genug wieder loswerden.

Noch vor wenigen Jahren konnte es die Wirtschaft gar nicht erwarten, daß die geburtenstarken Jahrgänge vom Ende der fünfziger und Anfang der sechziger Jahre ins- erwerbsfähige Alter treten. Nun, da es allmählich so weit ist, erweist es sich als schwer, für sie Arbeitsplätze zu schaffen und diese auch längerfristig zu garantieren. Auf Grund der neuesten Prognosen des Wirtschaftsfor-

schungsinstituts wird es in Österreich wahrscheinlich schon vor 1980, ganz bestimmt aber danach, größere Arbeitskräfteüberschüsse geben.

Kein Zweifel, wir hatten unsere Erwartungen hinsichtlich des Wirt-schaftswachtstums zu hoch geschraubt, wir hatten die diversen bremsenden Faktoren entweder überhaupt nicht beachtet oder zu gering eingeschätzt. Dies darf uns freilich nicht gleich dem anderen Extrem verfallen und ein „Nullwachstum“ erwarten lassen. Die Wirtschaft wird weiter wachsen, allerdings nicht mehr mit so extremen Raten wie bis Anfang der siebziger Jahre.

Wenn das Wirtschaftsforsehungs-institut seine Prognose für das durchschnittliche jährliche Wirtschaftswachstum bis 1985 allmählich auf 3,5 Prozent herunterrevidiert hat, so dürfte dies eine realistische Annahme sein. Es fragt sich nur, ob dieser Realismus nicht früher möglich gewesen wäre, bevor wir weit über 100.000 Ausländer mit falschen Erwartungen ins Land geholt hatten, welche nun selbst sehen können, wie sie mit den Konsequenzen unserer Wachstumseuphorie fertig werden.

Sicherlich wird sich auch bei verringertem Wirtschaftswachstum Arbeitslosigkeit vermeiden lassen, wenn wir uns rechtzeitig auf die veränderten Umstände einstellen und mit richtigen, auch längerfristig durchhaltbaren Maßnahmen darauf reagieren. Mit solchen Primitiv-For-meln wie „Inflation oder Arbeitslosigkeit“, welche uns gegenwärtig die Regierung immer wieder serviert, werden wir allerdings nichts ausrichten. Mit inflationistischen Methoden kann man kurzfristige Depressionen überbrücken, aber als Dauereinrichtung bedeuten sie wirtschaftlichen Selbstmord.

Auch die vielgerühmte „aktive Ar-beitsmarktpoiitik“ kann das Problem nicht lösen. Sie ist nur ein zusätzliches Instrument der Arbeitsmarktpolitik, welche für den optimalen Einsatz der Arbeitskräfte sorgt, aber sie kann selbst keine Arbeitsplätze schaffen.

Ebensowenig kann uns die sogenannte „Wohlfahrtsstrategie“ weiterhelfen, welche durch eine expansive Lohnpolitik und durch eine konstante Steigerung der öffentlichen Ausgaben Arbeitsplätze schaffen möchte. Die Mittel, welche auf

diese Manier verteilt werden sollen, müssen zunächst einmal verdient sein.

Die Vollbeschäftigung wird nur durch eine Kombination von Maßnahmen gesichert werden können. Dazu gehört die Förderung der Investitionstätigkeit und des Exports genauso wie die Sicherung der internationalen Konkurrenzfähigkeit und die Förderung der Mobilität auf dem Arbeitsmarkt durch intensivierte Schulungstätigkeit und durch Anpassung an die beruflichen Erfordernisse.

Es fragt sich auch, ob die bisherige Politik der restlosen Ausschöpfung des Arbeitskräftepotentials tatsächlich auch den echten Erfordernissen entspricht. Ist es wirklich richtig, immer mehr Selbständige in unselbständige Berufe zu überführen, und ist die totale Erwerbstätigkeit der Frauen tatsächlich erstrebenswert? Ist es wirklich ein Fortschritt, wenn immer mehr Mütter im Beruf stehen, statt sich um die Erziehung der Kinder zu kümmern?

Vollbeschäftigung wird sich auch in Zukunft sichern lassen, aber wir werden in vieler Hinsicht umdenken müssen.

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