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Digital In Arbeit

Warten, his der „Pillenknick" wirkt

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Das immer wiederkehrende „Gerede von der Vollbeschäftigung" kann und will er längst nicht mehr hören. Den Weg zum Arbeitsamt freilich erspart ihm auch freiwillige Medienabstinenz nicht: Hannes St., 18, Bauarbeiter „leider ohne Abschluß, weil ich die Lehre net fertigg'macht hab'", ist arbeitslos. Seit nunmehr bereits drei Wochen - und der Winter, die traditionell schlechte Saison für Arbeitsuchende, dauert noch eine Weile. f.

Arbeitslos: Dem verbürgten Zitat erwachsener Passanten, wonach „noch jeder anständige Mensch a Arbeit gefunden hat, man muß sich nur a bißl bemühen", stehen Tag für Tag Hunderte auf den österreichischen Arbeitsämtern ungläubig gegenüber. Darunter immer mehr Jugendliche, die nach dem (Pflicht-)Schulabgang keinen Job gefunden haben: „Vielleicht ist morgen was für Sie dabei."

Wobei Statistiker und Politiker es längst aufgegeben haben, das Verhältnis von Arbeitslosen oder Lehrstellensuchenden der tatsächlichen Zahl an offenen Stellen gegenüberzustellen. Wozu auch, wird doch ein gelernter Schneider nur selten auf Maurer umsatteln. Oder gar ein Osttiroler nach Salzburg oder Wien übersiedeln möchte: Das mag selbstherrlich klingen, entspricht aber nur menschlichen Grundhaltungen, zumal in jungen Jahren.

Dr. Josef Bucek vom Institut für Höhere Studien in Wien schon vor eineinhalb Jahren, als hierzulande die Jugendarbeitslosigkeit noch weit entfernt schien, im Rahmen einer Tagung: „Sowohl die Zahl der jugendlichen Arbeitslosen nimmt zu als auch die Dauer der Arbeitslosigkeit." Er konnte sich dabei aufwerte berufen, die - leider - das Leben schrieb: Bei einer durchschnittlichen Arbeitslosenrate von knapp über fünf Prozent in den OECD-Staaten waren Jugendliche zwischen 15 und 24 zu 10,7% betroffen.

Die Tendenz: steigend.

Und das nicht nur, weil erst in etwa eineinhalb bis zwei Jahren der Höhepunkt der Welle arbeitsplatzsuchender Jugendlicher erreicht, der vielzitierte „Pillenknick" seine Wirkung tun wird - und im Zeitabschnitt von 1977 bis 1985 gut und gern 300.000 zusätzliche Arbeitsplätze aus dem Boden gestampft werden müssen. Sondern auch, weil parallel mit einer Sättigung der Kaufwut der mittlerweile im Durchschnitt bereits gut ausgestatteten Haushalte (Beispiel: In 83 von 100 Wohnungen steht heute bereits eine Waschmaschine, 48% der Haushalte besitzen ein Färb-, 52% ein Schwarzweißfernsehgerät usw.) die Produktivität jedes einzelnen Arbeiters gestiegen ist - und überdies technische Revolutionen wie Automaten und Datenverarbeitungsanlagen zusätzlich jenen Arbeitsmarkt belasten, der infolge des geringen Wirtschaftswachstums ohnedies bereits an vielen Ecken und Enden aus den Nähten zu platzen droht. Das freilich nicht erst, seit Eumig 1200 blaue Briefe zur Post trug...

„Die Zeiten, wo man sich noch bedingungslos jeden Beruf aussuchen und schließlich in ihm auch unterkommen korinte, sind vorbei", predigt denn auch der Bildungsökonom und Universitätsprofessor Werner Clement seinen Studenten an der Wiener Wirtschaftsuni: Selbst Akademiker, so zeigen ex-post-Analysen wie auch Zukunftsprognosen, sind nicht mehr das Salz in jeder Suppe -die Bildungsexplosion entläßt längst schon in einigen Disziplinen mehr Magister und Doktoren, als der Arbeitsmarkt aufzunehmen imstande ist. Wobei als erschwerendes Moment noch hinzukommt, daß in manchen Sparten die relativ leichte Substituierbarkeit (etwa bei Handelsakademikern, Juristen, Welthändlern) der Ausgebildeten den Kampf um den Berufsplatz noch verschärfen kann.

Worum geht es also, worum wird es gehen müssen in den kommenden Jahren? Der K(r)ampf mit der Vollbeschäftigung - ausgetragen in immer stärkerem Ausmaß auf dem Rücken der in den Arbeitsmarkt drängenden Jugendlichen - wird sich nicht mehr emotionslos-nüchtern auf die reine Arbeitsplatzvermittlung beschränken können. Er wird vielmehr zu einer tiefergehenden Neuorientierung führen müssen: Zu Solidarität (wie Weihbischof Wagner etwa einen Verzicht auf Uberstunden propagiert hat), vor allem aber auch zu einer tiefgehenden Betrachtung der vergangenen fetten Wachstumsjahre.

Denn die, begründet auf der Schaffung künstlicher Bedürfnisse, um Gewinne zu erzielen, sind nunmehr zu Ende - was für die Katholische Sozialakademie in logischer Konsequenz zu den momentan erlebten Rückschlägen, gepaart und angereichert mit Energieproblemen, führen muß.

Gesucht wird ein Gesellschaftssystem, in dem nicht ein Konsumzwang den nächsten jagen muß, um Wirtschaft und Vollbeschäftigung am Leben zu erhalten, gesucht wird ein Weg, wo der Faktor Arbeit auch zu einer kreativen Entfaltung der einzelnen Persönlichkeit Mensch führen kann: eine notwendige Utopie. Und gesucht wird vor allem eine rasche Lösung - denn zwar wird mit gutem Recht von Regierung und Gewerkschaft beteuert, ohne die intensiven Bemühungen ihrerseits gäbe es in Österreich bereits Abertausende Arbeitslose mehr. Nur: Für Hannes St. und seine Leidensgenossen auf den Arbeitsämtern bleibt das ein recht schwacher Trost...

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