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39-Stunden-Woche ohne Lohnausgleich?

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Über die Möglichkeit, durch Senkung der Arbeitszeit zusätzliche Arbeitsplätze zu schaffen, wird auch in Österreich heftig diskutiert. Felix Butschek vom österreichischen Institut für V/irtschaftsforschung lehnt eine Arbeitszeitreduktion. - auch ohne Lohnausgleich - nicht rundweg ab. Die FURCHE wird auch anderen Autoren Gelegenheit zur pointierten Stellungnahme geben.

In jüngerer Zeit ist nicht nur in Kreisen der Nationalökonomen, sondern auch in der breiteren Öffentlichkeit eine Diskussion wieder aufgeflammt, die es bereits in den dreißiger Jahren dieses Jahrhunderts gegeben hat. Es geht um die Frage, ob Arbeitszeitverkürzung ein geeignetes Mittel zur Erhaltung der Vollbeschäftigung darstellt.

Ausgangspunkt der Überlegungen ist die Tatsache, daß es in bestimmten Situationen nicht möglich ist, Vollbeschäftigung zu erreichen, indem man die Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen in einer Weise ausdehnt, daß die brachliegenden Arbeitskräfte wieder in den Produktionsprozeß eingegliedert werden. In einem solchen Fall - und nur in einem solchen - ist zu überlegen, ob man nicht durch Reduktion des Arbeitskräfteangebotes das Gleichgewicht auf dem Arbeitsmarkt wieder herstellen könnte.

Eine Entlastung des Arbeitsmarktes wäre zunächst durch weitere Verringerung des Standes an ausländischen Arbeitskräften gegeben -durch den sogenannten „Export der Arbeitslosigkeit“. 1978 waren 176.700 Ausländer in Österreich beschäftigt, das entsprach 6,3 Prozent der Gesamtbeschäftigung. Sicherlich wäre es möglich, diese Zahl zu reduzieren.

Freilich bleibt die Frage offen, in welchem Ausmaß die Ausländer durch Inländer substituierbar sind. Die Ausländer üben vorwiegend we-

„Freilich bleibt die Frage offen, in welchem Ausmaß die Ausländer durch Inländer substituierbar sind“

nig .qualifizierte Berufe mit vergleichsweise niedriger Entlohnung aus, und es läßt sich nicht ohne weiteres absehen, wie weit Inländer bereit sind, diese Arbeitsplätze einzunehmen. Die Erfahrung seit der letzten Rezession weist eher darauf hin, daß ausländische Arbeitskräfte ersatzlos abgebaut werden.

Eine Möglichkeit, durch institutionelle Veränderungen das Arbeitskräfteangebot zu verringern, besteht in einer Verlängerung der Schulpflicht. Dadurch wird praktisch ein Jahrgang aus dem Erwerbspotential herausgenommen. Die Verlängerung der Schulpflicht betrifft allerdings nicht den ganzen Jahrgang und wirkt sich auch nicht zur Gänze im JaBf der Einführung aus.

Bereits 1976 wurde - freilich ohne jede arbeitsmarktpolitische Absicht - das 9. Schuljahr eingeführt. Damals verringerte sich das Angebot an Unselbständigen im selben Jahr um rund 35.000 und im folgenden um rund 15.000.

Eine derartige Maßnahme entlastet den Arbeitsmarkt allerdings nur auf mittlere Sicht. Kurzfristig sinkt dadurch nur die Zahl der Lehrstellensuchenden. Da es sich bei den Lehrlingen im ersten Lehrjahr um Arbeitskräfte handelt, die zum Teil noch nicht voll einsatzfähig sind, wird der Ausfall eines solchen Jahrganges die Unternehmer veranlassen, nur im beschränkten Ausmaß Ersatzarbeitskräfte einzustellen. Ein stärkerer Effekt ist erst zwei bis drei Jahre später zu erwarten.

Unmittelbar würde sich wahrscheinlich eine Senkung des Pensionsalters auf den Arbeitsmarkt auswirken. In einem solchen Fall wären die Unternehmer gezwungen, die wegfallende Arbeitskraft sehr rasch zu ersetzen. Freilich sind diesem Instrument gegenüber große Reserven angebracht: zunächst aus sozialpolitischen Erwägungen. Die Diskussion der letzten Jahre hat immer deutlicher die psychologische Problematik

der Beendigung des Erwerbslebens für das Individuum gezeigt.

Es ist anzunehmen, daß die heutigen Altersgrenzen den gegenwärtigen Lebensbedingungen nicht mehr entsprechen. Nun läßt sich sicherlich darüber diskutieren, ob eine generelle Heraufsetzung der Altersgrenze wünschenswert oder eher ein allmählicher Ubergang in den Ruhestand anzustreben sei. Sicher ist, daß eine allgemeine Senkung des Pensionsalters jedenfalls verfehlt wäre - nicht zu reden von der finanziellen Belastung, welche der Pensionsversicherung und dem Staat dadurch erwüchsen.

Ähnliche Überlegungen gelten für eine Verlängerung des Karenzurlaubes.

Bleibt schließlich die Arbeitszeitverkürzung. Der beste Weg, um sich vorurteilsfrei einen Uberblick über Möglichkeiten und Grenzen der Arbeitszeitreduktion zu verschaffen, liegt wohl in der Analyse vergangener Entwicklungen. Senkungen der Normalarbeitszeit gab es in Österreich - sei es in Form von Verkürzungen der Wochenarbeitszeit, sei es durch Urlaubsverlängerungen - seit 1959 relativ häufig, und zwar bisher stets mit Lohnausgleich.

Hiebei zeigt sich, daß die Arbeitszeit nie sofort im vollen Ausmaß reduziert wird. Erst allmählich paßte man die effektive Arbeitszeit der gesetzlich oder kollektiwertraglich normierten an.

Aber selbst die volle Arbeitszeitverkürzung muß nicht die entsprechende Beschäftigungskompensation bringen. Die ältere Literatur nimmt an, daß solche Reduktionen häufig außerordentliche Produktivitätssteigerungen dadurch bewirken, daß bei verkürzter täglicher Arbeitszeit die Leistungsfähigkeit der Beschäftigten steigt. Es ist zweifelhaft, wie weit diese Überlegung für die heutige Dauer der täglichen Arbeitszeit noch zutrifft.

Der ökonometrische Test deutet eher darauf hin, daß die Arbeitszeitreduktion weitgehend durch Beschäftigungsausweitungen kompensiert werden. Allerdings erfolgt diese Kompensation über mehrere Jahre hinweg. Nach den Erfahrungen der Vergangenheit würde also eine Arbeitszeitreduktion von einer Wochenstunde (2,5 Prozent) eine Be-schäftigungsaüsweitung um rund 20.000 im laufenden und etwa ebensoviel in den folgenden beiden Jahren bewirken.

Allerdings ist es möglich, daß sich bei tendenzieller Unterbeschäftigung und Wachstumsverlangsamung die Verhaltensweisen ändern. So deutet das Jahr 1975 darauf hin, daß unter solchen Umständen die Senkung der Normalarbeitszeit sofort realisiert wird. Ob dann der Beschäftigungseffekt eintritt, hängt von der Konjunktur- und Arbeitsmarktlage ab.

In einer Periode vergleichsweise starker Arbeitskräftehortungen und pessimistischer Ertragserwartungen könnte eine Arbeitszeitsenkung den

„Arbeitszeitreduktion von einer Wochenstunde würde Beschäftigungsausweitung um 20.000 bewirken“

Zweck der Beschäftigungssteigerung überhaupt verfehlen, weil die Betriebe in der Lage wären, das gegebene Produktionsvolumen im wesentlichen mit den vorhandenen Arbeitskräften herzustellen, die Arbeitszeitreduktion also durch außerordentliche Steigerung der „Stundenproduktivität“ vollständig kompensiert werden könnte. Dies gilt freilich in erster Linie für

den sekundären Sektor. In den Dienstleistungen - insbesondere im öffentlichen Dienst - ist ein derartiger Arbeitskräfteüberhang nicht ohne weiteres denkbar, so daß dort fast stets mit Beschäftigungseffekten zu rechnen sein wird.

Schließlich bleibt noch die Frage der Kosten. In der Vergangenheit waren die Arbeitszeitverkürzungen bei vollem Lohnausgleich vorgenommen worden: für die Unternehmer ergaben sich daher Kostenerhöhungen. Als reines Instrument der Beschäftigungspolitik wären sie kostenneutral, also ohne Lohnausgleich vorzustellen.

Gegen diese Überlegung wird vielfach eingewandt, Lohnsenkungen seien undenkbar, daher müsse das Instrument der Arbeitszeitverkürzung aus Kostengründen abgelehnt werden. Wiewohl die Ereignisse in der BRD diese These stützen, dürfte in Österreich dieser Weg nicht ganz versperrt sein.

Natürlich ist eine Senkung des Nominallohnes kaum denkbar. Aber

„Zusammenfassend läßt sich sagen, daß die Arbeitszeitreduktion nicht rundweg abgelehnt werden kann“

darum kann es solange nicht gehen, als es wenigstens ein bescheidenes nominelles Wachstum des Brutto-Nationalproduktes gibt, das zu Lohnforderungen Anlaß gibt. Eine Arbeitszeitsenkung um eine Wochenstunde oder 2,5 Prozent würde dann ohne finanzielle Kompensation bleiben, wenn die Lohnabschlüsse cete-

ris paribus an zwei aufeinanderfolgenden Lohnrunden um jeweils rund ein Prozent niedriger ausfielen.

Zusammenfassend läßt sich daher sagen, daß die Arbeitszeitreduktion nicht rundweg als Mittel der Beschäftigungspolitik abgelehnt werden

kann. Die Erfahrungen der Vergangenheit in Österreich deuten zumindest daraufhin, daß sie einen Beitrag zur Beschäftigungsstabilisierung zu leisten imstande ist - wenngleich vorerst keine Notwendigkeit ihres Einsatzes besteht.

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