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Digital In Arbeit

Schwesternstellen für die Maurer

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Ein Thema wird bei den Klausurtagungen von Regierung und SPÖ am 11. und 12. Jänner trotz Arbeitsplatzsorgen wohlweislich ausgeklammert: die Arbeitszeitverkürzung.

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Ein Thema wird bei den Klausurtagungen von Regierung und SPÖ am 11. und 12. Jänner trotz Arbeitsplatzsorgen wohlweislich ausgeklammert: die Arbeitszeitverkürzung.

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In diesem Jänner rechnen die Wirtschaftsforscher mit 150.000 Arbeitslosen. Man muß bis 1963 in der Statistik zurückblättern, um ähnliche Zahlen zu finden. Und im heurigen Jahresschnitt droht die Arbeitslosenrate auf drei Prozent und mehr zu klettern.

Für Sozialminister Alfred Dal-linger ist das die Zeit, jetzt erst recht auf die Arbeitszeitverkürzung durch eine fünfte Urlaubswoche für alle zurückzukommen: Nach der Regierungsklausur, die sich hauptsächlich mit der Umsetzung des Kreisky-Mock-Abkommens vom 10. Dezember wird beschäftigen müssen, will er in Regierung und Gewerkschaft die Diskussion ankurbeln. Ab 1. Jänner 1983 soll es mehr Urlaub geben.

Dallinger ist im Gespräch mit der FURCHE von der „arbeitsver-teilenden Wirkung" der Urlaubsverlängerung überzeugt. Sein Motto: „Eine besondere Situation, wie sie sich jetzt stellt, erfordert eben besondere Maßnahmen."

Die besondere Situation ist unbestritten, die arbeitsverteilende Wirkung hingegen sehr: Denn die nunmehrigen Arbeitslosensorgen sind auf branchenspezifische und regionale Beschäftigungseinbrüche zurückzuführen.

Ein Umstand, den auch Helmut Kramer, Leiter des Wirtschaftsforschungsinstitutes, unterstreicht und der ihn nachdenklich macht, ob dagegen eine Arbeitszeitverkürzung eine heilsame Medizin ist.

„Die Situation ist so unterschiedlich nach Branchen und Regionen, daß man diejenigen, die jetzt in Schwierigkeiten sind, besonders die Grundstoffindustrie, den steirischen Raum oder überhaupt die alten Industriegebiete, nur noch in eine schlechtere Situation bringt und damit nicht viel gewinnt", umreißt Kramer vorsichtig das Problem.

Natürlich bringt eine andere Verteilung des Arbeitskuchens auch neue Arbeitsplätze: dort, wo sie nicht unbedingt gebraucht werden. „Die Arbeitszeitverkürzung", so Kramer zur FURCHE, „bringt an Beschäftigungseffekt in erster Linie dort etwas, wo Dienstleistungen ersetzt werden müssen: Man gewänne beispielsweise in Wien, wo ohnehin der Dienstleistungssektor überwiegt und wo die Beschäftigungslage ja insgesamt noch nicht schlecht ist."

In früheren Jahren hatte der Dienstleistungssektor die Funktion eines Schwammes: Er sog zusätzliches Arbeitskräfteangebot auf.

Jetzt glaubt Kramer Anzeichen zu erkennen, „daß dieser Schwamm vollgesogen ist: Wir haben 1981 festgestellt, daß sich im privaten Dienstleistungssektor, speziell im Handel, im Fremdenverkehr, aber auch bei Banken und Versicherungen der Beschäftigtenstand nicht mehr ausgeweitet hat. Teilweise ist er sogar rückläufig. Im öffentlichen Dienst ist noch eine leichte Zunahme da, aber auch schon schwächer als in früheren Jahren."

Auf die Frage „Wo bekomme ich Arbeit für die Industrie- und Bauarbeiter her?" sieht der Wirtschaftsforscher in einer Urlaubsverlängerung keine zufriedenstellende Antwort.

Dazu kommt noch, „daß die Arbeitslosigkeit bei Männern stark zugenommen hat. Aber Dienstleistungsberufe sind in stärkerem Maß Frauenberufe, teilweise auch Zweitverdienerberufe. Also da Beschäftigung zu schaffen, löst das Problem nicht wesentlich". Arbeitslosen Maurern nützt es nicht, wenn mehr Krankenschwestern gebraucht werden.

Ein anderes Problem dabei ist auch Sozialminister Dallinger wohl bewußt: Für den Arbeitgeber Staat bedeutet weniger Arbeitszeit mehr Beamte.

„Bei den Dienstleistungen überhaupt, vor allem im öffentlichen Dienst geht das ins Geld," sieht der Minister auch budgetäre Klippen.

Ob wir uns das leisten können? „Am teuersten ist die Arbeitslosigkeit."

Ob sein Regierungskollege Herbert Salcher auch so denkt? Dallinger: „Da müssen Sie ihn selbst fragen."

Der Finanzminister gibt darauf eine vielsagende Antwort: „Die Verkürzung der Arbeitszeit bringt theoretisch neue Arbeitsplätze", wobei er das Wort „theoretisch" besonders betont, „ist aber ein bedeutender Kostenfaktor."

Was eine zusätzliche Urlaubswoche den Staat kostet, hat er nicht parat, wohl aber zum Vergleich, was eine Stunde weniger Wochenarbeitszeit erfordern würde: zwei Milliarden Schilling für die Bundesbediensteten.

Zwar könnte bei einer Urlaubsverlängerung durch Umorganisa-tion die Belastung etwas gedrückt werden, dann aber geht der erhoffte Beschäftigungseffekt erst recht verloren.

Und nicht nur bei den Beamten: In der Urlaubszeit müssen die Nicht-Urlauber mehr arbeiten. Ein neuer Kollege wird dafür nicht eingestellt.

Trotzdem schlägt sich jede Arbeitszeitverkürzung in den Kosten nieder. Und ein Kostenauftrieb nährt die Inflation.

SPÖ-Wirtschaftssprecher Ernst Eugen Veselsky glaubt, daß das die Lohnabschlüsse um bis zu zwei Prozent senken könnte. Wobei er auch einen positiven wirtschaftspolitischen Aspekt entdeckt: „Dann wird weniger für Importgüter ausgegeben. Das täte der Handelsbilanz gut."

Ein negativer sozialpolitischer Aspekt wird weniger beachtet: Da die Pensionen mit der Einkommensentwicklung der Aktiven verknüpft sind, schlägt das zeitverschoben auf die Pensionsentwicklung durch: die Erhöhung fällt mager aus. Obwohl vorher bereits höhere Inflationsraten verkraftet werden müssen. Der Härte, die das für Ruheständler bedeuten könnte, steht die Verlockung gegenüber, auch auf diesem Weg die angespannte Finanzlage der Pensionsversicherung (siehe untenstehenden Beitrag) zu entlasten.

Während ÖVP-Sozialsprecher Walter Schwimmer diese Gefahr konkret auf die Pensionisten zukommen sieht, ist sein sozialistischer Widerpart Edgar Schranz überzeugt, daß im Fall des Falles die Formel der Pensionsdynamik geändert werden wir d. Aber auch das kostet Geld.

Einigkeit besteht über Parteigrenzen und Arbeitsgebiete hinweg aber darüber, daß es sicher zu einer Arbeitszeitverkürzung kommen wird: nicht zum 1. Jänner 1983, aber Mitte der achtziger Jahre und in Etappen wie zwischen 1970 und 1975.

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