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Auf einem Ast...

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Der Präsident der Vereinigung österreichischer Industrieller, Dr. Mayer-Gunthof, führte kürzlich im „AbendJournal“ des österreichischen Rundfunks ein Gespräch mit Dr. Helmut Bock, dem Leiter der Hauptabteilung „Information“ des Hörfunks, über aktuelle Sorgen der österreichischen Industrie, das wir nachstehend wiedergeben:

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Der Präsident der Vereinigung österreichischer Industrieller, Dr. Mayer-Gunthof, führte kürzlich im „AbendJournal“ des österreichischen Rundfunks ein Gespräch mit Dr. Helmut Bock, dem Leiter der Hauptabteilung „Information“ des Hörfunks, über aktuelle Sorgen der österreichischen Industrie, das wir nachstehend wiedergeben:

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FRAGE: Die österreichische Industrie erlebt derzeit bewegte Zeiten. Seit der Pfundabwertung ist nun schon längere Zeit vergangen, und es erhebt sich die Frage, in welchem Zusammenhang diese einschneidende internationale Maßnahme mit den Schwierigkeiten der österreichischen Wirtschaft steht. Zugleich rollt eine Lohnwelle. Wir haben uns deswegen an den Präsidenten der Industriellenvereinigung, Herrn Dr. Mayer-Gunthof, gewendet.

Herr Dr. Mayer-Gunthof, kann man schon sagen, welche Folgen die Pfundabwertung für die österreichische Industrie haben wird?

ANTWORT: Lassen Sie mich dazu gleich eines feststellen: Die von Ihnen erwähnten Schwierigkeiten der österreichischen Wirtschaft haben viel tiefere Ursachen als die Pfundabwertung. Sie sind durch diese Maßnahmen nur verstärkt worden, aber sie datieren nicht erst von voriger Woche.

FRAGE: Was hat die österreichische Industrie von der Pfundabwertung zu erwarten beziehungsweise zu befürchten?

ANTWORT: Die Abwertung der britischen Währung und in ihrem Gefolge die der Währung anderer Länder ist für die österreichische Industrie eine äußerst ernste Sache. Man sollte die Lage keineswegs dadurch bagatellisieren, daß man sagt, es handle sich ja nur um einige Prozente unserer Ausfuhr, die davon betroffen werden.

Bedenken Sie, daß der Lebensstandard unseres ganzen Volkes in sehr hohem Maß von unserer Ausfuhr abhängt. Sie können sich vorstellen, daß jede Erschwerung des Exportes für unser Land bedenklich sein muß. Man sollte sich nämlich keineswegs von steigenden Exportziffern täuschen lassen; diese

sagen nämlich gar nichts darüber aus, ob Exportgeschäfte noch gewinnbringend oder ob sie nicht schon verlustreich sind. Eine ganze Reihe von Exportverbindungen wird heute unter Verlusten gehalten, nur einfach deswegen, damit wir die Märkte im Ausland nicht verlieren. Denn man ist leichter aus einem Markt draußen als drinnen.

FRAGE: Wirkt sich die Pfundabwertung also nur auf unsere Exporte aus?

ANTWORT: Nein, natürlich nicht nur auf die Ausfuhr Österreichs. Vergessen wir nicht, daß britische Waren im Ausland jetzt billiger geworden sind, so daß zu erwarten ist, daß auch mehr britische Güter auf den österreichischen Markt strömen werden, natürlich auch Güter aus anderen Ländern, die ihre Währung abgewertet haben. Und noch etwas sehr wichtiges: Vor allem wird jetzt der Konkurrenzkampf auf dritten Märkten, wo also unsere Waren mit englischen und anderen im Wettbewerb liegen, viel härter werden.

FRAGE: Nun, Herr Dr. Mayer-Gunthof, wie steht das alles in Beziehung zu der derzeit laufenden Lohnwelle in der Industrie?

ANTWORT: Ich antworte Ihnen als Industrieller, der von Berufs wegen Realist ist. .Teder Industrielle muß die Dinge mit großem Ernst sehen, weil er ja die Verantwortung für Arbeitsplätze und damit für das Schicksal von Arbeitern und Angestellten und natürlich auch deren Familien trägt. Darum muß ich mit allem Verantwortungsbewußtsein sagen, daß im Augenblick jede, auch die geringste Kostensteigerung eine schwere Gefahr für uns alle ist..

Ich bitte folgendes zu beachten: Die Löhne sind nun einmal der wichtigste Kostenfaktor. Seit Jahren aber liegt die Steigerung der Löhne beträchtlich über unserem Wirtschaftswachstum und der Steigerung der gesamtwirtschaftlichen Leistungsfähigkeit, der sogenannten Produktivität. Dazu kommt eine Reihe anderer schleichender Kostensteigerungen, wie etwa bei Tarifen und Steuern, Was ist die Folge? Die Erträge der Industrie, des wichtigsten Bereiches unserer Volkswirtschaft, sinken immer mehr. Sie können die Konsequenz daran erkennen, daß die Industrie in

den letzten Jahren immer weniger investiert hat.

FRAGE: Eine Zwischenfrage, Herr Doktor Mayer-Gunthof: Sollte die Industrie also

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ANTWORT: Hier liegt ja der Kern der Schwierigkeiten. Glauben Sie mir, wir Industrielle schlafen nicht, wie das oft sehr oberflächlich behauptet wird. Wir würden gerne investieren, und zwar viel investieren, das heißt also für die Verbesserung und Modernisierung unserer Unternehmen tun, weil wir wegen der wachsenden Konkurrenz mehr investieren müßten. Aber mit Ermahnungen, wir sollten mehr investieren, ist es nicht getan. Es fehlen uns einfach infolge der Minderung der Erträge die Mittel. Dadurch, daß die Investitionen der Industrie seit Jahren ständig zurückgehen, während sie eigentlich steigen müßten, ist auch das Wachstum unserer Wirtschaft gesunken. So kommt es dazu, daß nun erstmals seit Jahren ernstlich um Arbeitsplätze gefürchtet werden muß.

FRAGE: Sehen Sie eine Möglichkeit, diese Schwierigkeiten zu überwinden?

ANTWORT: In der jetzigen ernsten Situation kommt es sehr entscheidend auf die Einsicht unseres Sozial- und Wirtschaftspartners, der Gewerkschaften, an. Angesichts des hohen Anteils der Löhne am Volkseinkommen hat die Löhnpolitik ganz einschneidende gesamtwirtschaftliche Auswirkungen. Es würde von einem Mangel an Tatsachensinn zeugen, wenn angesichts der Schwierigkeiten der österreichischen Wirtschaft, die, wie ich nochmals sagen möchte, durch die Pfundabwertung nicht hervorgerufen, sondern nur verschärft wurden, weiter Forderungen gestellt würden, deren Erfüllung über unsere wirtschaftliche Leistungskralt hinausgehen muß.

Ich kann nur sehr ernst darauf aufmerksam machen, daß Österreich gerade jetzt vor allem eine Atempause in der Lohnpolitik braucht, weil die internationale Konkurrenz durch die Pfundabwertung eine starke Dramatisierung erfahren hat.

Unser Sozial- und Wirtschaftspartner trägt also eine große Verantwortung auch für die Arbeitsplätze seiner Mitglieder Ich hoffe, daß es doch gelingen wird, bei gemeinsamem gutem Willen der nicht wegzuleugnenden ernsten Schwierigkeiten, denen sich die Industrie gegenübersteht, Herr zu werden. Alles andere wäre ein Sich-Versehließen vor sehr ernsten Tatsachen. Gerade in der jetzigen Situation möchte ich an ein Wort des großen österreichischen Staatsmannes und Gewerkschaftspräsidenten Johann Böhm erinnern, daß Arbeitgeber und Arbeitnehmer auf einem Ast sitzen.

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