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Arbeit verteilen ?

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Kann man „Arbeit teilen wie Brot“? Gegen- diese Einheitlichkeit des Vorgehens spricht nicht nur, daß gravierende Interessen der Arbeitnehmer unter den Tisch fallen würden.

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Kann man „Arbeit teilen wie Brot“? Gegen- diese Einheitlichkeit des Vorgehens spricht nicht nur, daß gravierende Interessen der Arbeitnehmer unter den Tisch fallen würden.

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Das starre Festhalten der Ge-“werkschaftsbundführung und des von ihr gestellten Sozialministers an der Einführung der 35-Stunden-Woche für alle österreichischen Arbeitnehmer läßt sich nur durch die krisenhaften Schwierigkeiten der Arbeitnehmervertretung erklären, sich von der bisher klassenbegründeten Solidarität auf die differenzierteren Bedürfnisse der verschiedenen Arbeitnehmergruppen umzustellen.

Der Forderung des ÖGB auf Einführung der 35-Stunden-Wo-che durch einen Generalkollektivvertrag liegt ökonomisch die sicherlich realistische Erwartung zugrunde, daß die anhaltende technologische Entwicklung eine weiterhin steigende Arbeitsproduktivität erwarten läßt.

Sie veranlaßt aber zunächst zur Frage, warum der Wertzuwachs aus der Erhöhung der Arbeitsproduktivität nur im Wege einer einheitlichen wöchentlichen Arbeitszeitverkürzung für alle weitergegeben werden soll. Dafür bestehen nämlich verschiedene Möglichkeiten, die sich teils aus der Wettbewerbssituation, teils aus den Präferenzen der Arbeitnehmer ergeben. Unternehmer, die unter hartem Konkurrenzdruck stehen, werden die so erzielte Wertschöpfung — gerade im Interesse ihrer Mitarbeiter — zur Senkung ihrer Preise oder zur Erhöhung ihrer Investitionen verwenden müssen.

Gegen die Einheitlichkeit des Vorgehens sprechen auch die unterschiedlichsten Wünsche der Arbeitnehmer: Wie zahlreiche Umfragen bestätigen, legen die einen mehr Wert auf Freizeitverlängerung, andere auf Erhöhung oder wenigstens Erhaltung ihres Einkommens. Ihre Vorstellungen über den Zweck ihrer Arbeit variieren stark nach dem Ausmaß ihrer Befriedigung durch ihre Berufstätigkeit, ihre Freude an der Freizeit, ihrem Einkommensbedarf, nach Familiengesichtspunkten und ähnlichem. Gegen die Erwartung realistischer Kombinationsmöglichkeiten spricht der eng begrenzte Spielraum eines derzeit rund 1,5 Prozent ausmachenden mittelfristigen jährlichen Produktivitätszuwachses pro Erwerbstätigem in Österreich.

Aufgrund der Untersuchungen der verschiedenen Wirtschaftsbereiche stellte der Beirat für Wirtschafts- und Sozialfragen1 denn auch äußerst unterschiedliche Verhältnisse in bezug auf Auftragslage, Beschäftigungssituation, Produktivität und Uberwäl-

„Die Vorstellungen über den Zweck der Arbeit variieren stark“ zungsmöglichkeiten bei den Preisen insbesondere im Hinblick auf die ausländische Konkurrenz fest. Er leitete daraus die naheliegende Konsequenz ab, das Problem der Arbeitszeitverkürzung am besten im Verantwortungsbereich der Kollektivvertragspartner zu belassen und vorerst von einer generellen Vorgangsweise Abstand zu nehmen.

Im Hinblick auf die von Betrieb zu Betrieb unterschiedlichen Marktstrategien auf der einen und auf die unterschiedlichen Arbeitnehmerpräferenzen auf der anderen Seite wird der Betriebsvereinbarung, wenn nicht in Hinkunft auch dem Einzelarbeitsvertrag innerhalb kollektivvertraglieher Rahmenbedingungen, eine wachsende Bedeutung zukommen.

Auch eine differenziert fortschreitende Arbeitszeitverkürzung wird von einer zunehmenden Flexibilisierung der Arbeitszeitformen begleitet werden müssen, weil Betriebszeiten nicht im gleichen Ausmaß wie die Arbeitszeit verkürzt werden können. Zwischen Flexibilisierung und Arbeitszeitverkürzung aber gibt es gewisse Zusammenhänge.

Gegen die Vorstellung, man könne „Arbeit teilen wie Brot“ spricht das sehr differenzierte Angebot: Einem Uberangebot von zu wenig oder fehl ausgebildeten Arbeitskräften steht ein Mangel an Fachkräften gegenüber. Der längere Arbeitseinsatz (natürlich mit höheren Löhnen) der knappen Kräfte ist eine Voraussetzung für die Aufrechterhaltung oder Erhöhung der Beschäftigung in den vor- und nachgelagerten Unternehmungen.

Aufgrund von Unternehmungsbefragungen nimmt der Beirat an, daß das Beschäftigungsverhalten der Unternehmungen heute unter dem Einfluß vorsichtigerer Zukunftserwartungen und neuer technologischer Möglichkeiten anders zu beurteilen ist, wobei kaum abgeschätzt werden kann, wie sehr diese vor-sichtigereHal-tung gegenüber der Neueinstellung von Beschäftigten dem Einfluß * der schlechteren Konjunkturlage zu Beginn der achtziger Jahre oder dauerhaften Verhaltensänderungen zuzuschreiben ist.

Für den — in Österreich besonders umfangreichen — öffentlichen Dienst ist ein Beschäftigungseffekt nur unter hohen Kosten zu erzielen: Auf Kosten der ohnehin schleppenden Budgetsanierung, auf Kosten der Steuerzahler, auf Kosten der Realeinkommen der Bediensteten oder im Wege partieller Reduktionen des staatlichen Leistungsangebotes.

In Konkurrenz zur Verkürzung der wöchentlichen oder - bei längeren Durchrechnungsperioden — mehrwöchigen oder jährlichen Arbeitszeiten stehen auch Vorstellungen, die eine Veränderung der Lebensarbeitszeit im Auge haben, sei es im Zusammenhang mit Ausbildungszeiten, mit einem gleitenden Eintritt in das Pensionsalter und ähnliches. Eine generelle Verkürzung der periodischen Arbeitszeit würde alle anderen Variationsmöglichkeiten nicht nur bis 1991 präjudizieren.

In bezug auf die gesellschaftlichen Aspekte einer Arbeitszeitverkürzung ist der Beirat der nüchternen Auffassung, daß das Ausmaß der Arbeitszeit einer von vielen Faktoren der Arbeitsbelastung ist und deren Reduktion einen Beitrag zur psychischen und physischen Entlastung darstellen kann, vor allem bei schweren oder monotonen Tätigkeiten, der Umfang und die Dringlichkeit dieses Beitrags aber freilich umstritten ist.

Der Beirat fügt noch als weitere Einschränkungen hinzu, daß ge-

,.Sicherlich kann weniger Arbeit physische Entlastung bringen“ werbliche Nebentätigkeiten in der Freizeit (Pfusch) unerwünscht sind, und daß das Angebot an Dienstleistungen und Betriebszeiten im Zuge einer Arbeitszeitverkürzung nach Möglichkeit aufrechterhalten werden sollte. — Eine deutliche Skepsis hinsichtlich der Rangordnung der Arbeitszeitverkürzung überhaupt ist nicht zu überhören.

1 Beirat für Wirtschafts- und Sozialfragen: „Arbeitszeitentwicklung und Arbeitszeitpolitik“. Wien 1984.

Der Autor, Finanzminister und Nationalbankpräsident a. D., ist Mitherausgeber der FURCHE.

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