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Digital In Arbeit

Möglichkeiten ausnutzen

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Es ist sicherlich kein Manövrieren zwischen Scylla und Charybdis, wenn Gewerkschaftsbund, Arbeiterkammer und die Untexnehmer-verbände versuchen, das gemeinsame Ufer, das Vollbeschäftigung bei ■ angemessener Arbeitszeit1 und steigendem Lebensstandard bietet, zu erreichen.

Um es kurz vorwegzunehmen: Ich bin -der Meinung, daß das Verlangen nach Arbeitszeitverkürzung, die Einführung der 40-Stunden-Woche in Österreich keiner Alternative bedarf. Die schrittweise Einführung der verkürzten Arbeitszeit bedeutet keine Bedrohung irgendwelcher anderer Faktoren in der Wirtschaft und im Gesellschaftsleben, sondern ihre Forderung ist einfach eine notwendige Folgerung der industriellen Entwicklung in ihren großen Zusammenhängen. Ich habe durchaus Verständnis für die Stellungnahmen der Unternehmerverbände, denn jede Besserstellung des einen Sozialpartners erfordert Aufgabe von Positionen beim anderen. Es ist nur die Frage, ob der andere diese Änderungen ertragen kann. Und Hand aufs Herz — ohne polemisch zu sein — er kann. es!

Es ist doch kein Geheimnis, daß die Arbeitszeitverkürzung auf der technischen Entwicklung beruht und daß jedem „Muß“ als Folge gewerkschaftlicher Forderungen ein ebenso beinhartes „Muß“ der Rationalisierung auf der Unternehmerseite folgte. Ich akzeptlere nicht die Behauptungen, daß die Ratto-nalisierungsreserven aufgebraucht seien, sondern ich bin im Gegenteil der Meinung, daß ihre Möglichkeiten noch gar nicht überschaubar sind. Das setzt allerdings voraus, daß wir mit althergebrachten Denkschablonen aufräumen. Wir werden uns daran gewöhnen müssen,daß Produktionsmethoden der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts nicht mehr auch auf die zweite Hälfte unbedingt anwendbar sind. Der einfachste Haushalt partizipiert heute schon an dem Abenteuer der Raketenforschung. Warum sollten nicht auch die Produktionsbetriebe einfachster Art aus den Rationalisierungsgegebenheiten anderer Produktionsbranchen profitieren können?

Im Grunde genommen kann eine Arbeitszeitverkürzung gar nicht aufgehalten werden. Es ist nur eine Frage der. Taktik und des Taktes, zu welchem Zeitpunkt man sie durchführt. Ich glaube, man dürfte von der Unternehmerseite nicht nur mit Stolz auf den Konjunkturaufschwung verweisen, im selben Atemzug aber sagen, daß die von der Technik gebotene Produktivitätssteigerung nicht in der Lage sei, die Arbeitszeitverkürzung aufzufangen. Es ist müßig, hier auf andere Länder zu verweisen, die längst schon die 40-Stunden-Woche haben und in denen einzelne Branchen sogar schön auf' die; 36- und 35-Stunden-Woche gekommen sind. Seit Keyner gibt es keinen Zweifel mehr darüber, ob Vollbeschäftigung oder nicht. Gerade vom steiri-schen Standpunkt aus müssen wir, wenn wir die Situation in der Eisen- und Stahlbranche oder bei Elin betrachten, doch unweigerlich zu dem Schluß kommen: Wollen wir die Vollbeschäftigung aufrechterhalten, dann muß das auch unter anderem auf Kosten der Beschäftigungszeiten erfolgen. Wir wissen ebenso genau, daß die heutige Konkurrenzfähigkeit auf dem internationalen Markt von entscheidender Bedeutung ist. Wir wissen aber ebenso genau, daß es Reserven gibt, weil bisher zuwenig Rationalisierungen vorgenommen wurden.

Im übrigen möchte ich darauf verweisen, daß der österreichische Gewerkschaftsbund und die Arbeiterkammern bereits kurz nach der Neuwahl des Nationalrates im Jahre 1966 und vor der Bildung der neuen Regierung den Wunsch nach einem modernen Arbeitszeitgesetz, gepaart mit einem Stufenplan zum Übergang zu einer 40-Stunden-Woche, vorgebracht haben. Inzwischen sind drei volle Jahre vergangen, Jahre, in denen unsere Wirtschaft muntere Zeichen freundlicher Lebenstendenzen zeigte. Bei etwas gutem Willen und mehr Einfühlungsvermögen wäre es ohne weiteres möglich gewesen, diese Arbeitszeitverkürzung in kurzen Schritten einzuführen.

Ich kann schon verstehen, daß die Unternehmerseite nun nervös wird, da man auf Entscheidung drängt. Aber es ist in Österreich immer das gleiche. Solange etwas ruhig, um nicht zu sagen gemütlich vorgebracht wird, achtet niemand darauf. Es bedarf erst zumindest des. symbolischen . Steinwurfes,. um aus dieser Ruhe aufgeschreckt zu werden. Es ist einfach unabdingbar geworden, die Zeichen unserer Epoche richtig zu deuten und zu verstehen. Die Diskrepanzen zwischen technischer Entwicklung sowie verwaltungstechinischer und sozialer sind einfach zu groß geworden. Zur Abrundung sei vermerkt: Die Arbeitnehmerseite weiß, daß die Arbeitszeitverkürzung Geld kostet. Ich erinnere, daß zur Klärung dieses Fragenkomplexes zu den Fachexperten von Gewerkschaften und Arbeiterkammern sowie den Unternehmerverbänden noch eine Gruppe von Wissenschaftlern beigezogen wurde. Dabei kam man zu dem Schluß, daß die Einführung der 40-Stunden-Woche in Österreich durchaus möglich ist. Die Kosten wurden mit einer Belastung von insgesamt 1 bis 1,5 Prozent pro Stunde errechnet. Daraus ergibt sich der Schluß, daß die Einführung der 40-Stunden-Woche in Etappen ohne weiteres möglich und ohne Störung der österreichischen Wirtschaft aber im Interesse der Erhaltung der Vollbeschäftigung nicht nur möglich, sondern wünschenswert ist.

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