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Streit um die Verantwortung

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Die Wahlstrategen der politischen Parteien sind sich darüber klar, daß nichts die Wähler so sehr interessiert, wie die Preisentwicklung. Die Analysen aller Wirtschaftsexperten kamen in seltener Einmütigkeit zum Schluß, daß die Nichtaufwertung des Schillings das In- landispreisniveau in Bewegung bringen würde. Ungefähr die Hälfte plädierte dafür, diese Auswirkungen auf sich zu nehmen. Renommierte Fachleute, wie Horst Knapp in der „Furche“, waren aber der Meinung, mit einer maßvollen Aufwertung von drei bis vier Prozent sei unserer Volkswirtschaft ein besserer Dienst zu erweisen. Pro und Kontra hielten sich etwa die Waage. Die Regierung mußte sich demnach zwischen zwei volkswirtschaftlich annähernd gleichwertigen Möglichkeiten entscheiden.

Entlastungsoffensive

Die Haftung für die Entwicklung der Wahlchancen erfolgte zu ungeteilter Hand der gesamten Regierung. Deshalb ist es ein bescheidener Trost, daß Finanzminister Dr. Koren und Landwirtschaftsminister Schleinzer in den entscheidenden Gesprächen für eine Aufwertung eintraten. Der Finanizminister sah wohl neben monetären Vorteilen auch die Chance, mit Hilfe eines erhärteten Schillings sein eigenes und das Prestige der ÖVP aufzupolieren. Für die Position des Landwirtschaftsministers dürfte die Situation der Bauern den Ausschlag gegeben haben.

Sie tragen als Konsumenten von landwirtschaftlichen Maschinen, Geräten und Produktionsmitteln die volle Last verteuerter Importe, ohne die gestiegenen Kosten auf die Pro dukte überwälzen oder sich im Agrarexport schadlos halten zu können. Die Hauptprodukte Milch und Getreide unterliegen der Preis- regeiung, und die Agrarexporte in die EWG werden auf Verrechnungsdollarbasis abgewickelt, ein System, das den Vorteil der DM-Aufwertung für Exporteure agrarischer Erzeugnisse zur Gänze absorbiert.

Diesem Sachverhalt konnte sich die Regierung bei der Beratung über das Stabilisierungsprogramm nicht verschließen. Die Wünsche der Landwirtschaft nehmen darin breiten Raum ein. Es ging um die Entlastung folgender Importe aius der Bundesrepublik Deutschland:

• Landmaschinen und Traktoren mit einem Grenzwert von etwa 500 Millionen Schilling jährlich;

• Bestandteile zur Erzeugung von land- und forstwirtschaftlichen Maschinen in Österreich;

• Halbfertigprodukte und Rohstoffe zur Erzeugung von Pflanzenschutz- und Düngemitteln — wobei sich allein der Deutschlandimport von Pflanzenschutzmitteln auf jährlich rund 60 Millionen Schilling beläuft.

Nach einer einvernehmlichen Lösung über entsprechende Importentlastungen erklärten sich die österreichischen Landmaschinenhersteller bereit, mit der Landwirtschaft ein Stillhalteabkommen bis 30. Juni 1970 zu schließen. Es umfaßt nicht nur die Auswirkungen der DM-Aufwertung, sondern berücksichtigt bereits die erste Etappe der Arbeitszeitverkürzung am 1. Jänner 1970 und allfällige sonstige Materialkostenerhöhungen. Die Tragweite dieser Lösung für das inländische Preisniveau wird an der Kalkulation eines namhaften österreichischen Traktorenherstellers deutlich, der für seine verschiedenen Typen pro Stück Bestandteile im Wert von 7000' bis

40.0 Schilling aus der Bundesrepublik importiert

Vorteile der Wirtschaft

Manche Anzeichen sprechen dafür, daß die Diskussion um eine Stabilisierung des inländischen Preisgefüges mit den bisherigen Maßnahmen nicht abgeschlossen ist Man sollte daher neuerlich ins Gedächtnis rufen, wer die Nutznießer der DM- Aufwertung sind. Exportindustrie und Fremdenverkehrswirtschaft haben sich mit Unterstützung der Gewerkschaften für die Beibehaltung der Dollarparität des Schillings stark gemacht. Sie verbuchen den Löwenanteil der ökonomischen Vorteile. Die Position ihrer Waren hat sich mit der DM-Aufwertung auf den Exportmärkten, aber auch auf dem Binnenmarkt, wo sie ebenfalls auf die Konkurrenz deutscher Erzeugnisse treffen, verbessert. Sie sollten daher auch die Hauptlast preisdämpfender Maßnahmen tragen. Nun gibt es Anzeichen dafür, daß sie diese Front nicht bei ihren eigenen Erzeugnissen, sondern lieber im Bereiche der Nahrungsmittel eröffnen möchten. Denn hier trifft es jene, die zwar an der DM-Aufwertung nicht profitieren, dem Druck der politischen Verhältnisse drei Monate vor der Nationalratswahl und der öffentlichen Meinung aber mit aller Wucht ausgesetzt sind. Es wird in der nächsten Zeit noch einigen Aufwandes bedürfen, um eine Kindesweglegung zu erschweren und die Verantwortung für die Preisentwicklung nicht zu verwischen.

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