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Zwischen Recht und Macht

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Der in politischen und kirchlichen Kreisen Kerndeutschlands hochgeachtete greise prote-nnt;sche Landesbischof i. R., D. Doktor Theophil Wurm, einer der unerschrok- kensten Kämpfer wider die Hitlertyrannei, untersuchte kürzlich in der Wochenzeitung „Die Zeit“ die Frage der „Christlichkeit in der westeuropäischen Politik“. Dabei kommt er zu der Feststellung: „Es geht doch für die Politik der Großmächte im Grund gar nicht um Deutschland, sondern um den Osten; es geht darum, dem beständig an Macht zunehmenden Kommunismus eine wirklich geeinte westliche Welt und eine große konstruktive Idee entgegenzusetzen, und die ist eben ,das neue christliche Abendland“. Aber mit der eingeschlagenen Politik lasse sich ein christliches Europa nicht schaffen. Christliche Politik sei ,Politik der Verantwortung, und zwar der totalen, nicht bloß der partiellen Verantwortung“.“ D. Dr. Wurm folgert daraus: „Wenn die Westmächte — wie man aus dem Marshall- Plan schließen möchte — sich ihrer totalen Verantwortung bewußt werden, dann werden sie mit dem Rückfall in die Methoden von 1919 Schluß machen und die aufbauwilligen Kräfte im deutschen Volk stärken, statt den unbelehrbaren und störrischen Elementen Wasser auf die Mühle zu liefern.“

Indessen scheint es immer noch häufig, als solle der ununterbrochene Wettlauf zwischen Recht und Macht durchaus mit der Niederlage des Rechtes enden. Das ließe sich in besonderem Maße von einer Politik der „Sequestierung“ und der „Restitution“ sagen. Restitution heißt man „die unmittelbare Rückerstattung von Gütern, die während der deutschen Besatzungszeit aus besetzten Ländern unter Zwang und Gewalt entnommen“ worden sind. Derlei Räubereien sind geschehen, und die Pflicht der Rückerstattung wird in Deutschland vollauf anerkannt. Doch man gewann hierzulande seit Monaten den Eindruck, als werde die „Restitution“ zu einer Art von „Ersatz“ der Demontagepolitik, die besonders durch die letzten Beschlüsse der westlichen Alliierten abgebaut werden soll. Jene unglückliche Entwicklung nahm ihren Ausgang von einer Verfügung des Foreign Office, die von Sir William Strang unterschrieben ist. Nun wird jeder deutsche Besitz, der aus besetzten Ländern stammt, als überzählig und widerrechtlich betrachtet, solange nicht der Gegenbeweis erbracht werden kann. Der deutsche Besitzer muß nachweisen, daß zwischen ihm und dem ausländischen Lieferanten bereits vor dem Kriege ordentliche Geschäftsverbindungen bestanden und daß die Lieferung im Rahmen des früheren Geschäftsverkehrs stattgefunden hat. Dieser Nachweis kann nur in verschwindend wenigen Fällen lückenlos beigebracht werden; sehr viele Geschäftsverbindungen zwischen deutschen und ausländischen Häusern haben sich im Verlauf des Kriege auf dem Wege eines ordnungsgemäßen Exports aus den besetzten Ländern nach Deutschland entwickelt. Dennoch gibt es „Auslieferungsbefehle am laufenden Band“.

Einige Beispiele aus der jüngsten Zeit mögen das erläutern: Eine westdeutsche Fabrik bestellte bei der ausländischen Lieferfirma Ersatzteile für eine ihrer Maschinen. Doch statt der erbetenen Ersatzteile erhielt sie den Befehl, die Maschine dem Herstellerland auszuliefern. An einer anderen Stelle wurde eine Großkesselanlage zurückgefor dert, weil Schweißarbeiten an dieser Anlage im Ausland gemacht wurden. Eine dritte ausländische Regierung erhob Anspruch auf eine Verladebrücke mit der Begründung, daß die in diese Brücke eingebauten Gußteile in ihrem Lande gefertigt worden sind. Zahlreiche Eisenbahnwaggons, viele Werkslokomotiven, eine Menge Werkzeugmaschinen, Berge von Eisenkonstruktionen, Laufkräne usw. sollen aus dem Besitz der großen westdeutschen Eisen- und Stahlwerke sowie aus der eisenverarbeitenden Industrie ins Ausland überführt werden, Güter, die ohne Zwangseinwirkung, im Rahmen eines normalen Handelsgeschäftes erworben wurden. In manchen Fällen haben sich ausländische Hersteller, beziehungs weise Lieferfirmen durch persönliche Besuche in Deutschland um die Aufträge bemüht. Sehr oft handelt es sich nicht allein um außerordentliche Wertobjekte, sondern „um Herzstücke in den Betrieben“, deren Ausfall zu Stillegungen und Störungen der Produktion führt.

Gleiches gilt für die „Offensive auf deutsche Rheinschiffe“. An Holland mußten bisher 58 Binnenschiffe mit 35.000 Tonnen, an Belgien 20 Binnenschiffe mit 15.000 Tonnen, darunter 4 Tanker, ausgeliefert werden. Die überwiegende Mehrzahl dieser Schiffe ist zu 80 bis 90 Prozent aus deutschen Materialien erbaut und auf Grund eines ordentlichen Kaufvertrages erworben. Für 5 Fischdampfer liegen Auslieferungsbefehle, sogenannte „Claims“, vor. Weitere 15 Fischdampfer und 190 Schleppkähne und Schlepper sind durch Restitutionsansprüche gefährdet. Zudem gehen fast täglich neue Forderungen ein. So fürchtet man zum Beispiel um das Schicksal von weiteren 79 Tankern, welche die Hälfte der deutschen Binnentankertonnage darstellen. Diese und andere Forderungen haben in Westdeutschland größte Bestürzung hervorgerufen. Insbesondere die Fischdampfer sind während des Krieges auf fremden Werften erstellt “worden. Aber das eben Festgehaltene trifft auch hier zu: ihrer Erstellung liegen klare kaufmännische Kontrakte zugrunde, und das Baumaterial ist aus Deutschland geliefert worden.

Die resultierenden wirtschaftlichen Schäden sind zur Stunde noch nicht abzusehen. Daß sie sich zu Riesenverlusten auswachsen, steht jedoch heute schon außer Frage. Denn auch in der amerikanisch und in der französisch besetzten Zone wurden und werden Restitutionen durchgeführt, und zwar schon zu einem Zeitpunkt, als britische Dienststellen sich in dieser Beziehung noch ablehnend verhielten. Oberdirektor Dr. Pün- der teilte zum Beispiel der deutschen Öffentlichkeit mit, daß der wirtschaftliche Ausfall durch Restitutionen sich nach amerikanischen Berechnungen bis zum 30. September 1948 auf rund 287 Millionen DM belief. Er liegt damit um mehr als 50 Millionen DM über der durch Demontage bewirkten Schadenssumme. Die französische Zone dürfte kaum nachstehen. Denn dort gesellte sich zu der Restitution die „Sequestrierung“. Unter dem Titel der Dekartellierung werden Schiffahrtsgesell schaften, Kohlenhandelsfirmen und chemische Werke beschlagnahmt, ohne daß die deutschen Eigentümer die mindeste Gelegenheit einer Verteidigung ihrer Rechte hätten. Denn dieselben französischen Dienststellen, die über die Beschlagnahmen bestimmen, entscheiden auch über da Schicksal der Einsprüche. Und das zur Freude und zum Nutzen derer, die Landesbischof Wurm unbelehrbar und störrisch nannte. Es sind die Einpeitscher der Destruktion und des Nationalismus. Sie ernten, wo Macht und Rachsucht säen.

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