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Stellungnahme des Finanzministers

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Mit Rücksicht auf die große Zahl der durch eine Aenderung der Haftpflichtversicherungsprämien Betroffenen soll von der Seite, welche nach dem Kraftfahrgesetz 1955 die letzte Verantwortung für den Geschäftsplan der Kraftfahrzeugversicherung trägt, Stellung genommen werden. Hierbei soll auf keine Weise dem Ergebnis der Befragung der berufenen Stellen (Kammern und Autobeirat), welche derzeit im Gange ist, vorgegriffen werden. ' Es wird heute im Zusammenhang mit der Forderung nach Erhöhung der Haftpflichtversicherungsprämien von einer feindlichen Einstellung gegenüber den Kraftfahrern und der Motorisierung gesprochen. Dieser Vorwurf, wenn er überhaupt am Platze ist, trifft bestimmt nicht die österreichische Finanzpolitik. Man bedenke, was in den letzten Jahren alles von der Finanzpolitik für die Motorisierung getan wurde. Bis zum Jahre 1952 erfolgte die Kraftwageneinfuhr auf Grund von Koppelungen. Bis zu 40 S kostete der „Autodollar“ bei diesen Geschäften. Dazu kam noch ein Zoll in der Höhe von durchschnittlich 45 Prozent des Wertes. Die Preise der Motorfahrzeuge waren damals in Oesterreich die höchsten Europas.

Mit der Stabilisierung des Geldes und der Kursangleichung vom Jahre 1953 trat die Wende ein. Devisen für Kraftfahrzeugimporte wurden unbegrenzt zugeteilt. Dadurch sanken die Kraftfahrzeugpreise um rund 20 bis 30 Prozent. Eine weitere Verbilligung wurde durch die Umstellung der Gewichts- auf Wertzölle ermöglicht. Heute wird die Einfuhr von Kraftfahrzeugen nur noch mit einem Wertzoll von 20 Prozent belastet.

Durch diese Maßnahmen wurde die Grundlage für eine Motorisierungswelle gelegt, welche die Zahl der zugelassenen Kraftfahrzeuge von 285.000 im Jahre 1950 auf 617.000 steigen ließ. Parallel damit ging eine Verbilligung des Benzinpreises von 3.90 S auf derzeit 3.10 S. Was die Verkehrswege betrifft, wurde ein großzügiges Programm zum Ausbau der Straßen beschlossen und mit entsprechenden Krediten dotiert. Ich erwähne in diesem Zusammenhang die Autobahnen, welche nicht nur dem inländischen Kraftfahrer, sondern auch den Fremden, die unser Land besuchen, Zeitgewinn, Sicherheit und Schonung des Fahrzeuges versprechen.

Warum sollte nun eine Finanzpolitik, die so viel für den Kraftfahrer getan, der Motorisierung durch eine willkürliche Erhöhung der Haftpflichtversicherungsprämien einen Stoß nach rückwärts versetzen? Nichts liegt ihr ferner.

Um zu einer richtigen Beurteilung des Problems der Haftpflichtversicherung zu kommen, muß man zunächst zwischen dem Grundsatz der Prämienerhöhung und ihrem Ausmaß unterscheiden.

Die Haftpflichtversicherung ist eine Leistung. Als solche hat sie genau so wie eine Ware einen Preis. Wenn die Leistung erhöht wird, muß genau so, wie wenn mehr von einer Ware bezogen wird, auch mehr bezahlt werden. Die Leistungen der Versicherungsgesellschaften stiegen nun in doppelter Hinsicht. Erstens hat sich das Risiko verschlechtert. Während sich die Zahl der zugelassenen Kraftfahrzeuge seit 1950 verdoppelte, stieg die Anzahl der Schadensfälle auf das Dreifache. Gleichzeitig stiegen die Aufwendungen je Schadensfall. Das Fahren ist — aus Gründen, welche an dieser Stelle nicht untersucht werden können — in_ den letzten Jahren gefährlicher geworden. Genau so wie ein gegen Unfall Versicherter, wenn er den Beruf eines Büroangestellten für den eines Eisen- und Stahlarbeiters wechselt, höhere Prämien zahlen muß, muß der Kraftfahrer in Oesterreich im Jahre 1956 höhere Prämien in Kauf nehmen als der Kraftfahrer des Jahres 1950.

Der zweite Grund für eine Prämienerhöhung ist die Erhöhung der Mindestsummen. Der erhöhte Schutz, den die Gesellschaften den Versicherten und Verkehrsopfern gewähren, muß bezahlt werden.

Ich glaube, diese Hinweise genügen, um die Neufestsetzung der Prämien zu begründen. Die Versicherungsgesellschaften bieten somit bei Verschlechterung des Risikos einen erhöhten Schutz. Ihre Leistungen von heute unterscheiden sich wesentlich von ihren Leistungen vor sechs Jahren. Es ist selbstverständlich, daß sich damit auch das Entgelt ändern muß.

Nun zur Frage des Ausmaßes der verlangten Prämienerhöhungen. Ich gebe zu, daß man hierüber verschiedener Auffassung sein kann. Die Versicherungsgesellschaften wollen begreiflicherweise, daß hierbei ihre seit 1950 gestiegenen Schadensauf Wendungen — der am 1. Jänner 1952 in Kraft getretene Tarif basiert auf den Verhältnissen des Jahres 1950 — und andere Faktoren wie die Tendenz des Schadensverlaufes, der Bonus für schadenfreien Verlauf und nicht zuletzt die seit 1950 um das Zweieinhalbfache gestiegenen Gehälter Berücksichtigung finden.

Niemand ist in Oesterreich an überhöhten Haftpflichtversicherungsprämien interessiert. Berufene Stellen sind derzeit mit einer Prüfung der Unterlagen befaßt. Ich bin überzeugt, daß nach Abgabe ihrer Stellungnahme mehr Verständnis für die gegenseitigen Interessen gefunden werden kann.

Zum Abschluß darf ich noch kurz auf den Vorwurf eingehen, daß der geforderte Haftpflichtversicherungstarif unsozial sei, weil er gegenüber den derzeitigen Sätzen die Halter von Rollern und Motorrädern prozentual stärker belastet als die Pkw.- und Lkw.-Besitzer. Hierzu ist au sagen, daß grundsätzlich in jedem Versicherungszweig das Verhältnis zwischen Prämien und Schadensfällen das gleiche sein muß. So wenig man verlangen kann, daß etwa aus der Feuerversicherung die Flugzeugunfallversicherung mit ihren höheren Risiken subventioniert wird, kann man Haltern von Fahrzeugkategorien mit niedriger Unfallhäufigkeit zumuten, daß sie sich an den Kosten der Versicherung anderer Kategorien mit hoher Unfallhäufiekeit. wie es

Motorräder sind, beteiligen. Jeder Kraftfabrzeughalter muß grundsätzlich die Prämie bezahlen, welche der Unfallshäufigkeit des von ihm benützten Fahrzeugtyps entspricht. Damit will ich nicht sagen, daß nicht im Interesse einer baldigen Lösung des Problems der Haftpflichtversicherungsprämien auch dieser an und für sich richtige und vollkommen unangreifbare Grundsatz einer Ueberprüfuhg unterzogen werden kann.

Man wird gut tun, in der Diskussion über die Haftpflichtversicherungsprämien die erwähnten Gesichtspunkte im Auge zu behalten. Es hat keinen Sinn, unvermeidliche Maßnahmen, wie es die Festsetzung eines höheren Entgeltes für höhere Leistungen ist, aufzuhalten und damit einen unhaltbaren Zustand weiterzuschleppen.

Bei Anerkennung des realen Sachverhaltes wird sich zweifellos eine den Interessen aller an der Motorisierung Beteiligten gerecht werdende Lösung finden lassen.

Dieser Stellungnahme des Herrn Finanzministers sei abschließend die

Meinungsäußerung des OeMV einer Vertretung der Kraftfahrerschaft, angefügt. ....

Sie gliedert sich in folgende Punkte:

1. Da die Versicherungsunternehmungen ihr statistisches Material der Oeffentlichkeit noch nicht übergeben haben, ist es derzeit nicht möglich, die Gründe für die Prämienerhöhung der Haftpflichtversicherung einzeln zu prüfen.

2. Die gesetzliche Haftpflichtversicherung ist eine soziale Einrichtung und darf für die Versicherungsgesellschaften kein lukratives Geschäft bedeuten. Wenn diese jedoch alle Versicherungen vom kaufmännischen Standpunkt betrachten, dann dürfen sie nicht verlangen, daß jede Versicherungssparte hoch aktiv abschließt.

3. Der OeMV ist gegen das Ausmaß der vorgeschlagenen Prämienerhöhung, die die Versicherungsspesen der Besitzer von kleineren Fahrzeugen bis zu 184 Prozent steigert. Die vorgesehene Erhöhung würde aber auch eine empfindliche Senkung des realen Einkommens der breiten Masse bedeuten und die Lebenshaltungskosten verteuern, da die Erhaltungskosten des Kraftwagenparks der Unternehmungen auf die Konsumenten überwälzt werden, womit Preissteigerungen auf allen Gebieten eintreten können.

4. Die Prämienerhöhung müßte je nach Fahrzeug gestaffelt sein, da ein Mopecf natürlich weit weniger Schaden anrichten kann als ein Zehntonnenzug.

5. Die Versicherungen haben angegeben, daß für das Jahr 1955 fast 95 Prozent an Schäden abgegeben wurde. Die restlichen 5 Prozent der Prämieneingänge verblieben für Verwaltungskosten. Da bei einer Zwangsversicherung kein hoher Gewinn abfallen soll, wäre höchstens eine 30prozentige Erhöhung der bisherigen Prämien vertretbar. Zu dieser zugestandenen Prämienerhöhung kommt man auch aus der Tatsache, daß die Versicherungsunternehmungen bei freiwilligen Erhöhungen auf das doppelte Versicherungskapital (150.000 S) nur einen 30prozen-tigen Zuschlag zur ursprünglichen Prämie verlangten.

6. Nach dem Entwurf sollen die Prämien an jene der Schweiz bzw. Deutschlands angeglichen werden. Dies wird jedoch nur unter den Umständen zutreffen können, daß auch die Leistungsbeträge der Versicherungssumme auf die Höhe dieser Nachbarländer gebracht werden. Die Versicherungssumme wäre daher bei den vorgesehenen Prämiensätzen für Einzelerzeugnisse nicht mit 200.000 S, sondern mit 600.000 S festzusetzen..

7. Nur-in Einzelfällen reichte das bisherige Versicherungskapital von 75.000 S für die Schadensliquidierung nicht aus. Da der größte Teil der Unfälle nur Sachschäden betrifft und die Versicherungen in keinem Falle die effektive

Schadenshöhe ersetzen, können sie aus den laufenden Prämieneingängen alle Schadensfälle liquidieren. '

8. Die Unfälle werden laufend von fast den gleichen 20 Prozent der Kraftwagenbesitzer verursacht, und es ist nicht einzusehen, warum die übrigen 80 Prozent der Kraftfahrer dauernd zur Mitdeckung der Unfallkosten herangezogen werden sollen. Trotz Bestehen einer Risken-gemeinschaft könnte den Unfällen durch Selbstbehalt, gleich der Kasko-Versicherung, gesteuert werden.

9. Wenn der Selbstbehalt nicht durchführbar ist, müßten die Versicherungsgesellschaften für den unfallfreien Fahrer,.nicht wie vorgesehen nur einen zehnprozentigen Bonus einführen, sondern die Bonusvergütung den Jahren entsprechend bis auf 50 Prozent erhöhen.

• 10. Die Entziehung des Bonus bei gerechtfertigter Abwehr von Schadensansprüchen Dritter widerspricht der Order public.

11. Vor der Prämienerhöhung müßten die Versicherungsgesellschaften einen Fonds gründen, aus dem die Schäden bei Fahrerflucht liquidiert werden können Die Versicherungen müssen hierzu eventuell im Verwaltungswege gezwungen werden.

12. Die Bilanzen der Versicherungen, welche vom Aufsichtsrat im Finanzministerium geprüft werden,' sind der Oeffentlichkeit zugänglich zu machen.

13. Da viele Fahrzeuge während der Winter monate abgemeldet' bzw. eingestellt sind, die Versicherungen aber dennoch Verwaltungsarbeit leisten, könnten eventuell durch niedrigere Prämiensätze . diese Abmeldungen vermieden werden.

14.“ Die “vorgeschlagene Prämienerhöhung würde den Versicherungsanstalten 400 Millionen Schilling eintragen. ' Sie Würde dem Staat 28 Millionen Schilling an neuer Versicherungssteuer einbringen. Diese Beträge, umgelegt auf die Gesamtbevölkerung, Würden eindeutig eine Erhöhung der Lebenshaltungskosten hervorrufen.

15. Der OeMV hält daher eine Erhöhung der Versicherungsprämie nur im Ausmaße von 30 Prozent, und dies unter den vorstehenden Bedingungen, für gerechtfertigt.

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