6820329-1973_32_04.jpg
Digital In Arbeit

Autos 1., Autos 2. Klasse

Werbung
Werbung
Werbung

Vielen Autofahrern ist das Frühjahr 1971 und die damals drohende starke Erhöhung der Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherungsprämien noch in guter Erinnerung. Damals hatte Finanzminister Dr. Androsch den Versicherungen bereits grundsätzlich die Erhöhung genehmigt, als sich plötzlich die Arbeitnehmerorganisationen quer legten, eine neuerliche Verhandlungsrunde und damit geringere Erhöhungssätze erzwangen.

Dieses Mal sind die Vorzeichen offensichtlich anders: Die Arbeitnehmerorganisationen haben den Vorschlag vom Wegfall des Rechtes auf Leihwagen, Taxi und Verdienstent-gangsentschädigung erst ins Gespräch gebracht. Die Arbeitnehmervertretungen haben diese ihre Verdienste zur Neuordnung der Haftpflichtversicherungen durchbringen können. Aber bereits der erste Sturm der Entrüstung in der Öffentlichkeit und die eher vorsichtige Reaktion von Juristen zeigt die ganze Problematik dieses Schachzuges.

Gemäß § 1295 ABGB ist jedermann, der jemand anderem schuldhaft einen Schaden zugefügt hat, zum Ersatz verpflichtet. Diese Schadenersatzpflicht geht beim Autofahrer auf seine Haftpflichtversicherung über. Nach der Judikatur des Obersten Gerichtshofes war in den letzten Jahren der Haftpflichtversicherer des schuldigen Autofahrgrs verpflichtet, dem unschuldig Geschädigten auch für die Kosten eines Ersatzfahrzeuges beziehungsweise den Verdienstentgang aus der Stehzeit des Fahrzeuges aufzukommen. In einer Entscheidung vom Mai 1963 ging der OGH sogar noch weiter: Er hielt ausdrücklich fest, daß der Geschädigte auch definitiv das Recht auf einen Mietwagen hat“ und sich nicht mit Ersatzlösungen wie Taxi oder Straßenbahn zufriedengeben muß.

Das soll nun anders werden: noch ist allerdings nicht ganz klar, wie anders. Feststeht zweierlei: stimmt der Finanzminister als Aufsichtsbehörde zu, woran derzeit nicht gezweifelt werden kann, so wird es ab

1. Oktober dieses Jahres zwei Tarife in der Kfz-Haftpflichtversicherung geben: einen, vermutlich dann den „offiziellen“ Tarif, der für alle Fahrzeugklassen um 25 Prozent mehr kostet als bisher und uneingeschränktes Versicherungsrecht bietet. Dazu soll ein verbilligter Tarif kommen, der um ein Fünftel weniger kostet, also genausoviel wie bisher. Dafür muß sich aber der Versicherungsnehmer in einer Blankoverzichtserklä-rung bereit erklären, auf Schadenersatzansprüche aus dem Titel Mietwagen, Taxi und Verdienstentgang durch Wagen-Stehzeit gegenüber jedem Dritten zu verzichten.

Was bedeutet das aber praktisch?

So sehr man in der gegenwärtigen Situation für die gestiegenen Kosten der Versicherungen Verständnis haben muß, ist doch die ganze Sache mehr als problematisch: hat nicht einmal der sozialistische Handelsminister und ehemalige Arbeiterkammerdirektor Staribacher scharf gegen die Praxis verschiedener Firmen Stellung genommen, bei scheinbar gleichbleibenden Preisen die Leistung zu vermindern? Wo aber liegt der Unterschied? Ist es nicht gleich, ob nun die Waschmittelfirma für 35 dkg Waschmittel die gleiche Summe fordert, für die sie noch wenige Tage vorher 45 dkg geliefert hat — oder aber die Versicherung für die gleiche Summe plötzlich weniger Versicherungsschutz bietet? Der Verkleinerer der Schokolade kann ebenso sagen, er habe schließlich den Preis nicht erhöht, er habe stabilitätsbewußt gehandelt, als er das Füllgewicht seiner Schokoladetafel verminderte.

Oder: droht nicht die Gefahr, daß der Versicherungsverband bei steigenden Anwaltskosten eines Tages mit der Zustimmung einer Mehrheit von Weisen aus dem Kraftfahrbeirat zu der Erkenntnis gelangt, daß die Anwaltskosten im letzten Jahr viel zu stark gestiegen seien — und den Autofahrer abermals vor die Alternative, mehr zu zahlen oder auf Leistung zu verzichten, stellt? Wenn man das gesetzliche Schadenersatzrecht einmal unterhöhlt, kann das laufend weiter geschehen.

Das sind nur zwei Beispiele dafür, wie anfechtbar die neue Regelung sein wird. Nicht nur die in ihrer Existenz bedrohten „Unfallhelfer“ meinen, daß die Neuregelung juristischen Überprüfungen nicht lange standhalten werde. Warum geht man also diesen Weg? Aus Indexkosmetik? Oder weil es einfacher ist, jene mehr zahlen zu lassen, die auf ihren Rechten bestehen, als die Kosten für diese Belastungen der Versicherungen einmal genauer zu überprüfen?

Tatsache ist, daß eine höchst umstrittene Entscheidung gefällt wurde, an der vor allem interessant sein wird, wie die Kraftfahrorganisationen ARBO und ÖAMTC ihre Zustimmung vor ihren Mitgliedern rechtfertigen werden.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung