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Eines Morgens erwachte Österreich und war um einige Milliarden Schilling ärmer. Denn mit einem Federstrich wurde ein wesentlicher Teil des Anlagevermögens in diesem Lande abgewertet — und zwar Österreichs Bestand an Kraftfahrzeugen. Natürlich merkt der einzelne Autofahrer zunächst nichts davon. Sein Auto sieht so aus wie bisher, fährt so wie bisher und kostet, wenn er es neu anschafft, auch keineswegs weniger. Erleidet er aber einen Totalschaden, so zahlt ihm entweder die eigene Vollkaskoversicherung (falls er eine solche hat) oder aber die gegnerische Haftpflichtversicherung (falls ein anderer am Unfall schuld war) heute sehr viel weniger, als sie noch vor wenigen Wochen bezahlt hätte.

Schuld daran ist ein Vorgang, von dem man wirklich sehr schwer sagen kann, wie er sich in unser System der freien Marktwirtschaft einordnen läßt, wie er sich mit unserem Bekenntnis zum freien Spiel von Angebot und Nachfrage verträgt. Musterprozesse könnten — sollten! — die Folge sein.

Geschehen ist Seltsames, aber man muß etwas weiter ausholen. Jeder, der gelegentlich ein altes Auto für ein neues in Zahlung gegeben oder aber einen Gebrauchtwagen erstanden oder jemals mit einem Gebrauchtwagenhändler über den Preis eines nicht fabriksneuen Fahrzeuges verhandelt hat, weiß um die gelben beziehungsweise blauen Bände der „Eurotax“. Der eine davon enthält für sämtliche mehr oder weniger gängigen Automarken, gestaffelt nach Jahrgängen, den in letzter Zeit beim Ankauf durch den Handel bezahlten Ankaufspreis, und zwar in Durchschnittswerten, die für durchschnittlich gut erhaltene Exemplare mit durchschnittlicher Kilometerleistung (dem Baujahr entsprechend) gelten. Ein anderer Band enthält die — auf Grund dieser Ankaufspreise — zu erwartenden Verkaufspreise, an die sich der Gebrauchtwagenhandel in nächster Zeit voraussichtlich wird halten können. Dieser Teil der „Eurotax“-Veröffentlichung muß es sich gelegentlich gefallen lassen, als „Branchen-Traumbüchl“ bezeichnet zu werden.

Durch die Treibstoffverknappung, autolose Tage, Geschwindigkeitsbeschränkungen und Unsicherheit über die Zukunft wurde nicht nur der Neu-, sondern auch der Gebrauchtwagenmarkt in Mitleidenschaft gezogen. Logischerweise erwiesen sich auf dem Gebrauchtwagenmarkt plötzlich schwerere Fahrzeuge mit hohem Verbrauch und größerer Leistung als schwerer anbringlich, während die der Zeit gerechteren, kleineren Autos mit sparsameren Motoren kaum an Terrain verloren.

Die Gebrauchtwagenhändler dieses Landes, die sich gegen jede Verwäs-serung der freien Marktwirtschaft genauso wie jede andere Branche wehren dürften, wenn sie zu ihren Lasten erfolgt, haben sich nicht erst damit aufgehalten, zu ermitteln, welcher Trend sich nun herausschält, wie die Preise der einzelnen Modelle und vor allem Fahrzeugkategorien auf die neuen Angebots- und Nachfrageverhältnisse reagieren. Sie haben ganz einfach in einer Sitzung beschlossen, die Gebrauchtwagenpreise generell nach unten zu korrigieren, und zwar im großen so, daß der neue Preis jeweils dem desselben Modells, aber eines ein Jahr älteren Exemplares, entspricht.

Womit der schwere Benzinfresser, der heute womöglich überhaupt nicht mehr anzubringen ist, mit dem sparsamen, kleinen Stadtfahrzeug, das jeder gerne hätte, wenn das Benzin teurer werden sollte, über einen Kamm geschoren wurde. Selbstverständlich waren auch die Vertreter der Neuwagen-Generalvertretungen anwesend, da sie ja darauf angewiesen sind, die beim Neuwagenkauf in Zahlung genommenen Gebrauchtwagen abzusetzen. Dabei stemmten sich selbstverständlich vor allem jene Firmen, die das „vernünftige Stadtauto der Gegenwart“ anzubieten haben, gegen die marktfremde Gleichmacherei, aber ohne Erfolg, weil in der Minderheit und daher überstimmt.

Während Pressesprecher A. Tsitso-vits von Renault durchaus glaubwürdig beteuert, bei der Generalvertretung seien die sparsamen Typen wie R 4, R 5 oder R 6 gegenwärtig als Gebrauchtwagen überhaupt ausverkauft und, wenn anfallend, sofort wieder weg und auch Citroen seine kleinen Modelle in ihrem hohen Wiederverkaufswert weniger denn je tangiert sieht, meint Schneider Manns-Au von VW, der seine Marke ebenfalls zu den Geschädigten des Abwertungsbeschlusses zählt, daß sich „die Kollegenschaft in der sehr emotionellen Stimmung zu einer Manipulation hinreißen“ habe lassen, hofft aber, daß der Markt die Dinge wieder ins Lot bringen wird. Dies, weil sich bald herausstellen müsse, daß es eben unmöglich sein werde, einen Sparkäfer, einen R 6 oder einen Citroen Ami zu dem im „Traumbuch!“ verzeichneten Oktoasionspreis auch wirklich zu bekommen.

Die Gebrauchtwagenhändler hingegen sehen ihr Geschäft so angeschlagen, daß sie meinen, die generelle Herabsetzung der Altwagenpreise sei ein letzter Rettungsanker gewesen. Wobei sich nur die Frage stellt, mit welchem Recht es möglich sein soll, einen Unfallgeschädigten mit einem Schadenersatz abzufinden, der den tatsächlichen Schaden weniger denn je deckt, weil es einfach unmöglich ist, für die Abfindungssumme ein halbwegs gleichwertiges Auto zu bekommen — falls es sich um einen modernen Kleinwagen gehandelt hat.

Diese Situation enthüllt die einerseits angeblich unverbindlichen Angaben der „Eurotax“ mit ihrer anderseits gar nicht unverbindlichen Handhabung durch die Schadensregler der Haftpflichtversicherer nicht nur als rechtliches Skandalon, sondern auch als partielle Außerkraftsetzung fundamentaler marktwirtschaftlicher Prinzipien.

Wenn „Eurotax“ wirklich nur ein unverbindlicher Leitfaden und ein „Traumbüchl“ ist, an dessen Angaben sich niemand zu halten braucht, weil Angebot und Nachfrage die einzig wahre Realität darstellen, sollten dies die Haftpflichtversicherungen als erste zur Kenntnis nehmen. Was gegenwärtig droht, ist, daß sie, als die Hauptnutznießer einer marktwirtschaftswidrigen Preisfestsetzung am grünen Tisch, als einzige bestens aussteigen und der Geschädigte doppelt geschädigt dasteht, wenn er für ein totalgeschädigtes Baujahr 1972 nur noch den Gegenwert eines ein Jahr älteren Fahrzeuges erhält.

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