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Der Tod des Konsumenten

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Daß sich «He Politik, speziell alle Wirtschaftspolitik und natürlich auch dus Wirtschaften selbst darum drehe, „Seiner Majestät, dem Konsumenten“ zu dienen, ist, obschon beharrlicli behauptet, längst ein Irrtum, wenn nicht Schlimmeres! Denn diese „Konsumenten-Majestät“ ist in der Tat zu einer breiigen, häßlichen und ganz unkenntlichen Masse zerquetscht worden, mit der man gierige Computer füttert. Außerdem hat diese Konsumentenmasse nun eben jene „dienende Marktfunktion“ zugewiesen erhalten, die man unlängst der Wirtschaft nachsagte. Daran ändert ein weithin ikn Gange befindliches Allerweltsgeschwätz nichts, das teils in werbenden, teils in belehrendem, immer aber auch beschwörendem Tonfall — gesprochen, geschrieben, gedruckt und audio- visueU gemacht — behauptet, „im Mittelpunkt steht der Mensch“.

Man kann diese unerwünschte Entwicklung an zwei Lehrbeispielen deutlich machen.

Lehrbeispiel Nr. 1

Nach langem Gezerre wurde eine ebenso saftige wie heuchlerische Erhöhung der Haftpflichtversicherung „erlassen“. Ganz im Stile des Absolutismus, denn „der Konsument“ (das Spätprodukt des einstigen „Bürgers“), dem Gehör au verschaffen so viele Revolutionen, speziell nahezu alle von der französischen bis zu den allerjüngsten, inszeniert wurden, hatte dabei weder direkt noch indirekt irgend etwas mitzureden. Unmündig, wie man ihn gemacht hat, wurde er von Wdrtschaftspaldtikem, Interes- sensvertretungen, Standesvertretun- gen und deren Lobby bevormundet, die das Gespräch mit der zuständigen Wirtschaftssparte führten, die wiederum, ihren eigentlichen gesellschaftlichen Zwecken seit langem entwachsen, so etwas wie ein ungeheurer Selbstzweck geworden ist Herausgekommen ist bei diesem Gespräch, über welches die Massenmedien den Konsumenten täglich die Ohren vallgeschrien haben, freilich, ohne deren Meinung anzuhören oder aufzunehmen, eine heuchlerische Erhöhung der Versicherungsprämien.

Den Versicherungsanstalten darob zu zürnen, wäre grober Unfug. Ihre zum Selbstzweck erhobene Existenz gebietet es den Sachwaltern, mit ordentlicher Vorsorge nach sauberen Bilanzen und möglichst lukrativen Gewinnen zu trachten — unter aUen Umständen! Von ihrem Standpunkte aus war daher eine Prämdener- erhöhung sicher notwendig und dieser Standpunkt konnte auch durch die Vorlage zwar verwirrend vielen, immerhin aber auch anschaulich überzeugenden Materials gestützt werden. Freilich, daß an der dem „majestätischen Konsumenten“ zur gesetzlichen Pflicht (wie etwa die Sozialversicherung auch) gemachten Haftpflichtversicherung auch noch Provisionen verdient werden, ist eine ungebührliche Ausbeutung des Menschen, der da wieder einmal im Mittelpunkt wer weiß welcher Schläue geraten ist! Ebenso schwer verständlich ist das Entsetzen über die „bedrohte Freiheit“, falls dieser von den Versi-che-rungsgeseUschaften angehl-ich oder wirklich ungeliebte, ja, ihnen geradezu verhaßte Zweig hätte verstaatlicht werden sollen. Der Autor ist kein besonderer Freund von Verstaatlichung, die sich längst nicht als das beste aller denkbaren ModeHe bewährt hat. Doch ob „staatliche Pflicht-(Zwangs-)ver- sicherungen“ nicht doch besser mitten in die „politische Zentrale“ verlagert gehören — wie etwa die Kranken- oder Pensionsversicherung auch, müßte noch erwogen werden.

Die Standesvertretungen — Kammern und dergleichen — hielten sich, zumindest offiziell, eher fern vom Gesprächsort auf. Man kann das verstehen. Einerseits sind es die Klienten, wenn -auch zwangsweise organisiert (!), die höhere Preise fordern, anderseits sind es die Klienten, die das bezahlen soHan. Eine fatale Situation, welcher der in diesen Standesvertretuhgen noch vornehmlich wirkende, reęht antiquierte Pascha-Typus nicht mehr gewachsen ist. Man flūchtetą des obligaten Ritus wegen, in einige, wenig oder nichtssagende Floskeln, die dem Geübten ja bei solcher Gelgenheit — mit oder ohne „ghostwriter“ — schnell zur Hand sind.

Zu enge Grenzen

Auch -die eigentlichen Interessenverbände des oder der Konsumenten zeigten wieder einmal, und sehr zu ihrem Schaden, die eng gezogenen Grenzen. ÖAMTC und ARBÖ liegen in einem nicht ganz ohne parteipolitischem Hümtarsinn und eben deshalb listenreich geführten Wettstreit um den Zulauf immer noch quasi fred- schrwebender Kraftfahrer. Da sind denn auch Pathos und eindrucksvolle Attitüden am Platze, hinter welcher die schon von Anbeginn an festgelegte Rückzu-gsllme verborgen wird. Diese umgihig harnMch behutsam einen handfesten Vorschlag, der eine nähere Untersuchung wohl verdient hätte: nämlich jenen, die Kraftfahrer- Massenvereine sollten einmal nicht ihre Vereinsmuskel-n, sondern ihre Vorstellungskraft spielen lassen und ein -gemeinnütziges genossenschaftliches, von ihnen seihst wahrscheinlich zu bewältigendes Versicherungsanstaltsmodell schaffen. Wenn nämlich -stimmt, was die Versicherungsunternehmen sagen, daß die „Haftpflicht“ nicht in ihr eigentliches

Geschäft passe (und daher so kostspielig für alle sei), dann läge mehr als nur ein Grund vor, sich eine solche Konstruktion zu überlegen!

Die offizielle Wirtschaftspolitik übte sich in Spiegelfechterpose, eingenommen vom Handels- und vom Finanzministerium, wozu es schwerfällt, keine Satire zu schreiben, denn der Fiskus gewinnt immer! Schließlich erzwang sie das zutiefst heuchlerische Ergebnis, daß der „VW- Klasse“ eine relati-v nur geringe Erhöhung widerfuhr. Nicht, weil diese Klasse die am meisten gefahrene und auch die mit den relativ geringsten Unfallzahlen wäre, o nein! — nur, weil diese Klasse im „Index- Verbraucherkorb“ enthalten ist und man auf diese selbsttrügerische Weise sich und „Seiner Majestät, dem Konsumenten“ vormachen kann, es habe sich, die Statistik beweise es ja, eigentlich gar keine wirkliche Teuerung ergeben, zumindest längst nicht in dem befürchteten und van „gewissenlosen Demagogen“ behaupteten Umfange!

Um die „Majestät“ nicht schon bald wieder ungebührlich belästigen zu müssen, wurde ein übrigens reichlich a-ugenauswischerisches Kontroll- und Beratungssystem zwischen Versicherungen und zuständigen Ministerien ausgebaut, das eine zwar periodische, aber stillere Erhöhung der Tarife möglich macht. Auch ihr Mittelpunkt wird — no na! — der Mensch sein!

Lehrbeispiel Nr. 2

Die Autoindustrie vereinigte sich mit dem majestätischen Konsumenten zur Klage über die Verteuerung von Kraftfahrzeugen durch die zehn- prozentige Sondersteuer. Doch als diese fortflel, blieben die Preise unverändert oben. Denn mittlerweile seien eben die Produktionskosten usw. um ebensoviel -gestiegen (was angesichts des kurzen Zeitraumes, in welchem übrigens eine Weile „Preisstillstand“ herrschte, eine enorme Rate ist). Doch, gottlob, -der Schilling wunde aufgewertet, wodurch die Hoffnung ins Haus stand, daß die importierte Autoware nun billiger werden würde!

Doch daraus wurde, wie wir wissen, nichts. Die meisten HersteUer belehrtgji die scheinbar wiederum die Zeit verschlafen habende und offensichtlich ein wenig vertrottelte Majestät, der , Auf wer tungsgewinn ‘ ‘ reiche gerade, um die schon wieder eingetretene Verteuerung .glicht weiterzugeben“. Manchen Herstellern reicht er übrigens nicht und sie preisen sich uns als wahre Wohltäter an, die „trotzdem“ aber nur „derzeit“ die alten Preise halten. Wie man hört, bis zum Herbst…

Doch es gibt auch Weltmarken, welche die „Majestät“ bereits frotzeln. Etwa, indem sie lau-thals eine

Preissenkung von 1000 Schilling (in Worten tausend Schilling) verkünden — allerdings nur für das weit über hunderttausend SchiUing kostende absolute Luxusmodell!

Wiederum zeigt sich, daß der aller- neuzeitlichsten Wirtschaftsauf fassung zufolge der „marktbewußte Konsument“ für die Wirtschaft da ist und nicht umgekehrt, diese bloß für ihn! Und selbstverständlich verhal- halten ‘sich in diesem System die nach Aktien- und anderen Gesetzen verantwortlichen Manager richtig, wenn sie in jeder Weise auf Gewinne, und zwar auf reichliche, bedacht sind. Nur die Frotzelei ist überflüssig!

Aber muß man — je nachdem, wem man mißfällt! — immer gleich ein „Kommunist“, ein „Faschist“, ein „Anarchist“ oder was sonst alles sein, wenn man argwöhnt, dieses System diene — ebensowenig wie das weiter östlich gahandhabte — nicht „dem Menschen“, es diene auch nicht der längist ervttrohnien Majestät, dem Konsumenten, sondern auf eine seelenlos-mechanistische Weise nur noch sich selbst, Spitzenprodukt einer Technokratie, die — höchst wahrscheinlich gegen ihren ursprünglichen Willen und sicherlich beinahe ohne Absicht — zum Selbstzweck sich erst aufgeworfen und dann tatsächlich über alle anderen Zwecke erhoben hat!

So vollendet das im Namen des (oder der) Konsumenten und natürlich zum allgemeinen Besten entfaltete Getriebe sein wie absichtsloses Walten: es scheint keinen auf normale Weise zu gewinnenden Ausweg mehr zu geben. Doch weil man die schreckliche Erkenntnis, bloß lauter zum Selbstzweck erhobenen geringeren Zwecken fortan dienen zu müssen, nicht schadlos ertrüge, wird alles zu einem .höheren Zweck“ erhoben, nach dessen Beschaffenheit nicht weiter gefragt werden darf, da er ja „ein höherer“ ist! So rechtfertigt sich eins aus dem anderen, wenn auch ohne Rückversicherung auf die Vernunft und ohne Rückbesinnung auf den ursprünglichen Plan von Wirtschaft und Technik.

Man kann das auch so sagen: der freien, sozialen Marktwirtschaft drohen zwei Merkmale, das freie Und das soziale, abhanden zu kommen. So wird Marktwirtschaft .^sittlich neutral“ und „entddeologisiert“ — ein reiner Selbstzweck, über dessen Mechanismus nur noch professdonale Zeitvergeuder nachsinnen mögen. Damit gerät aber mehr in Verlust, als aUe Fach- und Standesweisheit sich träumen läßt. Nämlich sowohl die rationale, als auch die nicht minder wichtige irrationale Auffassung vom Menschen und seiner Welt, in der nicht bloß angeblich, sondern wirklich alles „seinetwegen“ geschieht!

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