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Motorisierte Sorgen

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Selten hat auf die österreichische Kraftfahrerschaft etwas so alarmierend gewirkt wie die beabsichtigte bedeutende Erhöhung der Haft-pflichtversicherungsprämien. Die Erregung ist verständlich, wenn man bedenkt, daß die Haftpflichtversicherung eine Zwangsversicherung ist, die eine stehende Post in der Rechnung des Kraftfahrers darstellt. Sie kann auch durch vermindertes Fahren nicht ausgeglichen oder gemildert werden, .Es ist daher verständlich, wenn von Seiten der Kraftfahrer und deren Vertretungen heftige Worte gefallen sind, bei denen manchmal über das Ziel hinausgeschossen wurde.

Nun wird durch scharfe Worte und subjektive Beurteilung der Situation der Sache nicht gedient. Nur sachliche Argumentation und Verhandlungen mit den zuständigen Stellen können zum Ziel führen.

Eine Erhöhung der Haftpflichtprämien wird zweifellos wirtschaftliche Rückwirkungen nach sich ziehen. Anderseits stellt eine Erhöhung der Prämien durch die Versicherungsgesellschaften keine Preissteigerung im üblichen Sinn dar; sie ist vielmehr bis zu einem noch festzustellenden Grad gerechtfertigt, da auch die Leistungen der Versicherungsgesellschaften gestiegen sind. Es fragt sich also vor allem, in welcher Höhe sie sich im Vergleich zu den zur Einzahlung gelangenden Prämien bewegen.

Die „Furche“ hat bisher zu diesem akuten Problem deshalb nicht Stellung genommen, weil wir erst entsprechende Unterlagen vom Finanzministerium, den Versicherungsgesellschaften und einer Vertretung der Kraftfahrerschaft, dem OeMV, einholen wollten. Momentan stellt sich die Sache so dar, daß im Jähre 195 5 laut Versicherungsstatistik 90,65 Prozent der effektiv eingegangenen Prämienbeträge wieder für Schäden ausbezahlt wurden. Dazu kommen die gesamten Regien, die, wie wir von zuständiger Stelle erfahren haben, hier nicht inbegriffen sind, wodurch de facto bereits für das Vorjahr ein gewisses Defizit aufgetreten ist. Ein Vergleich mit dem Jahre 1953, in dem für 408.536 Kraftfahrzeuge zirka 109 Millionen Schilling für Schäden ausbezahlt wurden, während im Jahre 1955 für 617.423 Kraftfahrzeuge mehr als 209 Millionen Schilling geleistet wurden — was bei einer Zunahme an Kraftfahrzeugen von 50 Prozent eine Steigerung der Schä-denum fast 100 Prozent ausmacht —, zeigt, worauf die Versicherungsgesellschaften ihre Forderungen stützen. Wenn diese Entwicklung anhalten sollte, dann ist mit einem weiteren Passivum der Versicherungen zu rechnen. Unvermerkt soll hier nicht bleiben, daß die Motorräder mit über 8 Millionen Schilling Defizit den Hauptpassivposten ausmachen. Es folgen die Sonderfahrzeuge mit rund 400.000 und die Händler mit rund 100.000 Schilling. Hochaktiv hingegen sind die Lastkraftwagen mit über 20 Millionen Schilling, während die Pkw.s mit über 7, die Omnibusse mit fast 3 Millionen und die Taxis mit über 600.000 Schilling aktiv sind.

Die gesamte Versicherungsgebarung unterliegt einer ständigen strengen Kontrolle durch das Finanzministerium. Abgesehen davon aber ist die Tatsache nicht von der Hand zu weisen, daß heute die Höhe der Leistungen aus der Haftpflichtversicherung zu gering sind und daher eine günstigere Festsetzung im Interesse der Kraftfahrer liegen würde. Dies bedeutet bei größerem Risiko höhere Ausgaben und daher natürlich auch eine Erhöhung der Versicherungsprämien.

Nicht überzeugend erscheint dagegen das Argument der Versicherungsgesellschaften, daß durch das neue Verkehrsgesetz, das eine Erhöhung der Geschwindigkeit zum Beispiel in der Stadt von 40 auf 50 km/h vorsieht, bereits eine Erhöhung des Risikos der Versicherung gegeben ist, denn es handelt sich hier um einen rein theoretischen Wert. Dasselbe gilt für den Ueberlandverkehr.

Wir sind der Meinung, daß eine Versicherungserhöhung gerechtfertigt ist, jedoch das vorgesehene Ausmaß der Erhöhung nicht tragbar ist. Wir würden eine Prämienerhöhung um 30 bis 40 Prozent als akzeptabel und die Wirtschaft noch nicht gefährdend empfinden, wobei ohne weiteres auf Bonusse und ähnliche Begünstigungen zu verzichten wäre. Die Rückvergütung bringt für die Versicherungen eine zusätzliche Arbeit, kostet Geld, und zwar das Geld der Kraftfahrer. Es ist deshalb von vornherein gescheiter, sämtliche Versicherungsprämien der Kraftfahrer niedriger zu halten. Eine individuelle Erhöhung bei besonders unfallfreudigen Kraftfahrern würde vielleicht erzieherisch wirken, aber wieder neuen Aufwand verursachen. Ein höherer Prozentsatz ist zugegebenermaßen in der Gruppe der Motorradfahrer gerechtfertigt, da nicht ganz einzusehen ist. daß unter einer ganzen Kategorie von Verkehrsteilnehmern die gesamten übrigen finanziell zu leiden haben sollen. Hier wäre eine entsprechende Prämienabstufung gerechtfertigt. Hingegen wäre eine rigorose Prämienerhöhung bei Mopeds absolut ungerechtfertigt. Um diese Bedrohung der einfachsten Motorisierung abzuwenden, wäre es begrüßenswert, könnte sich der Herr Finanzminister dazu entschließen, -die durch die Prämienerhöhung auch in verstärktem Maße anfallende Versicherungs Steuer, die nach dem derzeitigen Stand der Dinge zusätzlich rund 28 Millionen Schilling ausmachen würde, zu einem Teil zugunsten der am meisten benachteiligten Und ungefährlichsten Kraftfahrer zu verwenden. Dies würde zu einer gewissen Prä-mienverbilligung beitragen.

Das Finanzministerium selbst ist nicht der Initiator der Erhöhung der Versicherungsprämien. Es hat die österreichische Kraftfahrt mehrmals maßgebend gefördert. Seinen Bestrebungen ist es vor allem zu danken, wenn das Kraftfahrzeug heute kein ..Luxusgegenstahd“, sondern auch für den kleinen Mann erreichbar geworden ist. Das Finanzministerium hat hier lediglich die undankbare Aufgabe, Verfügungen treffen zu müssen, die durch den Nachweis der Versicherungsgesellschaften erforderlich geworden sind. Wir haben den Herrn Finanzminister um eine Stellungnahme gebeten, welcher Bitte er freundlicherweise entsprochen hat.

Nachstehend die

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