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Erziehung zur Fahrerflucht?

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Die Diskussion über die Reform der Autohaftpflicht wird spätestens im Herbst wieder aufflammen. Bisher steht eines fest: Ob reformiert oder nicht, sie wird wieder teurer. Sicherlich eine unerfreuliche Tatsache, doch darf man sich die Stellungnahme dazu nicht so leicht machen, wie dies vor kurzem der Sprecher einer großen Kraftfahrvereinigung tat: Die Prämien dürfen nicht erhöht werden, lieber soll die Autohaftpflicht defizitär sein.

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Die Diskussion über die Reform der Autohaftpflicht wird spätestens im Herbst wieder aufflammen. Bisher steht eines fest: Ob reformiert oder nicht, sie wird wieder teurer. Sicherlich eine unerfreuliche Tatsache, doch darf man sich die Stellungnahme dazu nicht so leicht machen, wie dies vor kurzem der Sprecher einer großen Kraftfahrvereinigung tat: Die Prämien dürfen nicht erhöht werden, lieber soll die Autohaftpflicht defizitär sein.

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Hier ist dem Finanzminister durchaus beizupflichten, wenn er dies kategorisch ablehnt. Eine defizitäre Haftpflichtversicherung bedeutet nämlich, daß das Defizit aus den Überschüssen anderer Sparten abgedeckt wird, daß also die Lebensversicherung oder die Elementarversicherung — welche sowohl jeder Eigenheimbesitzer als auch, im Rahmen der Betriebskosten, jeder Mieter zahlen muß — die Kraftfahrer subventioniert. Gerade das ist sozial nicht zu verantworten.

Genau so wenig wie den Versicherten anderer Sparten ist es aber dem korrekten Fahrer, der vielfach jahrelang keinen Schaden verursacht hat, zumutbar, daß er von den Prämienerhöhungen ebenso betroffen wird wie die notorischen „Unfaller“. Der Ruf nach einem Bonus- und Malus-System ist daher durchaus legitim. Dennoch sind dagegen gewisse Bedenken anzumelden, und es kommt darauf an, welche Form dafür gewählt wird.

Da ist zunächst einmal das kalkulatorische Problem. Die Versicherungen stehen auf dem Standpunkt, die gegenwärtigen Prämien müßten auf alle Fälle erhöht werden. Soll auch noch das System geändert und ein Bonus eingeführt werden, so ist eine zusätzliche Erhöhung der Normalprämie notwendig. Das aber ist nicht gerade der Zweck der Übung. Der Bonus soll ja ein Anreiz zu vorsichtigerem Fahren sein und dadurch die Versicherungen entlasten, nicht den Versicherten zusätzlich belasten.

Die Haftpflichtversicherung ist aber eine viel zu ernste Sache, als daß man die Versicherungsmathematiker allein darüber entscheiden lassen könnte. Ihre primäre Aufgabe besteht ja nicht darin, den Versicherten, sondern den von ihm Geschädigten — also einent der gar nicht Partner des Haftpflichtversicherungsvertrags ist — zu schützen.

Nun ist die Unfallsmoral der Kraftfahrer bereits jetzt außerordentlich mangelhaft. Fahrerflucht nach Beschädigung speziell eines geparkten und unbewachten Fahrzeugs ist bedauerlicherweise heutzutage die Regel, nicht die Ausnahme. Dies liegt zweifellos teilweise „auch an jener unsinnigen Bestimmung der Straßenverkehrsordnung, wonach es nicht genügt, den Geschädigten durch einen Zettel unter dem Scheibenwischer zu verständigen, sondern daß darüber hinaus auch noch unverzüglich Meldung bei der nächsten Polizei- oder Gendarmeriedienststelle erstattet werden muß, widrigenfalls der Schädiger eine Verfolgung wegen Fahrerflucht zu gewärtigen hat. Es liegt auch an den polizeilichen Schikanen — beispielsweise, wenn wegen geringfügiger Verspätung bei der Selbstanzeige gleich ein Strafverfahren eingeleitet wird —, welcher der weiße Rabe unter den Schadensverursachern außerdem noch ausgesetzt ist.

Ein System, bei .dem der Bonus durch die Verursachung eines noch so minimalen Blechschadens verlorengeht, muß dieser bedauerlichen Tendenz zur Fahrerflucht weiteren Auftrieb verleihen. Zu verantworten ist daher lediglich ein System, bei dem die Sanktionen nicht sofort bei einem einmaligen Bagatellschaden wirksam werden, sondern welches sich am längerfristigen Schadensverlauf orientiert. Es wäre empfehlenswert, wenn die Erstversiche-rung eines neugebackenen Kraftfahrers zu einer Basisprämie abgeschlossen wird. Erweist sich in den folgenden Jahren, daß er zwar nicht völlig schadensfrei — ein solcher Perfektionismus ist (siehe Fahrerflucht!) immer dubios — fährt, aber einen überdurchschnittlich günstigen Schadensverlauf aufweist, dann wird er nicht mit einem auf dem Schadensverlauf im jeweiligen Versicherungsjahr bezogenen Bonus entschädigt, sondern er wird längerfristig in eine Kategorie mit niedrigerer Prämie eingereiht. Erweist er sich hingegen als „notorischer Unfaller“, dann tritt der „Malus“ in Aktion, nämlich die Einstufung in immer höhere Prämienkategorien, was bis zur Verweigerung einer weiteren Haftpflichtversicherung und damit zum automatischen Entzug des Führerscheines führen soll.

Alle diese Kategorien wären separat abzurechnen, und jede müßte für sich ausgeglichen bilanzieren. Wichtig dabei ist aber, daß auf alle Fälle nicht ein einmaliges Ereignis — auch wenn es ein schwerer und für die Versicherung kostspieliger Unfall ist (ausgenommen bei besonders rücksichtslosem Verhalten) —, sondern der längerfristige Schadensverlauf die Einstufung bestimmt.

Eine zusätzliche Verkleinerung der Risikogemeinschaften wäre auch nach anderen Gesichtspunkten empfehlenswert. Beispielsweise ist der globale Schadensverlauf bei Lkws bekanntermaßen bei weitem ungünstiger als bei Pkws, und dort wieder ist er anders bei Taxi- und Privatfahrern. Auch hier wäre eine separate Berechnung der Prämien für jede Kategorie notwendig.

Total abzulehnen ist hingegen die neueste Idee der Versicherungen: Ein Selbstbehalt bei der Haftpflicht bis zu 3000 Schilling. Das wäre geradezu eine Aufforderung zur Fahrerflucht.

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