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Wie steht es mit dem Zugang zum Recht?

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Vor einem Jahr veranlaßte der Präsident des Oberlandesgerichts Innsbruck, Dr. Karl Kohlegger, mit der Feststellung, die Bevölkerung sei juridisch unterversorgt und nicht für jeden sei das Recht zugänglich, Aufruhr unter seinen Fachkollegen und Schlagzeilen in der Presse. Anfang dieses Jahres war der „Zugang zum Recht“ Inhalt einer ministeriellen Enquete mit Vertretern aller juristischen Berufsgruppen. Seit der Enquete gestaltete Kohlegger seine Angriffe und Vorstellungen härter und präziser, was auch in Seminarvorträgen beim heurigen „Europäischen Forum Alpbach“ zum Ausdruck kam.

Große Teile der Bevölkerung, die sozial schwächeren Schichten, befinden sich nach Kohleggers Meinung in einer Position faktischer Rechtlosigkeit. Dies beruhe auf vielfältigen Problemen, die er in drei Gruppen einteilt: die Sprach-, Organisations- und Kostenbarriere. Der Anfang aller Schwierigkeiten liege im „Juristendeutsch“; In den größtenteils Unverständlichen Formularen und in der Ausdrucksweise der Richter. Wer mehr prozessiert, könne die Prozesse und die Beschäftigung eines Anwalts zeitlich günstiger und somit billiger gestalten.

Schließlich sei bei vielen Prozessen das Kostenrisiko - je größer der Streitwert, desto höher die Gebühren -schon so hoch, daß allein auf Grund dieser Tatsache der Kläger nicht zu Gericht ^ehe oder der Beklagte nicht verhandle. Während bei Unternehmern die Prozeßkosten steuerlich berücksichtigt werden, können sie bei sozial schwächeren Privatleuten nicht nur Ersparnisse, sondern auch die Existenz rauben.

Daher sieht Kohlegger den Zivilprozeß als „Dienstleistungsverfahren für die Oberschicht' und die Gerichte für viele Kreise der Bevölkerung als „Dienstleistungsbetriebe verschiedener Institutionen und Körperschaften“. Das Kostenrisiko beschränke die Handlungsfreiheit und „es wäre an der Zeit, daß sich Österreich an die Verpflichtungen ... der Menschenrechtskonvention erinnert“. Der Vizepräsident der Rechtsanwaltskammer, Dr. Fritz Leon, erwiderte Kohlegger: „Lassen wir die Kirche im Dorf. Wir haben einen vorbildlichen Rechtsstaat, wir haben einen sozialen Rechtsstaat!“

Was Verbesserungen aber nicht den Weg versperren sollte. Der vieldiskutierte Nulltarif, den Kohlegger in der Theorie als die beste Losung bezeich net, und der auch die Anwaltskosten einschließen müßte, ist (derzeit?) für ihn wegen der Kostenfrage nicht realistisch. Außerdem findet er ihn nur dann sinnvoll, wenn er kompensatorisch ausschließlich sozial schwache Parteien entlaste.

Bei den Rechtsanwälten will der Innsbrucker Oberlandesgerichts-Prä-sident vieles ändern. Wegen der „Mündigkeit der Bürger“ sollte der Anwaltszwang aufgehoben werden (die ungeheure Mehrbelastung der Gerichte durch die dann fehlende juristische Aufbereitung der Materie scheint der Richter Kohlegger zu übersehen). Die Tarifstaffelung, wonach bei kleinen Streitwerten prozentuell mehr Kosten anfallen als bei großen („Bonus-Malus-System“), sei umzudrehen.

Schließlich solle man sich über die „überalteten Ansichten der Gefahren bei Erfolgshonoraren“ hinwegsetzen, auch die Finanzschwachen fühlten sich dann besser vertreten. Was aber -wie in den USA - dazu führt, daß (gute) Anwälte „kleine Fische“ überhaupt nicht übernehmen; der kleinen Fälle der sozial Schwächeren nähme sich dann kein oder nur ein schlechter Anwalt an. Außerdem ist dann eine Vermengung der Sache des Klienten mit der des Anwalts gegeben, was die Rechtsanwälte ablehnen; der Klient könnte sich vom einmal gewählten Anwalt auch nicht mehr trennen.

„... werde voraussichtlich die Pflichtrechtsschutzversicherung in naher Zukunft verwirklicht“

Um dem zu entgehen, werde voraussichtlich - nach Kohleggers ausgefeilter Darstellung - die Pflichtrechtsschutzversicherung in naher Zukunft verwirklicht. Wie im Straßenverkehr, bedeute jeder im Rechtsverkehr, also überall im Leben, Auftretende eine Gefährdung für sich und andere, eine Lösung ähnlich wie bei der Haftpflichtversicherung mit freier Auswahl unter Privatversicherungen sei das beste Modell.

Bei allem scheint Kohlegger sehr volksnah. Der bessere Zugang zum Recht läßt sich für ihn aber durchaus mit einem weiter werdenden Weg zu Gericht durch die Auflösung kleiner Land-Bezirksgerichte vereinbaren. Darin unterstützt er den Minister gegen die Bevölkerung, die ihr Gericht in der Nähe haben möchte: „Für ein billiges Waschmittel fahren sie Kilometer, für das Gericht wollen sie es nicht.“

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