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Vorarlberg

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Unsere Landsleute vor oder hinter dem Arlberg — es kommt auf die Perspektive an — sind wegen ihres stark entwickelten Landesbewußtseins bekannt. Sie genießen aber auch den Ruf als gute Österreicher und vorbildliche Demokraten. Und in der Tat stand nicht nur der Vorarlberger Jodok Fink der jungen Republik 1918 Pate; das Land vor dem Arlberg hat uns über Ender bis Grubhofer eine Reihe von Politikern geschenkt, die nicht nur die Interessen ihres Bundeslandes mit Nachdruck vertraten, sondern darüber hinaus als beredte Anwälte der Republik Österreich sich jederzeit vernehmen ließen.

Und jetzt der „schwarze Samstag“ von Bregenz. Denn es war ein „schwarzer Samstag“ unseres Gemeinwesens, täuschen wir uns nicht.

Deswegen können wir uns auch nicht dadurch beruhigen oder gar darüber hämisch freuen, daß einem sozialistischen Minister der Marsch geblasen wurde. Ohne Zweifel: Mit nur etwas „angewandter Psychologie“ wäre es nie zu der ganzen Affäre gekommen. Inwieweit auch der „Fall Olah“ seine Schatten über den Arlberg warf, ist eine andere Frage. Aber wüste Radauszenen, tätliche Drohungen und vor allem eine niedergeholte rotweißrote Fahne: nein, das kann nicht der Föderalismus sein, den wir meinen und für den immer wieder und mit voller Überzeugung gerade in diesem Blatt eine Lanze gebrochen wird. Hier ist eine berechtigte Protestbewegung in Bahnen gekommen, an deren Ende schlicht und einfach die Auflösung unseres Gemeinwesens stehen müßte.

Der Staatsanwalt wurde alarmiert. Die Gerichte werden in Funktion treten. Vor ihren Schranken werden jedoch die Hauptangeklagten fehlen. Da ist einmal jenes fatale Denken in „Reichshälften“, und da ist auch jener in den letzten Jahren immer öfter und immer ausschließlicher von „oben“ ausgesprochene Appell an das Heimatgefühl, der gut und berechtigt ist, wenn man neben und über ihn die Verpflichtung an das gemeinsame Vaterland nicht vergißt.

Die ich rief

Aus bekanntem Anlaß hat Österreichs führender Filmjoumalist Doktor Josef Handl, Generalsekretär des Lichtspieltheaterverbandes und ordentliches Mitglied der österreichischen Gesellschaft für Filmwissenschaft und Filmwirtschaft, in einer Sondernummer (1964, 42 a) der

„Filmkunst“ einmal präzise und so-

zoologisch, psychologisch und ökonomisch unterbaut, die vier „klassischen“ Ursachen des beängstigenden Besucherschwundes der österreichischen Kinos analysiert: Fernsehen, Motorisierung, Urlauberverkehr und Alkoholkonsum. Es ließen sich noch andere hinzufügen (höherer Wohnungsstandard und andere Ratenbelastungen). Aber die gescheite Veröffentlichung wird ihren Zweck erfüllen und heute oder morgen ihre Nah- und Fernziele, von denen in Steuerkreisen nicht gerne gesprochen wird, erreichen. '

Einen anderen Gedanken wird man bei der Lektüre dieses Sorgenbreviers nicht los, der freilich nur indirekt zur Fragestellung Dr. Josef Handls gehört.

Jahrzehntelang hat die Filmproduktion (der Wiener Dlabek hat übrigens auch dem Vertrieb und Verleih fundamentale Fehlleitungen bis heute in einem größeren deutschen Buch nachgewiesen) die Sehnsüchte der Massen nach Freizeit, Luxuslimousinen und Frau-Pollak- schen Wohneinrichtungen ungebührlich angeheizt, und der Schluck Kognak (vom „Napoleon“ aufwärts) gehört nachgerade zur stehenden Passage des heutigen Films.

Der Film ist also wohl nicht allein, aber hervorragend mitschuldig an der Weckung jener Massengenüsse, deren Bar- oder Ratenzahlung heute Millionen Menschen beim Kinobesuch einsparen müssen.

Film und Kino sind der Zauberlehrling, der die gerufenen Geister nicht los wird. Und kein irdischer Meister ist da, der da sein gebieterisches „Halt“ spricht.

Die Wiener TH

Ein junger Diplomingenieur hat ausgesprochen, was andere nur denken. Er stellte öffentlich fest, die praktische Studiendauer an der Architekturfakultät betrage das Doppelte der vorgesehenen, die Ausbildung sei minderwertig und der Studienerfolg stehe demnach in keinem Verhältnis zum Aufwand. Wenn das ein „Racheakt“ ist, dann freilich ein heiliger.

Das Gebiet der Architektur hat zwar eine „technische“ und eine ..künstlerische“ Seite. Aber eben die Wechselbeziehung von Wissen und Können muß der Architekturlehrer vermitteln und vorleben. Wo die schöpferische Kraft fehlt, verliert das technische Wissen seine Kontrolle durch den Entwurf; niemand weiß, ob nicht Unnötiges gelehrt wird und Nötiges fehlt. Der Entwurf wieder verliert den Motor, bleibt im Klischee stecken und gefällt sich in leerer Hübschheit. Aus einem MinderWertigkeitsgefühl wird dann das technische Wissen sinnlos aufgeblasen; der Entwurf will durch Arbeitsaufwand bestechen. Das Studium dauert immer länger und wird immer unbefriedigender. Mehr noch: die echte Entwicklung des Studierenden entfernt sich immer mehr von seinem „Studienfortschritt“. Und das Schlimmste: All dies durchschaut erst, wer einen beträchtlichen Teil der Studiendauer hinter sich hat.

Daß die Professoren kritisiert wurden, ist vielleicht taktisch unklug, aber sachlich richtig. Jedes System ist gut, wenn die Persönlichkeit da ist, es auszufüllen. Trotzdem ist auch der Standpunkt nicht unberechtigt, die Studenten hätten jene Professoren, die sie verdienten. Die Mentalität, möglichst rasch und ohne Komplikationen „fertigzumachen“, ein Architekt könne man später immer noch werden, ist mit geistiger und künstlerischer Entwicklung der Person unvereinbar. Und auch mit der des Charakters. Hier nimmt die Korrumpierung des Berufs ihren Anfang. Wo der einzelne diese Haltung einnimmt, hat auch eine organisierte Unternehmung kein echtes Ziel.

Die Aktion DipL-Ing. Wallners wird keine unmittelbaren Folgen haben; zunächst fehlt ihm die entscheidende Verbindung zu den Studierenden. Sie hat aber Berufenen gebracht, was sie vielleicht brauchen: Publizität.

Im Griff

Sprachmoden sind nicht immer, aber doch häufig, Sprachsünden. So wie auch andere Moden nicht immer, aber häufig Das Niemandsland an den Grenzen ist stets bevorzugtes und ergiebiges Revier des Jägers nach den Zeichen der Zeit. In diesem neutralen Streifen zwischen Mode und Sünde blüht derzeit das Sprachunkraut „Griff“.

Ehedem war der Griff die Fertigkeit des Fachmanns, bestimmte Beschaffenheiten und Zusammenhänge rasch zu erkennen. Er hatte das „im Griff“, der Schneider, der Schuster.

Heute „greift“ dgf Mensch höher. Es dauerte einige Jahrhunderte, versicherte kürzlich ein angesehener Astronom, ehe man die Sterne richtig „in den Griff“ bekam. Soziale Strukturen muß man, ehe man sie analysiert, im Griff haben. Ob Märkte oder Weltanschauungen, ob Bevölkerungsstatistiken oder Moleküle: der Redner oder Schreiber versichert, daß er sie im Griff habe, oder — nette Geste optimistischer Bescheidenheit! — demnächst in den Griff bekommen werde. Bedauerlicherweise sind auch heute noch manche Probleme ungelöst. Dann appelliert der moderne Greifer stets wirkungsvoll an das Auditorium, doch eingedenk der großen Verantwortung mitzuhelfen, damit man diese Dinge rasch in den Griff bekommt

Der vorwitzige Griff ist das Signum eitler Perfektionitis. Diese Sprachmode kommt aus der völlig falschen, aber weitverbreiteten Überzeugung, daß die ganze Welt manipulierbar set Man muß sie nur so recht im Griff haben.

Der Laie kommt aus dem verblüfften Staunen nicht heraus.

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