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Zurück zur Schulbank - nur Privatsache?

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Auf den ersten Blick scheint es, als wäre die Einführung der Bildungsfreistellung eine rein wirtschaftliche Frage. Wo es jedoch um die Inhalte geht, ist die Entscheidung darüber ebenso eine Frage des gesellschaftlichen Stellenwertes der Bildung. Während nun alle mit dieser Frage Befaßten ausführlich, aber bisher erfolglos diskutieren und eine Einigung noch keineswegs abzusehen ist, haben der Zeitungsherausgeberverband und die Journalistengewerkschaft bereits einvernehmlich ein Modell für ihre Berufsgruppe erarbeitet, das im Dezember kollektivvertraglich in Kraft treten wird.

Im Gespräch ist die Bildungsfreistellung, die jedem Arbeitnehmer eine Weiterbildung außerhalb des gesetzlichen Urlaubes, im Rahmen der Arbeitszeit, ermöglichen soll. Ihre Bedeutung und Notwendigkeit wird allgemein anerkannt. Drei Projektgruppen befassen sich seither mit den verschiedenen Problemen, die damit verbunden sind: die Volkswirtschaftliche Gesellschaft erarbeitet die rechtlichen Grundlagen und versucht, die zentrale Frage der Lohn- und Gehaltsfortzahlung zu lösen. Das Katholische Bildungswerk untersucht die zur Verfügung stehenden Raum- und Referentenkapazität und die Kosten der Bildungsveranstaltungen. Die burgenländische Förderungsstelle des Bundes beschäftigt sich mit der Frage der Büdungsmotivation und wertet die Modellveranstaltungen aus, die zum Teil bereits abgehalten wurden oder bis Ende des Jahres abgeschlossen sein sollen.

Wer soll zahlen?

Uber einige rechtliche Voraussetzungen - vorerst nur für Dienstnehmer - konnte im wesentlichen eine Einigung erzielt werden. Völlig ungeklärt ist die Frage, welchem Kompetenzbereich die Büdungsfreistellung zuzuordnen ist, aber auch die brisante Frage, wer die Entgeltfortzahlung übernehmen soll. Dr. Martin Mayr von der Bundeskammer und Prof. Auguste Jedina von der Vereinigung österreichischer Industrieller vertreten den Standpunkt, daß der Dienstnehmer auf jeden Fall einen Beitrag leisten solle. Alfred Mrkvicka von der Arbeiterkammer stellt dazu fest, daß sich dieser Beitrag jedoch nur etwa in der Höhe bewegen sollte, wie er bei Veranstaltungen und Kursen im Rahmen der Erwachsenenbildung üblich ist.

Die Erhebung der Veranstaltungskosten ist im Gange. Bereits im Auswertungsstadium befindet sich die Erhebung der vorhandenen Räumlichkeiten; auf jeden Fall wären die gesamtösterreichischen Gegebenheiten für einen Start der Bildungsfreistellung ausreichend, kann Dipl.-Ing. Leo Prüller, der Leiter dieser Projektgruppe, jetzt schon feststellen.

Für Dr. Walter Göhring, den Leiter der dritten Projektgruppe, steht die Motivation zwar im Mittelpunkt seiner Bemühungen, er ist aber überzeugt, daß jeder zu motivieren sei, wenn ein Weg der „anonymen Information zum direkten Kontakt in einem überschaubaren Bereich” gefunden wird. Auf diese Weise könnten auch mit der Bildungsfreistellung optimale Erfolge erzielt und mehr Teilnehmer aktiviert werden als in der BRD und in Frankreich, wo die Bildungsfreistellung seit mehreren Jahren gesetzlich verankert ist und Teilnehmerzahlen um etwa vier Prozent vorliegen.

Ebenso ungeklärt wie die Frage der Entgeltfortzahlung sind die Inhalte, die angeboten werden sollen. Selbstverständlich werden alle Arten der beruflichen Weiterbüdung sein. Einvernehmlich ausgeklammert werden alle Hobbybereiche, schon weniger einvernehmlich die betriebliche Weiterbüdung, die nach wie vor Sache jedes einzelnen Unternehmens bleiben soll. Skeptisch steht die Industriellenvereinigung der Einbeziehung politischer Büdung gegenüber. Es sollte jeder in der ständig mehr werdenden Freizeit seine BUdungslücken schließen, meint Prof. Jedina, während Dr. Mayr einräumt, daß bei einer klaren Abgrenzung zur Parteipolitik hier sicher eine Einigung möglich wäre. Größter Streitpunkt ist jedoch die Allgemein- büdung. Mrkvicka und die Projektgruppen befürworten auch Bereiche wie psychologische Lebenshilfe und solche, die mit dem Beruf in keinem direkten Zusammenhang stehen, Prof. Jedina läßt eventuell noch Uberblickswissen über die Randgebiete eines Berufes gelten, vertritt aber den Standpunkt, daß auch für die Erwerbung von Allgemeinbüdung genügend Freizeit zur Verfügung stünde.

Wann und für wen?

Ein weiterer Streitpunkt ist es, ob Österreich sich die Einführung der Büdungsfreistellung volkswirtschaftlich leisten kann. Prof. Jedina bejaht zwar die langfristige positive Auswirkung, glaubt aber, daß sie mittelfristig eine Wachstumsabschwächung bedeuten würde und Österreich im internationalen Wettbewerb schaden könnte. Sie hält die vorläufige Einführung „nur für Leistungswillige und nicht für alle” für eine mögliche Lösung. Dr. Mayr ist’überzeugt, daß in der derzeitigen wirtschaftlichen Situation an „eine Einführung der Büdungsfreistellung nicht zu denken ist”, hält sie jedoch ab etwa 1980 für möglich. Ing. Prüüer und Dr. Göhring halten die Büdungsfreistellung auch über den berufsbüdenden Bereich hinaus „für eine echte Büdungsinvestition” und Mrkvicka meint darüber hinaus, die Entscheidung darüber dürfe sich nicht nur an der Leistungsfähigkeit für die Wirtschaft orientieren, sondern auch an der Notwendigkeit für jeden einzelnen Staatsbürger.

Fernab von all diesen Diskussionen wird erstmals in Österreich in einem Kollektivvertrag die „Freistellung für Büdungszwecke” gesetzlich festgelegt. Ab 1. Dezember stehen Journalisten und Verlagsmitarbeitern in ganz Österreich alle drei Jahre zwei Wochen Büdungsfreistellung zu. Die Journalisten haben jedoch nicht nur einen Rechtsanspruch, sondern auch die Pflicht zur Teünahme. Auch der ORF wurde eingeladen, für seine Mitarbeiter dem Abkommen beizutreten, eine Zusage steht noch aus. Gestartet wird mit den Büdungsveranstaltun- gen spätestens im Jänner 1978, auch, ohne ORF.

Ein erster Schritt

Geregelt sind sowohl die Finanzierung als auch die Inhalte. Es liegt eine Zusage über rund 600.000 Schilling im Rahmen derPresseförderungvor, und die Gemeinde Wien hat von Mülionen- beträgen gesprochen. Wie schon bisher werden die Kosten je zur Hälfte von den Redaktionen und Verlagen und andererseits durch die Arbeitsmarktförderung, die Gewerkschaft und den Zeitungsherausgeberverband übernommen. Die Teilnehmer werden höchstens mit einem kleinen Beitrag belastet. Auch über die Inhalte war eine Übereinstimmung leicht zu erzielen: der Beruf des Journalisten ist in besonderem Maß von einer guten Allgemeinbildung abhängig, die damit automatisch zur berufsbegleitenden Ausbildung wird.

Von den Journalisten abgesehen, ist die Berufsausbildung in Österreich im allgemeinen ausgezeichnet. Trotzdem ist die Frage berechtigt, ob die Einbeziehung auch allgemeiner und gesellschaftspolitischer Inhalte gerade im Rahmen der Bildungsfreistellung nicht ein Anfang zur Aufhebung der Diskrepanz sein könnte, die heute als tiefe Kluft zwischen Arbeitswelt und privater Persönlichkeit besteht.

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