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Wirtschaftskommentar

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In der Endphase des Wahlkampfes ist der Streit um das künftige Schicksal des Raxwerkes und seiner Belegschaft etwas in den Hintergrund getreten. Hatte es nach Beginn des neuen Jahres noch den Anschein, daß das Raxwerkproblem zu einem Wahlschlager ersten Ranges werden würde, so entschieden sich die Vertreter der Belegschaft vor einiger Zeit für eine Verschiebung der Behandlung des Problems in die Zeit nach den Wahlen, um endlich doch eine sachliche und nicht durch Wahlkampfrücksichten diktierte Lösung zu erzielen. Ob dieser Entschluß auf Grund einer echten Einsicht gefafjt wurde, oder ob eine „höhere Weisung” vorlag, läfjt sich vom Außenstehenden nicht beurteilen. Fest steht jedenfalls, daf) die Zurückstellung des Problems einer sachlichen Lösung nur förderlich sein kann und einen begrüßens- werfen Strich durch die Rechnung jener bedeutet, die auf dem angefachten Feuer ökonomisch bedingter und politischer Leidenschaften ihre wahlstrategische Suppe kochen wollten, wie es bereits zum Teil der Wahlkampf in Wr. Neustadt zeigte.

Die ökonomische Seite des ganzen Problems Raxwerk ist in den Kommentaren der maßgeblichen Politiker und der Presse von Anfang an bereits entsprechend gewürdigt worden. Der „Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns” war es angesichts der Beschäffigungslage des SGP-Konzerns tafsächlidi nicht mehr zuzumuten, das Werk in der bisherigen Art weiterzuführen. Daß sich die Belegschaft zuerst gegen den Verkauf an sich und dann gegen einen bestimmten Käufer wehrte, kann man aber nicht allein mit dem Hinweis darauf abtun, daß jahrelange Versprechungstaktik die Gehirne der Belegschaft soweit verwirrte, daß sie ihr offensichtlich unökonomisches Verhalten nicht mehr einzusehen vermochte. Das Problem Raxwerk ist eben nicht nur ein ökonomisches Problem, sondern auch und für ökonomisch nicht Geschulte vor allem ein menschliches Problem. Gerade diese Komponente ist aber bei der Behandlung der Frage bisher nicht oder viel zuwenig beachtet worden. Daß sich das Problem der Schließung von Werken ja nicht nur in Österreich stellt, vereinfacht die bei uns gegebenen Schwierigkeiten nicht, aber ermöglicht uns vom Einzelfall vreg auf das Grundsätzliche dieser wirtschaftlichen Erscheinung zu sehen.

So wird auch aus der Bundesrepublik Deutschland berichtet, daß das Zechensterben im Ruhrgebiet seinen Fortgang nimmt, weshalb sich auch dort die Frage ergibt, wo die frei gewordenen Arbeitskräfte Unterkommen werden. Nun sollte man meinen, das sei in der Bundesrepublik mit einem bereits außerordentlich großen Anteil an Gastarbeitern am Gesamtbeschäftigungsstand kein Problem. Daß dem nicht so ist, kann einer Mitteilung des „Volkswirts” entnommen werden, wonach zwar für die jungen Leute zum Beispiel nach dem Stillegungsbeschluß der Zeche „Graf Bismarck” schon die Autobusse süddeutscher Firmen vor dem Werkstor bereitstanden, um sie zu „unverbindlichen Besichtigungen ihres neuen Arbeitsplatzes” einzuladen, mit ihren Ehefrauen natürlich, wobei der neue Arbeitgeber auch für die Wohnung und die Kosten der Umschulung einzustehen bereit ist. Schließlich scheint eine derartige Investition bei jungen Leuten für das Werk rentabel! Aber die Kehrseite der Medaille zeigt sich bei jenem Rest der Belegschaft, um den sich niemand mehr bewirbt. Das ist vielleicht ein Fünftel oder ein Viertel der bisherigen Belegschaft, das sind jene Männer, die im Kohlenbergbau alt geworden sind und die nun übrigbleiben. Drängt sich hier nicht der Gedanke auf, eine Parallele zu dem „österreichischen Fall” zu ziehen.

Auch von der durch den Vorstand der SGP gekündigten Belegschaft des Raxwerkes konnte ein Teil die Kündigung ohne Sorge annehmen, im Bewußtsein, im stark industrialisierten Gebiet um Wiener Neustadt oder auch in Wien einen neuen Arbeitsplatz finden zu können. „Aber was geschieht mit uns?”, mußten sich die Alten fragen, die seit eh und je im Werk beschäftigt waren, die in Wr. Neustadt vielleicht ein kleines Haus haben, die über kein Fahrzeug verfügen und nicht im Alter die Beschwernis des Pendelns auf sich nehmen wollen.

Sicher stellt sich das Problem der Senioritätsarbeitslosigkeit, der dauernden Arbeitslosigkeit älterer Menschen, auch im Einzelfall und nicht nur bei Massenkündigungen, wie sie bei Werksfillegungen erfolgten. Aber im letzteren Fall tritt sie stärker ins Blickfeld.

Der deutsche „Volkswirt” schließt aus der Betrachtung des deutschen Kohlenproblems, daß es gerade auf die Hilfe für den Menschen ankomme, daß hier auch die „Hilfe für den Bergbau” ansetzen muß. Und er fordert für jene Arbeiter, die nicht mehr voll leistungsfähig sind und auch nicht mehr in anderen Betrieben Unterkommen, nicht nur staatliche Unterstützung, sondern eine echte laufende Entschädigung aus öffentlichen Mitteln, die gegebenenfalls bis zur Höhe der bisherigen Löhne gewährt werden soll.

Nun mag eine derartige Forderung in den Ohren derer hart klingen, die nur eine „wirtschaftliche” Lösung akzeptieren und für die daher solche Zahlungen „unproduktiv” erscheinen müssen. Aber glauben denn sie, daß wirtschaftliche Unruhe und Streik nach einer ungerechten Lösung nicht ebenfalls „unproduktiv” sind? Wirtschaftliche Verantwortung verlangt eine dem ökonomischen Prinzip gerechte Lösung anzu- sfreben, aber die Berufung auf die wirtschaftliche Verantwortung rechtfertigt nicht, daß dabei Menschen auf der Strecke bleiben. Das wäre eine Rückkehr zum bereits überwunden geglaubten „Laissez-faire”-Prin- zip. Staatliche Hilfe für den Arbeiter soll freilich auch erst dann einsetzen, wenn dieser wirklich nicht in der Lage ist, einen gleichwertigen Arbeitsplatz zu finden oder ihm das nicht zugemutet werden kann. Das ist eine klare Absage an jene, die es sich allzu bequem machen wollen. Fest steht jedenfalls, daß man bei Verfolgung der eigenen Interessen die wirtschaftliche Vernunft nicht völlig außer acht lassen dart, daß aber bei aller wirtschaftlicher Vernunft nicht über den Menschen hinweggegangen werden kann.

Daß es im Fall Raxwerk und in anderen ähnlich gelagerten Fällen überhaupt soweit kommen mußte, ist aber auch nicht zuletzt Schuld derer, die sich um die Planung auf dem Arbeifsmarkt bisher zuwenig gekümmert haben. Finanzielle Einbußen durch unproduktive Weiterverwendung von Arbeitskräften ebenso wie nun notwendige (und auch gerechtfertigte) Zahlungen an die Arbeiter ließen sich nämlich vermeiden, wenn man dem Problem der beruflichen Fortbildung und Umschulung der Arbeiter mehr Augenmerk zugewendet hätte.

Man überläßt es aber gerne immer noch dem Zufall, ob sich jemand nach Abschluß der Pflichtschule beider ist noch immer nicht für alle die Berufsschule verpflichtend) noch weiterbildet. Diese für den beruflichen Bildungsstandard des Volkes so eminent wichtige Frage aber bloß der Initiative des einzelnen zu überlassen, ist Leichtsinn, um so mehr, als wir doch immer wieder besonders am Beispiel anderer kleiner Lär.der erkennen müssen, daß der wirtschaftliche Aufstieg eines Landes von der Qualität der Ausbildung seiner Arbeitskräfte abhängt.

Die Fehler der Vergangenheit rächen sich, und im Fall Raxwerk werden sie uns nur zu deutlich bewußt! Aber noch ist nicht alles verloren. Im Laufe der letzten Monate haben sich zur Frage Raxwerk Befugte und Unbefugte geäußert, manche Verantwortliche haben jedoch geschwiegen. Nach der Wahlnacht aber ist es an der Zeit, sich um eine richtige Lösung zu bemühen, die sowohl auf das Wirtschaftliche aber auch auf das Menschliche des Falles Bedacht nimmt.

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