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Der mündige Bürger als unmündiger Konsument?

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Konsumentensehutz wird heute groß geschrieben. Ein Konsumenten-schutzgesetz steht in Beratung, Konsumentenerziehung wird in den Schulen forciert, der Verein für Konsumenteninformation entwickelt umfassende Aktivitäten. Alles in allem - so sollte man meinen - ist daher für den österreichischen Konsumenten gut vorgesorgt und ihm jene in der Markt-

wirtschaft nötige Waffengleichheit geboten, die er zur Durchsetzung seiner Rechte benötigt.

Doch das Büdungswesen fehlt in dieser Aufzählung: Wenn es auch im großen und ganzen verstaatlicht ist (auch die konfessionellen Privatschulen machen da durch ihre Bindung an die staatlichen Schullehrpläne keine Ausnahme), gibt es doch noch einen großen nichtstaatlichen Freiraum, die Erwachsenenbildung. Sie wird aber ebenfalls zu einem bedeutenden Teil

nicht unmittelbar von Privatpersonen, sondern von den großen Interessenvertretungen und kirchlichen Organisationen getragen. Der einzige Sektor in Österreichs Bildungswesen, in dem wirklich großteils Private auf kommerzieller Basis arbeiten, ist das Fernunterrichtswesen, das allerdings in der Vergangenheit durch einige unrühmliche Affären (insbesondere bei EDV-Programmierkursen) einen relativ großen Imageverlust hinnehmen mußte. Die unkontrollierte und unkontrollierbare Tätigkeit von In- und Ausländern war tatsächlich unerfreulich und mußte zur Forderung nach besseren Schutzbestimmungen für den Fernschüler führen, dessen Büdungsmoti-vation nicht unreell ausgenützt werden sollte.

Bei dieser (konsumentenpolitischen) Diskussion übersah man allerdings, daß Fernunterricht viel mehr ist als das, was Fernunterrichtsanstalten im engeren Sinn anbieten. Hiezu gehört auch der ganze Bereich der Massenmedien und die auf uns zukommenden Entwicklungen von Kabelfemsehen und Satellitenfernsehen. Unterricht, der nicht den unmittelbaren Kontakt zwischen Schülern und Lehrern erfordert, ist jene Unterrichtsform, der in Zukunft beachtlicher Stellenwert eingeräumt werden wird. Fernunterricht als kostengünstige Unterrichtsform der Zukunft! Nicht von ungefähr kommt es, daß sowohl im Wissenschaftsministerium als auch im Unterrichtsministerium Projektgruppen bestehen, die sich mit der Realisierung von Fernunterrichtsprogrammen beschäftigen und bereits („Arbeitsund Soziahecht“, „EDV“, „Management“, aber auch „Wozu glauben?“) Studienprogramme in Rundfunk und Fernsehen verwirklichen konnten.

Für dieses zukunftsträchtige Unterrichtsgebiet legt nunmehr das Unterrichtsministerium den Entwurf eines „Fernunterrichtsgesetzes“ vor, das recht geschickt versucht, die verfassungsrechtliche Regelung - eine paktierte Gesetzgebung zwischen Bund und Ländern - zu umgehen und ein mit einer einfachen parlamentarischen Mehrheit verabschiedbares Gesetz zu formulieren. Diese Vorgangsweise führt aber auch dazu, daß dieses Gesetz alle zukunftsweisenden Fragestellungen, aber auch jede pädagogische Intention vermissen lassen muß: Im wesentlichen besteht die Zuständigkeit des einfachen Gesetzgebers nur für den Bereich des Konsumentenschutzes, verbrämt durch die Schaffung einer Art staatlicher Uberprüfung von Kursen, die zur Matura oder ähnlichen schulischen Abschlüssen führen („Gütesiegel“).

Läßt man das pädagogische Mäntelchen des „Gütesiegels für Maturakurse“ fort, bleibt ein spezielles Konsu-mentenschutzgesetz über. Seine Bestimmungen unterscheiden sich stark von jenen generellen, die im künftigen

Konsumentenschutzgesetz stehen sollen, und können nur aus einer Ideologie heraus erklärt werden, die den Fernschüler als „unmündigen Konsumenten“, nicht aber als schützenswerten Partner einer Unterrichtsanstalt sieht. Letztlich dürfte aber hinter all dem wohl die Uberzeugung stehen, daß Privatinitiative im Bildungssektor wohl von vornherein suspekt ist und -wenn schon nicht unterbindbar-möglichst eng begrenzt werden sollte.

In seinen Bestimmungen begnügt sich das Gesetz nicht nur damit, dem Fernschüler 14 Tage nach Erhalt des Fernunterrichtsmaterials die Möglichkeit zu geben, ohne Angabe von Gründen vom geschlossenen Unterrichtsvertrag zurückzutreten (was ihm de facto rund einen Monat Uberle-gungsfrist einräumt und jede Übervorteilung durch unüberlegte Entschlüsse verhindert) und ihm danach laufend ein halbjähriges Kündigungsrecht einzuräumen. Darüber hinaus schafft es - erstmalig in Österreich -die Möglichkeit der einseitigen, grundlosen und jederzeitigen Kündbarkeit des Fernunterrichtsvertrages während des ersten halben Jahres!

Kennt man den Fernunterrichtssektor mit seinen bedeutenden Positionskämpfen, mit dem Antagonismus zwischen dem von Gewerkschaftsseite gesponserten Berufsförderungsinstitut (BFI) sowie jenen kleinen Fernschulen, die sich um das BFI geschart haben, einerseits und dem Marktlea-der HFL (der übrigens vor einem Jahr vom Fonds der Wiener Kaufmannschaft erworben wurde) anderseits,

und weiß man um den Kampf um Mittel des Arbeitsmarktförderungsgeset-zes, den bisher allerdings erst das BFI für sich positiv entscheiden konnte, so stellt sich unwillkürlich die Frage, wohin das alles führen soll. Wohl nicht zu einem optimalen Schutz des Konsumenten, denn dafür würden die beiden erstgenannten Rücktritts bestimmun-gen völlig ausreichen! Schließlich hat ja der mündige Staatsbürger auch ein mündiger Konsument zu sein und baut unsere gesamte Wirtschaftsordnung darauf auf, daß geschlossene Verträge auch einzuhalten sind. Die Situation der im ersten Halbjahr gegebenen jederzeitigen Auflösbarkeit geschlossener Verträge kann aber von keiner kommerziell arbeitenden Unterrichtsanstalt auf Dauer finanziell bewältigt werden und wird so bald - was einige kleinere private Fernschulen noch nicht zu realisieren scheinen - dazu führen, daß über kurz oder lang auch der Fernschulbereich nur noch von staatlichen oder halbstaatlichen Stellen dominiert und auch hier jede Privatinitiative beseitigt sein wird.

Man erkennt daher bei genauerer Betrachtung der Situation, daß es in der Büdungspolitik nicht nur im Bereich des Streites um Gesamtschule oder Ganztagsschule um bedeutende ideologische Kampfstellungen geht, sondern auch im Sektor der Erwachsenenbildung, worauf übrigens eine vor kurzem erschienene Studie der Sozialwissenschaftlichen Arbeitsgemeinschaft „Erwachsenenbildung zwischen Zwang und Freiheit“ deutlich verweist.

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