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Ein Malus für die Demokratie und den Rechtsstaat

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Er habe doch bloß gemacht, was die Autofahrer wünschten, sagte Hannes Androsch mit Unschuldsmiene. Laut einer de- moskopischen Umfrage habe eine starke Majorität für Bonus-Malus und damit für das nunmehr von ihm approbierte System votiert. Das Ganze sei also eine einwandfrei demokratische Prozedur gewesen.

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Er habe doch bloß gemacht, was die Autofahrer wünschten, sagte Hannes Androsch mit Unschuldsmiene. Laut einer de- moskopischen Umfrage habe eine starke Majorität für Bonus-Malus und damit für das nunmehr von ihm approbierte System votiert. Das Ganze sei also eine einwandfrei demokratische Prozedur gewesen.

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Tatsächlich? Der Teufel sitzt in dem kleinen Wörtchen „damit”. Die befragten Autofahrer sind wohl im Prinzip dafür gewesen, die Details des neuen Systems wurden wohlüberlegterweise erst nachher bekanntgegeben. Dann erst konnten sie in der Presse diskutiert werden. Demokratisch kann man wohl nur eine Prozedur nennen, bei der zuerst informiert, dann votiert wird und nicht umgekehrt.

Wie immer man über das neue Haftpflichtsystem denken mag: die Fasson, wie es eingeführt wurde, wie die Betroffenen überrumpelt und nachher damit gefrozzelt wurden, ist jedenfalls ein Malus für die Demokratie. Es gereicht der Regierung nicht zur Ehre, dabei mitgespielt zu haben.

Von den diversen Bonus-Malus-Va- rianten haben die Versicherungen ausgerechnet das Schweizer System ausgesucht, dieses teilweise sogar noch verschärft, teilweise verwässert. Österreich könnte sich die Schweiz zweifellos in vieler Hinsicht zum Vorbild nehmen (beispielsweise was ihre Budget- und Stabilitätspolitik betrifft); ausgerechnet in einem Fall, in dem das Schweizer Beispiel nicht nachahmenswert erscheint, wird es von Österreich kopiert.

Damit die Schweizer Variante einigermaßen funktioniert, benötigt man den Kavalier am Steuer, eine leider höchst seltene Erscheinung - auch in der Schweiz, noch weniger bei Uns.

Die deutsche Variante wäre bereits in vieler Hinsicht günstiger gewesen. Warum wurde sie nicht gewählt? Am probatesten und darüber hinaus auch am leichtesten zu administrieren wäre dąs amerikanische System: Demjenigen, der zu viele Unfälle hat, wird der Versicherungsvertrag gekündigt. Er kann dann bei dieser oder einer anderen Versicherung einen neuen Vertrag abschließen, allerdings mit bedeutend erhöhter Prämie.

Dieses System hätte den Vorteil, daß nicht der anständige Autofahrer, der- was jedem passieren kann - einmal ein Malheur hat, entweder durch den Malus oder durch die zur Malusvermeidung erzwungene Selbstzahlung übermäßig belastet Wird, sondern wirklich die Rowdys und notorischen Unfaller zur Kasse gebeten würden. Darüber hinaus würde dies keine administrative Mehrarbeit für die Versicherungen bringen, da sie den Schadensverlauf bei den einzelnen Versicherten bereits registrieren, um die schlechten Risiken kündigen zu kön nen. Nur werden diese dann zu ähnlichen Konditionen von einem Versicherungspool übernommen, wodurch zwar das Risiko unter den einzelnen Versicherungen besser verteilt wird, insgesamt sich an der Belastung aber nichts ändert.

Wenn man schon die modifizierte Schweizer Variante einführt, hätten wenigstens nicht alle Autofahrer gleich eingestuft werden dürfen. Es geht nicht an, daß ein Versicherter, der in 30 Jahren die Versicherungsgesellschaft mit wenigen Bagatellschäden belastet hat, für diese ganze Zeit keinen Bonus bekommt, sondern die gleichen Konditionen wie ein Neuversicherter oder ein seit Jahren schlechtes Risiko.

Abgesehen davon hat das neue System noch im Detail viele Schönheitsfehler: Nicht nur, daß bei geteiltem Verschulden beiden Kontrahenten ein Malus aufdiktiert wird, den Streitparteien wird auch in einem Verfahren „vorsorglich” gleich der Malus verpaßt und erst nach Ende des Verfahrens dem „eindeutig Schuldlosen” gnädig erlassen. Damit wird aber das rechtsstaatliche Prinzip verletzt, daß niemand vor seiner Verurteilung schuldig gesprochen werden dürfe. Nicht nur die Demokratie, auch der Rechtsstaat rutscht dadurch in den Malus.

Das ganze System läüft darauf hinaus; das Risiko der Versicherten unverhältnismäßig zu erhöhen, das jeni- ge der Versicherungen hingegen zu minimalisieren. Zur gleichen Zeit, in der der Handelsminister ein Konsumentenschutzgesetz fabriziert, worin auch dem kleinen Kaufmann und Gewerbetreibenden ein bedenklich hohes Risiko aufgebürdet wird, setzt der. Finanzminister seine Unterschrift unter neue Haftpflichtbestimmungen, welche - im Interesse der zumeist großen Versicherungsgesellschaften - extrem konsumentenfeindlich sind. Den Verdacht, dies könnte nicht zuletzt auch damit Zusammenhängen, daß einige sehr potente Versicherungsgesellschaften der Regierungspartei nahestehen, wollen wir freilich von vornherein ausschließen.

Unzweifelhaft aber paßt das Ganze in die gegenwärtige Kampagne gegen das Auto und ist im Zusammenhang mit der Streichung der,Abschreibmöglichkeiten sowie der „Neuwagensondersteuer-Idee” Kreiskys zu sehen. Daß gegen die unaufhaltsam wachsende Autolawine unbedingt etwas getan werden muß, sei der Regierung durchaus konzediert. Durch beliebige Schikanen - und zu denen zählt das gewählte Bonus-Malus-System zweifellos - dem Autofahrer sein geliebtes Vehikel vermiesen zu wollen, ist aber wohl kein verkehrspolitisches Konzept.

Die Opposition tut gut daran, wenn sie die gegenwärtige Bonus-Malus-Va- riante ablehnt. Sie sollte aber beizeiten darauf schauen, daß sie ein besseres System präsentiert.

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