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Gefährliche Einsicht

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„Bekennen Sie sich der Anstiftung zur Massen-Fahrerflucht schuldig?” fragte der Richter.

„Das ist eine niederträchtige Unterstellung”, antwortete der Versicherungsmanager, „wer sind Sie denn überhaupt?”

„Hier frage ich und Sie antworten”, sagte der Richter, „wieso sind Sie denn mit dem Geld nicht mehr ausgekommen, obwohl Ihre Prämieneinnahmen seit Jahren keineswegs in geringerem Ausmaß gestiegen sind als Ihre Auszahlungen für Schäden?”

„Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun”, sagte der Versicherungsmanager, „das Bonus-Mälus-System ist einfach gerecht, und außerdem haben die Leut’ es eh wollen, und deswegen haben wir es eingeführt, und jetzt möchte ich nach Hause gehen!”

„Nix da”, sagte der Richter, „hiergeblieben und geantwortet! Ist Ihnen nicht klar, daß Ihre Kunden künftig die von ihnen verursachten Bagatellschäden aus eigener Tasche bezahlen werden, weil sie der Malus teurer käme?” Natürlich ist mir das klar”, sagte der Versicherungsmanager, „ich bin ja nicht dumm.”

„Dann geht es beim Bonus-Malus-Sy- stem also nicht um Gerechtigkeit, sondern darum, daß Sie sich Geld sparen wollen, um einen verkappten Selbstbehalt, ist es so?” sagte der Richter.

,JAuß man die Dinge denn so deutlich beim Namen nennen?” sagte der Versicherungsmanager.

„Vor der Instanz, vor der Sie stehen”, sagte der Richter, „werden die Dinge bei ihrem einfachsten Namen genannt. Ist Ihnen klar, daß künftig jeder, der einen von ihm beim Einparken verschuldeten kleineren Schaden meldet, sein eigener Feind wäre?”

„Muß ich auf diese Frage antworten?” sagte der Versicherungsmanager.

„Keine Antwort ist auch eine Antwort”, sagte der Richter, „Sie wissen also, daß das Bonus-Malus-System die Fahrerflucht fördert?”

„Das ist nicht Absicht”, sagte der Versicherungsmanager.

„Sie nehmen es aber in Kauf”, sagte der Richter, „haben Sie über die moralischen Konsequenzen eines solchen Inkaufnehmens nachgedacht?”

„Nein”, sagte der Versicherungsmanager, „dafür werde ich nicht bezahlt.” „Haben Sie wenigstens darüber nachgedacht”, sagte der Richter, „was es angesichts der zunehmenden Aggressivität zwischen Mensch und Mensch bedeutet, wenn die Frage nach der Schuld an einem Blechschaden auf einer Kreuzung den Schuldigen zusätzlich zu den eigenen Reparaturkosten über Jahre hinaus mit Tausenden Schilling Versicherungs-Malus belastet? Haben Sie darüber nachgedacht, ob es nicht jetzt nach einem Unfall noch leichter zu einer Schlägerei, einer Messerstecherei kommen wird? Haben Sie darüber nachgedacht, ob ein einziges Todesopfer einer solchen Messerstecherei Ihr ganzes Bonus-Malus-System wert ist?”

„Nein”, sagte der Versicherungsmanager, „dafür werde ich nicht bezahlt.” „Wofür werden Sie dann bezahlt?”, fragte der Richter.

„Ich werde dafür bezahlt”, sagte der Versicherungsmanager, „daß ich die Interessen meines Unternehmens und meines Wirtschaftszweiges wahre.”

, Jetzt haben Sie endlich die Wahrheit gesagt”, sagte der Richter, „hätten Sie nicht wenigstens eine Sonderregelung für Bagatellschäden finden können?” Natürlich”, sagte der Manager, „aber wir sind ja nicht dumm.”

„Ein interessanter Traum, den Sie mir da erzählt haben”, sagte der Psychoanalytiker zum Versicherungsmanager, „lassen Sie mich einmal nach- denken, wie ich Ihnen schonend betbringen kann, was mit Ihnen losist…” „Ist ės sehr ernst?” sagte der Versicherungsmanager.

„Ja”, sagte der Psychoanalytiker, ,für einen Mann in Ihrer Position ist es gefährlich. Sie zeigen deutliche, wenn auch verdrängte Symptome von Einsicht!”

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