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schnell gekauft und lang bereut

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Kredit soll sich nur nehmen, wer sioh's leisten kann, und wer -sich überschätzt, ist selber schuld. Stimmt doch, oder? Keineswegs. Überschuldung kann (fast) jedem passieren. Dann stellt sich die Frage: Wie kommt man aus der finanzieilen Mise????e wieder heraus?

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Kredit soll sich nur nehmen, wer sioh's leisten kann, und wer -sich überschätzt, ist selber schuld. Stimmt doch, oder? Keineswegs. Überschuldung kann (fast) jedem passieren. Dann stellt sich die Frage: Wie kommt man aus der finanzieilen Mise????e wieder heraus?

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M ontag sechs Uhr früh war es wieder soweit. Bei Familie Meier!) läutete der Gerichtsvollzieher des Exekutionsgerichtes Wien, 1. Bezirk. Diesmal im Auftrag der Bank, der Frau Meier nun insgesamt 235.000 Schilling schuldet. Der Gerichtsvollzieher kannte Frau Meier bereits: „Eine arme Haut, bei der ohnehin nichts zu holen ist." Er vergewisserte sich nur, daß sie nicht über Nacht zu irgendwelchen Reichtümern gekon:i.men war und verabschiedete sich rasch.

Der Werdegang von Frau Meier von einer ganz normalen Kreditnehnierin mit rosiger Zukunft zur· resignierten $chuldnerin, die nicht einmal einen . Fernseher besitzen darf, jst typisch unauffällig. Zwei Zei tgeistphänomene ergänzen einander:

e Die Wirtschaft floriert so gut, daß sie schon nicht mehr weiß, wie · s,ie ihre Produkte oder Dienstleistungen an die Frau beziehungsweise an de11 Mann bringt. Dementsprecbend ersinnt sie · immer neue Strategien, um potentiepe Kunden zu locken, die allesamt darauf . hinauslaufen, daß heμte . schon gekauft ,und morgen erst, bezahlt werden- soll. . So werden . Banken von Autofirmen gegründet, Kredite im Möbelgeschäft vermittelt ocl,er . weitreichende Teilzah-. lungsmöglichkeiten im Versandhaus angeboten.

Auch aufgrund der guten Wirtsc4aftslage bleibt sowohl Firmen wie auch Privatpersoryen Geld zum Anlegen über. Die Banken bekom)n en. viel Geld, da???? sie dementspre-, ,chend arbeiten lass????n müssen - immerhin. erwartet das der eine Teil der Kundschaft, die Sparer.

Diejenigen, die mit dieser: regen Wirtschaftstätigkeit gut leben -und · pas sind die qieisten von uns ....: kö.fiet'e.

Hier läßt sich das Schicksal von Frau Meier beliebig austauschen: Geburt eines Kindes, Ehescheidung, · . be,ruf).icher Mißerfo????g bei „kleinen ;selbständigen" können zu derarti. gen Unregelmäßigkeiten in e????ner 1 fü�ckzahl ungsverpflichtung führen. Niederschwellige Kreditmöglich, keiten, wie Kontoüberzug, Raten' käufe und ähnliches täuschen eine Liquidität vor, die schon lange nicht mehx:.vorhanden ist. Der Kippunkt ' zur Überschuldung·wird, oft auch , für , Gelderfahrerie, unbemerkt ' überschrit????en. · Per zwangsläufig , folgende finarjzie????re Zusammen- . b????ch wird nur rioch härter.

Alle nun folgenden E.skal'iltionsschritte entbehren jedoch nicht · einer gewissen tragischen Komik:

Da wird der ????edit fälliggestellt. 1,D????s heißt, aaß derjenige, der die ' Raten schon nicht zahlen konnte, : nun den ganzen offenen Betrag zu zahlen hat. Und es werden ab die;, sem Zeitpunk,t,Verzugszinsen be ???? rechnet (i:neis.t et.wa sechs Prozent · über dem ' NormalZinssatz). Als wenn cl,er Schuldner dann eher zahlen könnte. Aber es kommt dicker: Die gerichtliche Betreibung (Klage beziehungsweise Mahnklage, sowie . , folgender Exekutions bescheid) ko???? stet erstens dem Schuldner einiges • an Gerichts- und Anwaltsgebühren und beinhal tef zweitens nie die eigentliche Schuldfrage. Trotzdem eröffnet sie dem Gläubjger Verfol- ' gungsmöglichkajten, die in ihrer

Auswirkung mehr Strafcharakter habeh als viele strafrechtlich geahndete Delikte:

Die Fahmispfändung

Eigentlich sollte es nach dem Willen der Gesetzgeber diese mittelalterliche und von Rachegedanken durchsetzte Form der Pfändung von Gegenständen kaum noch geben. 1 986 wurde nämlich von den Sozialpartnern folgende Überlegung gesetzlich umgesetzt:

Wenn die Lohnpfändung vereinfacht wird, dann tritt als Nebenprodukt die für den Gläubiger finanziell uninteressante Fahrnispfändung in den Hintergrund. Pas war ein schwerer Denkfehler. Die Lohnpfändung explodierte ...:. getreu dem marktwirtschaftlichen Prinzip, daß mehr in Anspruch genommen wird, was billig ist und Geld bringt - und die Fahrpispfändung wurde und wird, quasi als Draufgabe, zur Einschüchterung gleich mitbeantragt. So kommt es, daß gerade in einfachen Verhältnissen der Gerichtsvollzieher zielsicher zum Farbfernseher steuert, wissend, daß dieser oft noch einzige (Schein-)Kontakt zu einer intakten . Welt den Schuldnern noch Geld wert ist. Da läßt sich dann der be-

treibende Gläubigeranwalt dazu „überreden", gegen Bezahlung eines Betrags von bis zu etwa 5.000 Schilling, von der Pfändung Abstand zu nehmen. Bis zum nächsten Mal in sechs Monaten. Und wissend, daß damit nur seine Kosten gedeckt sind und keine Schuldabtragung erfolgt. Und das Geld wird leider allzu oft von der Miete, oder von der Qualität des Essens der Kinder abgezweigt. Manche Anwälte (es sind nicht viele, die dafür.sehr häufig) beherrschen dieses „Spiel" über Jahre. Dort wo Gegenstände tatsächlich gepfändet werden, steht der Erlös meist in keinem Verhältnis zur Schuld. Was kommt denn wirklich bei der Versteigerung eines gebrauchten Farbfernsehers heraus?

Die Lohnpfändung

Dur.eh deren Erleichterung wurden offensichtlich aueh viele Motten ans Licht gezogen. Ir,nmer öfter kursiert in Gläubigerkreisen der heiße Tip, daß Waren und/oder Geld ohne weiters über die tatsächliche Bonität hinaus vergeben werden können, da es im Zahlungsverzugsfall nur eines schnellen Rechtsanwalte's bedarf, der nur ständig die Loh????anfrage macht (auf Rechnung des Schuldners). So kommt es zur kuriosen Situation, daß eine Bank, die eine alte und hohe Forderung hat, von einem zum Beispiel Versandhaus, das geschwind und natürlich ohne Bonitätsprüfung Waren auf Kredit verkauft ha:t, „ausgebrelhst" wird. Bei der derzeitigen. Lohnpfändungsv,erordnung wird derjenige Gläubiger bestraft, der bereit ist, deri Überschuldeten eine"'Chance zu geben.

Ein????chränkend muß jedoch gesagt werden, daß auch das Warten mit der Zuerkennung von meist satten Verzinsungen belohnt wird. 22 Prozent und mehr sind keine Seltenheit, der Durchschnitt der Banken „begnügt" sich mit 16 bis 18 Prozent.

Enorm viel Intelligenz (Rechtsanwälte, Rechtsabteilungen, Inkassobüros . . . ) wird eigentlich aufgewendet, eine Situation zu schaffen, die sowohl für den Schuldner, aber auch für seriöse Gläubiger unauflösbar ist. Ein Klima der Hysterie wird geschaffen, aus dem heraus

der Schuldner auch noch überlegt und zielführend handeln soll. So manche Gläubigergruppe muß sich den Vorwurf gefallen lassen, daß sie an der Überschuldung von Haushalten auch ganz gut verdient. Besonders dringend ist dieser Verdacht im ständig auftauchenden Dreieck Versandhaus-InkassobüroAnwalt. Oder wie kommt es, daß eih im Besitz ·eines Versandhauses befindliches Inkassobüro im Jahr 87 /88 den Gewinn des Konzerns um 2 1 Millionen aufbesserte?

Völlig fehlt ab dem Zeitpunkt der Überschuldung die Kostentransparenz. Auch die Schuldnerberatungen wundern sich immer wieder, mit wie vielen Tricks - stets legal, eh klar - da noch eine spätere Sanierung verunmöglicht wird, weil der Schuldenbetrag noch geschwind mit Kosten aufgeblasen wird: da kostet eine Ratenvereinbarung über 100 Schilling monatlich bis zu 800 Schilling an „Gebühren" , die monatliche Evidenzhaltungsgebühr erreicht fast die Ratenhöhe, bei Ehegatten wird gleich alles mal zwei verrechnet und ähnliches mehr.

Um es gleich vorweg zu nehmen: die Möglichkeiten, bei bestehender Überschuldung, die vorhin beschriebene Eskalation zu verhindern, sind äußerst gering. Das Angebot der Banken, man könne doch über alles rede'n, wirkt nur beschränkt. Schließlich haben die Bearbeiter in den Filialen nur geringe .Kompetenzen. Die eine oder andere

andere Rate kann gestundet werden, vielleicht ist eine kleine 1 : 1 Umschuldung noch möglich. Ist aber tatsächlich Überschuldung vo:rhan???? der!, das heißt, 'steht das Eihkom.., inert in-keinem (Bonifä.ts-}\rerhältnis zur Schuld, dann erntet der Kunde bestenfalls achselzuckendes Bedauern - meist jedoch schon eine gehörige Portion Aggression, die meist auch Ausdruck der Hilflosigkeit des Bearbeiters ist. Das Wandern des Kredites in die Rechtsabteilung ist unausbleiblich.

Spätestens jetzt mögen viele einwenden, daß es doch ein gerichtliches Insolvenzverfahren gibt. Wörter, wie Konkurs, Zwangsausgleich, Vergleich werden genannt.

Tatsächlich sieht das Gesetz vor, daß ein Schuldner ab dem Zeitpunkt seiner Zahlungsunfähigkeit ein Insolvenzverfahren beantragen muß. Aber abgesehen davon, daß kaum ein kleiner privater Schuldner den Zeitpunkt seiner Zahlungsunfähigkei t erkennt???? passiert folgendes:

Der Schuldner versucht bei Gericht den Antrag zu stellen. Bevor jedoch noch der Richter den Kugelschreiber in die Hand nimmt, wird schnell gefragt: „Haben S' 35.000 Schilling Gerichtskostenerlag, haben S' eine Sicherheit über die Ausgleichssumme (20 Prozent aller Forderungen) und kriegen S' die Zustimmung der Hälfte der Gläubi- . ger, die drei Viertel der Forderungen vertreten?" Wer dann noch zu allem ja sagt und däs auch belegen kann, dessen Konkursantrag wird tatsächlich zunächst angenommen. Dann ist aber noch lange nicht alles ausgestanden: Lohnpfändungsanträge, die länger als 60 Tage bei einem Arbeitgeber liegen, können nicht in die Konkursmasse einbezogen werden. Das heißt, der Schuldner müßte kündigen. Dann aber ist auch meistens seine Bonität für den Vergleichsbetrag dahin. Oder: Fernbleiben eines Gläubigers von der Gläubigerversammlung gilt als Ablehnung - welches Versandhaus, oder welcher kleinere Gläu- 'biger geht dort hin, oder sendet einen Bevo????lmächtigten?

Da darf es nicht wundern, daß es . 1989 ganze 150 Privat-Insolvenzen gegeben hat. Alleine diese unglaublieh

niedere · Zahl (bei gleichzeitig extrem gestiegener , Privat-Verschuldung) zeigt, daß dieses Recht für Private einfach nicht zu gebrauchen ist. Der Umkehrschluß (von Gläubigerseite gern gebraucht), daß wegen der geringen Zahl von Privat- Insolvenzen wohl das Problem nicht settr gn?ß sein kann, ist daher · äußerst perfid.

Bleibt der außergerichtliche Vergleich. Der Gesetzgeber verlangt, daß auch' bei diesem Weg die Regeln .des Konkurses angewendet werden ' müssen, vor al????em die „ Gleichbehandlung der Gläubiger". Ebenfalls eine absurde Situation: findet eine Lohnpfändung statt, dann erhält immer nur derjenige PJli-uQiJJer .41.e'pfändparen Beträge, der.siclials erst.er beim Arbeitgeber eingestellt hat. Alle anderen müssen warten. Der Schuldner müßte aber, so er ein übriges Geld hat, alle gleich behandeln, da er sich sonst der Begünstigung nach Paragraph 158' STGB strafbar macht. So werden in der Realität halt häufig reichlich unpräzise Vergleiche gemacht. Man nennt sie dann Abschlagszahlungen, holt zwar das Einverständnis der anderen Gläubiger ein, doch es riskiert der Schuldner immer die Anfechtung durch einen bösartigen Gläubiger.

Maschinenstürmerei ist nicht gefragt. Natürlich wird die Privatverschuldung weiter steigen. Immerhin gilt Osterreich im internationalen Schnitt noch als „entwicklungsfähig" . Selbstverständlicn werden auch die finanziellen Zusammenbrüche im privaten Bereich steigen.

Doch wer glaubt, wie bisher mit dem Schuldturm drohen zu müssen, der weiß ganz einfach nicht, was es heißt, einen unübersehbaren Berg von Schulden zu haben, der noch dazu durch teilweise untaugliche Gesetze wächst und wächst. Der weiß auch nicht, was es heißt, Freiwild auf Lebenszeit für jede Form der Enteignung zu sein. Und das vor dem Hintergrund einiger Gläubigerprofis, die .daran auch noch gutes Geld verdienen.

Ein Insolvenzrecht für „ kleine Leute" , sowie Verbesserungen in Detailbereichen ·ist daher höchst an der Zeit. Nicht, damit mehr Leute Schulden machen und anschließend in Konkurs gehen k,önnen, sondern damit das Geschäftsrisiko an der Privatverschuldung größer wird. Das belohnt diejenigen, die ernsthafte Bonitätsprüfungen machen wollen und die jetzt, aufgrund der verzerrten Wettbewerbssituation, diese mehr und mehr aufgeben. Das wäre marktwirtschaftlich gedacht. Will die Wirtschaft davon nichts wissen?

Der Autor ist Sozialatbeiter im Jug1md11nt der Stadt Wien und auf Beratung überschuldeter Familien spezialisiert. " Name geändert.

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