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Digital In Arbeit

Banges Warten auf Arbeit

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Viel mehr Geld als ursprünglich angenommen wird gebraucht, um die ehemalige DDR zu sanieren. Und selbst dort, wo sich ein wirtschaftlicher Aufschwung bemerkbar macht, verbessert er nur selten die soziale Lage der betroffenen Menschen.

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Viel mehr Geld als ursprünglich angenommen wird gebraucht, um die ehemalige DDR zu sanieren. Und selbst dort, wo sich ein wirtschaftlicher Aufschwung bemerkbar macht, verbessert er nur selten die soziale Lage der betroffenen Menschen.

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Die Anpassungsschwierigkeiten der Wirtschaft in der ehemaligen DDR sind enorm. Erst langsam wird das tatsächliche Ausmaß des Desasters deutlich. Als beredtes Beispiel möge die Bauwirtschaft dienen, da sie mit Sicherheit zu jenen Branchen gehört, die auch während der nächsten Jahre einen gewaltigen Boom erleben wird. Die letzten Monate des Jahres 1991 brachten einen Zuwachs des Auftragsvolumens von 72 Prozent.

Dennoch müssen Arbeitskräfte entlassen werden, da in den Betrieben der neuen Bundesgebiete zu viele Menschen beschäftigt sind, und die Umrüstung auf neue Maschinen nicht stattgefunden hat. Man erwartet, daß trotz gewaltiger Aufträge nur jeder zehnte Betrieb in der Lage sein wird, neue Arbeitsplätze zu schaffen. Mit anderen Worten: Der wirtschaftliche Aufschwung verbessert nur in seltenen Fällen die soziale Lage der Menschen.

Ein Mann auf der Straße, der in seiner Ratlosigkeit kaum mehr den Ausweg aus einer tiefen seelischen Depression findet, sagt: „Die Betriebe in der ehemaligen DDR haben nur auf Verschleiß produziert." Solange Maschinen liefen, wurden sie benützt, eine zeitgerechte Investition zur Erneuerung des Maschinenparks wurde nicht vorgenommen.,,Nun stehen wir vor dem Nichts."

Am 1. Juni 1991 wurden Tausende aus der sogenannten Warteschleife entlassen, ging für den ersten Schwung „Freigesetzter" die Kurzarbeit zu Ende. Auf den Arbeitsämtern werden die Schlangen länger: Es gibt noch weniger Menschen, die Arbeit haben. Das Arbeitsamt Prenzlauer Berg in Berlin mußte bereits ein anderes Haus beziehen, um dem Ansturm halbwegs gewachsen zu sen.

Es sitzen Menschen herum, die auf einen Neuananfang gewartet haben und nun bitter enttäuscht sind: Eine 42jährige, früher Ökonomin in der Berliner Zweigstelle des Geräte- und Reglerwerks Teltow, mußte sich nach ihrer Kurzarbeitszeit nun arbeitslos melden. Ihre Hoffnung besteht in der Umschulung. Sie will auf jeden Fall Computererfahrung erweben.

Neben ihr sitzt eine 36jährige. Sie war als Industriekauffrau im Werk für Fernsehelektronik tätig. Nun gibt es keine Kurzarbeitszeit mehr. Auch sie möchte an einem Computerlehrgang teilnehmen sowie in der Finanz- und Buchhaltung auf den neuesten Stand kommen. Auch sie ist verbittert: Ihr ehemaliger Betrieb hat sie mit den notwendigen Papieren nur mangelhaft versorgt. 4.000 Kollegen müssen jetzt mit ihr das Werk verlassen. Die Administratoren des Betriebes sind hoffnungslos überfordert.

Bittere Erfahrungen

Ein 44jähriger arbeitete bis Jänner fast drei Jahrzehnte im Funkwerk Köpenick in der Qualitätskontrolle. Knapp vor Weihnachten mit Wirkung Silvester wurde er auf Null-Stunden-Kurzarbeit gesetzt. An die dreißig Bewerbungen hat der Arbeiter geschrieben, Bildungsmessen besucht, Telefonate geführt, doch immer wieder habe er die „sehr bittere" Erfahrung machen müssen, daß sein Alter ein Stolperstein für den Neuanfang an einer anderen Stelle gewesen sei.

Wer die Hürden der Umschulung hinter sich gebracht hat, besitzt noch lange keine Garantie, wirklich einen neuen Posten zu finden: Ein 29jähri-ger gelernter Dreher hat sich zum Spezialisten für numerisch gesteuerte Werkzeugmaschinen umschulen lassen, doch keine Anstellung gefunden.

Angesichts des menschlichen und finanziellen Fiaskos ist rasche Hilfe erforderlich. Die ungeklärten Eigentums- und Besitzverhältnisse sind nicht dazu angetan, private Initiativen anzuspornen.

Nun hat man beschlossen, die Unsicherheit wenigstens in einem Punkt zu beseitigen. Wer in den neuen Bundesländern investiert, kann mit Bundesgarantie rechnen, daß selbst dann, wenn der tatsächliche Eigentümer plötzlich wieder auftauchen sollte, eine volle finanzielle Entschädigung vorgenommen wird.

Nur Opfer bringen?

Trotz Anhebung der Steuern wird viel mehr Geld gebraucht, um den Osten rasch zu sanieren. Private Investoren wurden eingeladen, die Autobahnen auf den nötigen Stand zu bringen. Der Staat least die reparierten Autobahnen. Damit erspart man sich lange Anlaufphasen der Planung und hat außerdem noch Zeit, die gewaltigen Geldmittel aufzubringen.

Eine Berlinerin meint in ihrem für die Stadt so typischen Humor: „Wo war eigentlich der Bundesnachrichtendienst all die Jahre?" Die DDR hätte in einigen Jahren ohnehin die Rolläden dicht machen müssen. Der wirtschaftliche Zusammenbruch sei absehbar gewesen. Nun heiße es Opfer bringen. Wenn diese Opfer sich für die nächste Generation lohnten, dann machte es nichts aus, daß man seine Heimat verliere. Denn die Leute aus der Bundesrepublik haben das alleinige Sagen. „Wir haben nichts."

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