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Starrsinn in Ost-Berlin

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„Bisher hatten wir keine Beziehungen zur DDR; in Zukunft werden wir schlechte haben.“ Mit diesem aphoristischen Satz, der den ehemaligen Journalisten verrät, urteilte Minister Egon Bahr über die neuesten Hiobsbotschaften, über Aktionen der DDR, die die innerdeutschen Beziehungen schwer belasten. In Bahrs Stellungnahme fehlte allerdings, daß die DDR momentan dabei ist, die Beziehungen zur Bundesrepublik vor Inkrafttreten des Grundvertrags noch rasch zu verschlechtern. Die Erschwernisse im innerdeutschen Reiseverkehr nach anfänglicher großer Erleichterung schienen noch eine vereinzelte Aktion zu sem, die aus den zwar kritisierten, aber doch verständlich erscheinenden Abgrenzungsbemühungen der DDR erklärt wurden. Das vorläufige Ende der Amnestierungen, der Stop der innerdeutschen Familienzusammenführung und vor allem die Schwierigkeiten bei der Akkreditierung bundesdeutscher Journalisten in der DDR, sind mit Abgrenzung allein nicht mehr zu erklären und deuten in ihrer Gesamtheit auf eine gewisse Systematik hin.

Wenn Erich Honecker kürzlich verkündete, die DDR sei an einem baldigen Inkrafttreten des Grundvertrags interessiert und tue alles, um dieses Vertragswerk dem Buchstaben und dem Geist nach zu erfüllen, so war dies in mehrfacher Weise aufschlußreich. Die DDR will tatsächlich den Grundvertrag bald unter Dach und Fach haben. Zwar wird der Vertrag in Teilen der DDR-Führung wegen der in ihm angelegten Liberalisierungsmöglichkeiten der Beziehungen zwischen DDR und BRD und der damit verbundenen inneren „Aufweichung“ der DDR skeptisch beurteilt. Aber er hat doch dem kommunistischen deutschen Teilstaat die internationale Anerkennung und ein wesentliches Stück jener Souveränität gebracht, die er immer für sich gewünscht hat. Um diese Vorteile aus dem Vertragswerk voll ausnützen zu können, muß der Vertrag in Kraft treten.

Dies glaubt man auf DDR-Seite offensichtlich dadurch sichern und eventuell beschleunigen zu können, daß gewisse Druckmittel angewandt werden.

Zwar sind die Worte der Noten zum Grundvertrag, die den Journalistenaustausch betreffen, so formuliert, daß das Vorgehen der DDR formal gedeckt ist. Gleich bei Bekanntwerden des Textes aber war kritisiert worden, daß die Zusicherung, bundesdeutsche Journalisten könnten in der DDR in landesüblicher Weise arbeiten, in einem Staat wie der DDR von vornherein eine starke Einschränkung der journalistischen Arbeit bedeutet. Der Passus, daß die Korrespondenten „im Rahmen der in der DDR geltenden Rechtsordnung“ ihrem Beruf nachgehen, öffnete dem jetzt im Verordnungswege erfolgten restriktiven Vorgehen der DDR Tür und Tor.

Auf bundesdeutscher Seite sieht sich die Regierung durch diese jüngsten Aktionen in die Enge getrieben. Sie muß den Schritten der östlichen Seite tatenlos zusehen und erlebt, wie Mängel des Vertrags bereits vor seinem Wirksamwerden offenbar werden, obwohl noch die parlamentarische Behandlung folgt.

Erst unter dem deutlichen allgemeinen Protest gegen die Journalistenbestimmungen verlautete, daß sich die Bonner Regierung in dieser Frage intensiver bemühen will. Wie bereits in der Behandlung des Problems der Visagebühren für die in die DDR reisenden West-Berliner, in der auf Regierungsseite eine bis heute ungeklärte Konfusion und Ungeschicklichkeit herrschte, zeigt sich auch hier eine merkliche Unsicherheit. Der Gedanke, daß jede heftige Kritik am Verhalten der DDR im Falle ihrer Erfolglosigkeit auch zu einer Kritik am Grundvertrag wird, mag dabei die Bonner Aktivität wesentlich hemmen.

Denn auch Bahr kann es nicht verborgen geblieben sein, daß selbst das stärkste Argument für den Grundvertrag, nämlich, daß es jetzt zu einem stärkeren Reiseverkehr zwischen den beiden deutschen Staaten komme, von der DDR ständig geschwächt wird. Die Zahlen von Reisenden aus der BRD in die DDR sind beachtlich gestiegen und selbst umgekehrt reisen jetzt etliche Personen, die noch nicht das Rentneralter erreicht haben. Aber etwa mit der Methode, Fahrten mit dem privaten Pkw in die DDR zu verbieten und nur in Ausnahmen zu gestatten, hat man in Pankow ein dezentes, aber angesichts der teilweise unzureichenden öffentlichen Verkehrsmittel in der DDR wirksames Mittel, diesen Reiseverkehr in wohldosierten Grenzen zu halten, von dem reichlich Gebrauch gemacht wird.

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