6815456-1973_06_06.jpg
Digital In Arbeit

„Schlußstrich unter die Teilung

Werbung
Werbung
Werbung

FRAGE: Der Regierende Bürgermeister Klaus Schütz hat sich über den Grundvertrag fast enthusiastisch geäußert und dem Verhandlungschef der Bonner Seite, Egon Bahr, am 9. November 1972 im Abgeordnetenhaus „für seine Leistungen von geschichtlichem Rang" gedankt. Wie ist die Reaktion des Landesvorsitzenden der größten Oppositionspartei, der Berliner CDU, dazu?

LORENZ: Herr Schütz hat auch behauptet, der Grundvertrag sei eine große Leistung für Berlin. Da verstehe ich den Regierenden Bürgermeister überhaupt nicht. Grundsätzlich finde ich ihn schlechter als alles, was bisher auf dem Gebiet der Ostpolitik vereinbart worden ist. Von Brandts 20 Kasseler Punkten sind die wenigsten erfüllt worden. Zusagen im Bereich menschlicher Erleichterungen blieben weit hinter unseren Erwartungen zurück. Ein Beispiel unter vielen: Das Alter der Landsleute aus der DDR, die uns besuchen dürfen, wurde nicht herabgesetzt. Auch kann die andere Seite ihre einseitigen Erklärungen jederzeit ändern, ohne einen Vertragsbruch zu begehen.

FRAGE: Nach vielen Ihrer eigenen Äußerungen bedeuten für einen Berliner Politiker immer die Vorteile für diese Stadt ein wesentliches Kriterium. Halten Sie den Grundvertrag auch aus dieser Perspektive für ungünstig?

LORENZ: Ja, da teile ich — wie gesagt — den Enthusiasmus des Herrn Schütz überhaupt nicht. Wer den ganzen Vertrag und auch die Anlagen gelesen hat, findet darin das Wort „Berlin" nicht ein einziges Mal. Vielmehr gibt es da lediglich zwei mündliehe Erklärungen, die besagen, daß die Möglichkeit der Einbeziehung Berlins in gegenseitige Abmachungen bestehe, aber keineswegs die automatische Verpflichtung dazu. FRAGE: Betrachten Sie in diesem Sinne das Kontaktverbot für angeblich große Kreise der DDR-Bürger mit Westdeutschen und Westberlinern als Zeichen an der Wand? Oder unterliegen auf dieser Seite auch eine Menge Menschen, und vielleicht die gleiche Zahl, diesen Restriktionen für Geheimnisträger?

LORENZ: Schütz behauptet das und will so von der wahren Situation ablenken. Tatsächlich ist der Kreis derjenigen, die in der DDR keine Westbesucher empfangen sollen, sehr groß. Wenn die DDR einen Vertrag, vor allem über menschliche Erleichterungen, künftighin nicht abschließen will, so braucht sie nur zu erklären: Wir sind gegen die Einbeziehung Berlins. Da die Bundesrepublik darauf bestehen müßte, käme die andere Seite sehr leicht um ihr unangenehme Abmachungen herum. Außerdem hatte sich die Bundesregierung vorher ganz klar festgelegt, dieser Vertrag müsse ein Vertrag zur Einheit der Nation sein und Friedensvertragsvorbehalte enthalten. Nichts dergleichen geschah. Im politischen Ergebnis und auch im Urteil der übrigen Welt bedeutet er ganz klar einen Schlußstrich unter die deutsche Teilung.

Mit Peter Lorenz sprach FURCHE-Mitarbeiter Alfred Joflchim Fischer.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung