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Bonn ringt um Klarheit

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Die bundesdeutsche Politik ringt in „qualvoller, Weise um Klarheit und Einheitlichkeit in ihrer Ostpolitik. Was sich um Botschafter Egon Bahr und seine zahlreichen Kontaktgespräche äbspielt, ist nur aus dieser Sicht zu begreifen. Stutzt man das Rankeniwerk der Gefühle, der Intrigen und des unterirdischen Kleinkriegs, dann bleibt von den Vorwürfen gegen den Intimus von Außenminister Willy Brandt nicht viel übrig. Im Grunde bestreitet niemand einem Botschafter, daß er Kontaktgespräche allerorts sucht, noch dazu, wenn sie im Einvernehmen mit seinem Minister stattfinden.

Warum soll Bahr nicht mit SED- Leuten sprechen, wenn Bundeskanzler Kiesinger sich zu Gesprächen mit Ministerpräsident Stoph bereit erklärte? In dieser Frage raffen die Verteidiger Bahrs das Problem zusammen. Auch machen sie geltend, daß Geheimdiplomatie sich zu allen Zeiten auf Schleichwegen bewegt hat — und auch gegen dieses Argument wird nicht viel eingewendet. Was die Unruhe schafft, ist die Ungewißheit darüber, ob Bahr irgend jemandem die Anerkennung der „DDR“ in Aussicht gestellt hat. Mit dieser Zusicherung würde der Beamte Bahr gegen die Politik der Bundesregierung verstoßen haben.

Bahr ist gegenüber diesem Verdacht in einer heiklen Position. Die Presse ist schon seit den Zeiten, als er noch Pressesprecher des dortigen Senates war, ihm gegenüber mißtrauisch. Sie glaubt Grund zu der Annahme zu haben, daß Bahr manchmal halbe Wahrheiten verbreitet und manchmal gewichtige Vorgänge nicht P-IJI;- verschweigt,. .gppįdęyn, ąbstreitet, obgleich er sie kennt. Dieses Mißtrauen hat Babr auch in Bonn nicht abschütteln können. Er hat infolgedessen in der Bundeshauptstadt nicht recht Fuß fassen können, auch nicht im Auswärtigen Amt. Wie in seiner Partei, der SPD, ist er Einzelgänger geblieben. Ihn stützt allerdings das starke Vertrauen Brandts.

An sich hätte es sich Bahr leicht machen können. Journalisten haben ihn gefragt, ob er seine Tutzinger Rede vor einigen Jahren, die das Schlagwort vom „Wandel durch Annäherung“ enthielt, mit SED-Funk- tionären ähgesprochen gehabt habe. Hierauf hätte Bahr, wenn er ein reines Gewissen hat, einfach mit „Nein“ antworten können. Statt dessen hat er die Frage als Unterstellung bezeichnet Regierungssprecher Conrad Ahlers hat dieses Verhalten dahin erläutert, es habe sich um provokatorische Fragen gehandelt, und hinzugefügt: „Es gibt Fragen, auf die gibt man keine Antwort.“ Wie immer dies sein mag, Bahr hat durch sein Verhalten lediglich erreicht, daß er weiterhin im Zwielicht bleibt. Jegliche Verdächtigung, die gegen ihn ausgesprochen wird, wird auch künftig ihren Nährboden finden. Sein Freund Willy Brandt hat ihn zwar auf einer Pressekonferenz aus dem Gedränge heraushauen wollen. Es ist ihm jedoch nicht gelungen. Brandt, sonst so geschickt im Umgang mit der öffentlichen Meinung, griff diesmal daneben. Er sprach viel, aber er sagte nicht, was von ihm erwartet worden war: 6ahr Tiabe eine Anerkennung , pir©en, i§„ ausgesprochen, j nicht einmal angedeutet.

Kanonade gegen Präsidentenwahl

Die Bundesregierung hat versichern lassen, Bahr habe Brandt über seine Gespräche unterrichtet, die er nur im Einvernehmen mit Brandt eingegangen sei, und Bundeskanzler Kiesinger sei ebenfalls darüber unterrichtet worden. Das schließt nun freEich nicht aus, was überall in Bonn erkannt wird, daß Bahr auch gegenüber Brandt nicht immer die volle Wahrheit gesagt hat. Aber einen Beweis dafür, daß er gegenüber Dritten, gar gegenüber SED-Leuten, mehr gesagt hat, als er hätte sagen dürfen, hat noch niemand vorgelegt.

Der Vorgang ist symptomatisch für die Zustände und Stimmungen in Bonn. Im Grunde 1st sich jedermann darüber im klaren, daß weder mit Moskau noch mit Ostberlin ein fruchtbares Gespräch, geschweige denn eine Verständigung möglich ist, es sei denn zu deren Bedingungen, wobei die erste Bedingung lautet: Anerkennung der „DDR“. Niemand wiU das. Niemand hätte den Mut, einen solchen Beschluß zu fassen. Auch die Große Koalition fühlt sich hierzu nicht stark genug. Sowohl SPD wie Union glauben sicher zu sein, daß ihnen dann ihre Wähler den Rücken kehren würden. Es ist alles so vertrackt, daß diejenigen, die für ein möglichst weites Entgegenkommen gegenüber Ostberlin sind, gleichzeitig einen Entschluß verlangen, der mit Sicherheit eine neue Kanonade Ostberlins heraus- fordem würde: die Wahl des Bundespräsidenten in der alten Reichshauptstadt. Bundestagspräsident Eugen Gerstenmaier ist infolgedessen in keiner beneidenswerten Lage, denn er muß am Ende die Entscheidung treffen. Alle anderen sind froh, daß er der Winkelried ist, der die Verantwortung übernehmen und alle feindlichen Speere auf sich ziehen muß. Das gilt auch in bezug auf die Westmächte, die für Westberlin verantwortlich sind. Sie raten den Deutschen nicht ab, die Wahl in Westberlin zu veranstalten. Sie schieben aber die Verantwortung für den Beschluß den Deutschen ab. Und zugleich zählen sie alle Einwände auf, die dagegen sprechen, daß die Bundesversammlung, die den Präsidenten zu wählen hat, in Westberlin Zusammentritt.

Zu weites Entgegenkommen?

Hinter diesem Hin und Her verbirgt sich die Uneinheitlkhkeit der Auffassungen darüber, wie die deutsche Fr-age, wie überhaupt das Verhältnis zwischen Bonn und dem gesamten Osten behandelt werden soll. Offiziell bleibt man dabei, die Entspannungs- und Friedenspolitik unbeirrt fortzusetzen. Deshalb -beginnen Interzonenhandelsverhandlun- gen, die eine Ausweitung des Handels zum Ziel haben und die praktisch mit einem erheblichen Kredit für Ostberlin abschM-eßen sollen. Deshalb wird auch über die Errichtung einer Fluglinie zwischen Moskau und Frankfurt verhandelt. Aber unabhängig davon gibt es einflußreiche Strömungen, die sich davon gar nichts versprechen. Für ihre Begriffe begibt sich die Bundesregierung auf einen Weg des Nachgebens und des Entgegenkommens, der nicht das mindeste einbringen wird. Hauptsächlich sind diese Kräfte in der Union zu suchen. Bei der SPD und bei der FDP sind hingegen starke Gruppen am Werk, die diesen Weg für den einzig möglichen halten, um die Fäden nach der Zone und nach dem Osten nicht ganz afo- reißen zu lassen. Im Kampf um die Aufhellung der Gespräche Bahrs sind alle diese Kräfte unterirdisch wirksam. Die einen wollen durch den Kampf gegen Bahr beweisen, wohin solche Gespräche führen: nämlich auf eine abschüssige Bahn, auf der Bonn immer mehr Zugeständnisse macht und der Erfüllung der Ostiber- 1-iner Forderungen immer näher kommt, statt seine eigenen Ziele voranzutreiben. Am Ende, so sagt man in diesen Kreisen, wind doch die Anerkennung stehen. Die anderen verteidigen dagegen den Standpunkt, wenn -die Bonner Politik nicht flexibel und nicht unbefangen und selbstsicher genug sei, solche Gespräche führen zu lassen, dann mauere sie sich ein, manövriere sich in Isolierung und werde einer Wiedervereinigung erst recht nicht näher kommen, sondern das Verhältnis zwischen beiden Teilen Deutschlands ständig weiter verschlechtern. Der Fall Bahr ist ein unheilvoHes Signal, zu welcher inneren Zersplitterung es in der Bundesrepublik führen kann, weE die Haltung Moskaus und Ost- benlins praktisch jede faire Lösung der deutschen Frage verhindert

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