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Am Ende einer Lebenslüge?

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Am Sonntag den 14. Juni finden in der Deutschen Bundesrepublik in den drei Ländern Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und im Saarland Wahlen statt. Uber 40 Prozent der westdeutschen Wähler gehen an die Urne, und noch niemals in der Geschichte der Bundesrepublik wurde der Ausgang von Landtagswahlen mit so großer Spannung erwartet, geht es dieses Mal doch nicht nur um die Zusammensetzung der Länderregierungen, sondern um. die Bonner Ostpolitik. Die Koalitionsregierung SPDtFDP hat ihre Existenz so sehr an die Ostpolitik geknüpft, daß ein größerer Stimmenverlust der SPD auch einer Absage an ihre Ostpolitik gleichkäme. Kritisch sieht die Lage für die FDP aus. Sie erhielt bei den letzten Landtagswahlen in den drei Ländern rund sieben Prozent der Stimmen, erreichte aber bei den Bundestagswahlen 1969 nur noch mit Mühe die Fünf-Prozent-Klausel. Falls die FDP in Nordrhein-Westfalen die Fünf-Prozent-Hürde nicht überwindet, dürfte nach allgemeiner Auffassung die Koalition SPD-FDP in Bonn zu Ende gehen. Dann würde nämlich der konservative Flügel der FDP,' der nur widerstrebend die Ostpolitik Brandts mitmacht, bei einem Mißtrauensantrag der CDU-CSU gegen die Regierung stimmen.

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Am Sonntag den 14. Juni finden in der Deutschen Bundesrepublik in den drei Ländern Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und im Saarland Wahlen statt. Uber 40 Prozent der westdeutschen Wähler gehen an die Urne, und noch niemals in der Geschichte der Bundesrepublik wurde der Ausgang von Landtagswahlen mit so großer Spannung erwartet, geht es dieses Mal doch nicht nur um die Zusammensetzung der Länderregierungen, sondern um. die Bonner Ostpolitik. Die Koalitionsregierung SPDtFDP hat ihre Existenz so sehr an die Ostpolitik geknüpft, daß ein größerer Stimmenverlust der SPD auch einer Absage an ihre Ostpolitik gleichkäme. Kritisch sieht die Lage für die FDP aus. Sie erhielt bei den letzten Landtagswahlen in den drei Ländern rund sieben Prozent der Stimmen, erreichte aber bei den Bundestagswahlen 1969 nur noch mit Mühe die Fünf-Prozent-Klausel. Falls die FDP in Nordrhein-Westfalen die Fünf-Prozent-Hürde nicht überwindet, dürfte nach allgemeiner Auffassung die Koalition SPD-FDP in Bonn zu Ende gehen. Dann würde nämlich der konservative Flügel der FDP,' der nur widerstrebend die Ostpolitik Brandts mitmacht, bei einem Mißtrauensantrag der CDU-CSU gegen die Regierung stimmen.

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Das Ziel der Ostpolitik der Bundesregierung ist es, mit dem Osten ebenso zu einem Ausgleich zu gelangen, wie ihn Adenauer seinerzeit mit den Westmächten erreichte. Den entscheidenden Unterschied allerdings legte der CSU-Abgeordnete Fredherr von und' zu Guttenberg dar: Im. Osten, so sagte er, haben wir es mit Unrechts-Systemen, zu tun, die im Grunde nicht verhandlungswürdig sind. Guttenberg zog die Parallele zum Hitlerstaat.

Nun ist Guttenbergs Haltung von moralischen Grundsätzen diktiert, die im Widerspruch zu den machtpolitischen Verhältnissen stehen. Wenn die.gesamte Welt diese Machtverhältnisse ohne Gewissensbisse anerkennt, kann sich die Deutsche Bundesrepublik diesem Tatbestand nicht verschließen. Für sie erhebt sich deshalb lediglich die Frage, ob ihre Ostpolitik die Lage der Bundesrepublik verbessert oder nicht. Hier gehen die Meinungen quer durch das ganze deutsche Volk. Es ist fraglich, ob hinter der Außenpolitik Brandts mehr als die Hälfte der deutschen Bevölkerung steht. Die Wahlen in den drei Ländern werden darüber einen gewissen Aufschluß geben. Grundsätzlich geht es darum, daß die Deutsche Bundesrepublik den Status quo anerkennt, das heißt, jene Verhältnisse, die die Sowjetunion nach 1945 in Europa geschaffen hat. Da die deutsche Regierung schon oftmals erklärt hat, daß sie jede Form von Gewaltanwendung ablehnt, bedeutet Brandts Streben, zu Verträgen mit der Sowjetunion und den europäischen Volksdemokratien zu gelangen, nichts anderes, als die Vorbehalte gegen den heutigen Zustand aufzugeben. Diese Vorbehalte waren bisher Leitlinie der deutschen Politik: Ehe nicht ein europäischer Friedensvertrag zustandekommt, der an Stelle des derzeitigen Unrechtssystems eine europäische Friedensordnung setzt, anerkennt Deutschland die derzeitigen Verhältnisse offiziell nicht, weder die Oder-Neiße-Grenze noch die DDR.

Was die CDU-CSU-Opposition der Ostpolitik Brandts vorwirft, ist eben der Verzicht auf diesen Vorbehalt für den künftigen Friedensvertrag, ist der Verzicht auf die freie Selbstbestimmung der Deutschen und ist die Ausstellung des „Persilscheins“ für alles Unrecht, das die Sowjetunion nach 1945 bis zum heutigen Tag in Europa gesetzt hat. Die deutsche Ostpolitik, die Brandt derzeit betreibt, stellt in den Augen der Opposition die Anerkennung der deutschen und europäischen Teilung und die Sicherung des sowjetischen Besitzstandes in Mitteleuropa dar. Auf Grund des Potsdamer Abkommens ist nach Meinung der Opposition eine völkerrechtliche Anerkennung der DDR durch die Bundesrepublik gar nicht möglich, weil sich in diesem die Alliierten verpflichten, ein geeintes und demokratisches Deutschland zu errichten. Die Regierung Brandt-Scheel sieht das Problem völlig anders. Sie glaubt, daß der Wunsch des Ostens nach Frieden und wirtschaftlichem Aufschwung mit allen Mitteln unterstützt werden müsse. Erst durch eine Lockerung der bisherigen Ost-West-Beziehungen werde die derzeitige Immobilität der europäischen Politik überwunden. Brandt hat deshalb mit seiner Ostpolitik an drei Fronten angesetzt: in Moskau, in Warschau und in der DDR. Das Schwergewicht liegt in Moskau, wo Brandts Intimus, Staatssekretär Dr. Egon Bahr, in vierzehn Gesprächen mit dem sowjetischen Außenminister Gromyko über die Grundlinien eines sowjetisch-deutschen Gewaltverzichtsabkommens verhandelt hat. Nach Bahrs Darstellung würden die Sowjets bereit sein, durch Erklärungen die Paragraphen 53 und 107 der UNO-Charta als gegenstandslos zu betrachten. Diese gestehen den Alliierten das Recht des politischen und militärischen Eingreifens zu, falls die ehemaligen Feindstaaten in eine aggressive Haltung zurückfallen. Durch diese Stellungnahme würden auch die Sowjets, was die übrigen Alliierten schon längst taten, den Standpunkt aufgeben, daß die Bundesrepublik ein Staat minderen Rechtes sei. Die Sowjets würden ferner das Weiterbestehen der Vier-Mächte-Verantwortung für Gesamtdeutschland und Berlin anerkennen. Auch würden sfie stillschweigend hinnehmen, daß die deutsche Regierung im Vertrag nicht ausdrücklich auf das Recht der Selbstbestimmung verzichtet. Allerdings könnte auf Grund der Anerkennung des Status quo die Überwindung der deutschen Teilung nicht mehr erklärte Politik der Bundesregierung sein. Zweifellos bedeutet ein deutschsowjetisches Gewaltverzichtsabkommen einen Fortschritt in den

deutsch-sowjetischen Beziehungen. Anderseits ist die Hast nicht recht zu verstehen, die der Brandtschen Ostpolitik ihr Gepräge gibt. Es ist mehr als fraglich, ob es sinnvoll erscheint, eine Außenpolitik um jeden Preis durchzusetzen, wenn die Hälfte der Bevölkerung mit Skepsis, ja mit Sorge die Entwicklung verfolgt. Brandts Gespräche mit dem Ministerpräsidenten der DDR in Erfurt und Kassel haben auch nicht eine einzige menschliche Erleichterung im Ulbricht-Staat eingebracht, wohl aber diesen Staat aufgewertet und geradezu ermuntert, in seinen Forderungen immer anmaßender zu werden.

Zwar erklärte Bahr, die Sowjets würden nicht darauf bestehen, daß die Bundesregierung im Vertrag die Anerkennung der DDR und der Oder-Neiße-Grenze ausdrücklich festhält, doch wird diese durch die Anerkennung des Status quo implizite ausgesprochen. Auch haben die sowjetischen Machthaber unlängst in Prag anläßlich des Abkommens zwischen der UdSSR und der CSSR ausdrücklich betont, daß das Münchner Abkommen von 1938 grundsätzlich als ungültig anzusehen sei. Dies bedeutet nichts anderes, als daß die Deutsche Bundesregierung bei allen ihren Versuchen, mit anderen Volksdemokratien zu Abkommen zu gelangen, vor ähnliche Schwierigkeiten gestellt werden wird. Die CDU-CSU-Opposition befürchtet sogar, daß die derzeitige Ostpolitik der deutschen Regierung nicht nur zur Untermauerung des Status quo in Europa führt, sondern auch eine Welle von Wiedergutmachungsansprüchen von seiten der europäischen Volksdemokratien einschließlich der DDR auslösen könnte, die, sollte sie die Bundesrepublik erfüllen, die deutsche Wirtschaftskraft als einen entscheidenden Faktor der europäischen Einigung zerstören würde.

Die Wahlen am 14. Juni werden zweifellos darüber Auskunft geben, inwieweit die Außenpolitik überhaupt noch ein Anliegen der deutschen Bevölkerung darstellt. Ist sie es noch, dann bliebe wahrscheinlich die FPD auf der Strecke und das Zweiparteiensystem mit klaren Alternativen in der Innen- und Außenpolitik würde in der Bundesrepublik allmählich Wirklichkeit. Allerdings zweifeln die meisten Beobachter, daß dies in Nordrhein-Westfalen — und nur hier wäre es von Gewicht —, eintreten werde. Gerade, weil die deutsche Ostpolitik so schwer zu durchschauen ist und ihre Aussichten so zwielichtig erscheinen, wird es dem Wähler schwerfallen, ein klares Ja oder Nein zu sagen. Auf der einen Seite heißt es, der Deutsche müsse endlich die Lebenslüge aufgeben und sich mit den Tatsachen eines verlorenen Krieges abfinden, auf der anderen Seite aber vernimmt er die Warnung, daß durch die Ostpolitik Brandts Deutschland ein zweitesmal den Krieg verliert. Jedenfalls müßte es einen Erdrutsch bei den Wahlen geben, sollte die Bonner Koalitionsregierung zwischen SPD und FDP auseinanderbrechen.

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