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Bonn und Polen

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Was den Friedensvertrag betrifft, so wird von weiterblickenden Deutschen angeregt, den Sowjets für die Eröffnung von Verhandlungen folgende Bedingungen zu unterbreiten: Es darf sich nicht um ein Diktat handeln, sondern um richtige Friedensgespräche unter Gleichberechtigten: der Ausgangspunkt muß das Potsdamer Abkommen sein, in dem die Einheit Deutschlands in den Grenzen von 1937 festgelegt wurde — welche Zugeständnisse von deutscher Seite dann gemacht werden (Anerkennung eines neutralen Mitteldeutschland, Abtretungen an Polen), ist eine Frage zweiter Ordnung; Deutschland muß die Möglichkeit erhalten, mit Polen und mit der CSSR zweiseitige Gespräche zu führen, da nicht die UdSSR, sondern diese beiden Staaten die Nachbarn Deutschlands sind.

Die Grenzfrage würde wahrscheinlich keine unüberwindlichen Schwierigkeiten schaffen. Man legt allerdings Wert darauf, daß über die Ostgrenze verhandelt wird, aber man würde sich mit einem beinahe symbolischen Zugeständnis Polens (etwa Rückgabe Stettins und eines Brückenkopfes bei Frankfurt an der Oder) begnügen: die Rückgabe des Gebietes zwischen Neiße und Bober würde vermutlich das Äußerste sein, was gefordert würde, während man vor einigen Jahren noch die Glatzer Neiße als Grenze ms Auge faßte. Schwieriger wäre es, eine Form für die Anerkennung des selbständigen Mitteldeutschland zu finden, da nach sowjetischer Auffassung die „DDR“ bereits existiert und die Bundesrepublik keine Souveränität über sie besitzt, während nach westdeutscher Auffassung der völkerrechtliche Vor gang so sein müßte, daß Bonn im Rahmen eines internationalen und von allen Unterzeichnern garantierten Vertrages auf seine Hoheit über Mitteldeutschland verzichten würde, wobei für die allenfalls von Polen an die DDR zurückzugebenden Gebiete entweder Ost-Berlin mit West-Berlin zu einer Freien Stadt vereinigt oder ein Grenzstreifen in Thüringen oder ein Korridor nach West-Berlin an die Bundesrepublik abgetreten werden müßte. Ob man sich mit dem Rückzug der Roten Armee hinter die Oder begnügen oder die Räumung Polens fordern sollte, ist strittig. Wahrscheinlich wäre der Rückzug der Roten Armee hinter den Bug nur zu erreichen, wenn der Rapacki-Plan angenommen und die amerikanischen Truppen aus der Bundesrepublik zurückgezogen würden. Für Bonn hängt viel davon ab, daß jedes derartige Zugeständnis nicht zu früh und nicht zu spät gemacht würde. Zu früh wäre es, wenn die Amerikaner zum Disengagement noch nicht bereit wären, zu spät, wenn Kennedy es den Russen zugestanden hätte, ehe sich Bonn selbst dazu bereit erklärt. Ein Handikap der Deutschen ist die völlige ideelle Sterilität des Auswärtigen Amtes, wo man sich keinerlei Gedanken macht, sondern starr an dem Status quo festhält. Der einzige Staatsmann, des Deutschland hat und der den Gordischen Knoten durchtrennen könnte, ist Adenauer. Die einzige innenpolitische Plattform für eine „große Lösung“ wäre aber die von Adenauer abgelehnte „Große Koalition“. Die CDU CSU hat es versäumt, der Nation ein Geschichtsbild und ein politisches Bewußtsein zu vermitteln, in denen eine realpolitische Lösung Raum hätte. Die SPD huldigt dem kleindeutschpreußischen Ideal von 1870 und’1919. Dies ist die schwierigste Hürde für den Staatsmann, der es wagen will, den Strich unter die nationalstaatliche Fehlentwicklung zu ziehen.

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