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Widersprüche auf dem Weg von Erfurt nach Kassel

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Der Bundesminister für innerdeutsche Beziehungen Egon Franke zum deutschen Dialog:

„Weshalb sollte es ausgeschlossen sein, daß die Sowjetunion gerade unter dem Gesichtspunkt der Sicherung ihres Vorfeldes ihre bisher vorherrschende Behaupt-tung aufgibt, die Bundesrepublik Deutschland bestimme den Aggressivitätsgrad des Westens? Warum sollte dies nicht durch die Erenntnis eresetzt werden können, daß bessere Beziehungen zwischen der sowjetischen und europäischen Sicherheit, wie sie die Sowjetunion versteht, besser dienen als die Fortsetzung des gespannten Verhältnisses der vergangenen 15 Jahre? Eine solche Entwicklung würde auch das Verhältnis der beiden Staaten in Deutschland zueinander beeinflussen. In diese sowjetische Politik der Absicherung des Status quo fügt sich auch die polnische Politik ein. Sie ist in dieser Weise gegen jede Veränderung und jeden Konflikt, weil der territoriale Besitzstand Polens seine letzte Anerkennung noch nicht erfahren hat. Für Polen ist europäische Sicherheit nur auf der Basis der Teilung Deutschlands denkbar. Dennoch werden politische Regelungen mit Deutschland für Warschau nur realen Wert haben, wenn sie von der Meinung des ganzen deutschen Volkes getragen werden. Es darf allerdings nicht übersehen werden, daß die Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze durch die Bundesrepublik Deutschland gegenwärtig die Bedingung schlechthin für jede Verbesserung der polnischdeutschen Beziehungen ist.

Der heutigen Position der DDR entspricht ein wachsendes Selbstbewußtsein auch gegenüber den eigenen Bündnispartnern. Es ist deutlich voraussehbar, daß alle osteuropäischen Staaten in ihrem Verhältnis zur DDR und umgekehrt es zu keinem Bruch der Handlungseinheit kommen lassen. Damit wird aber nicht stets eine genaue Übereinstimmung aller Interessen im Hinblick auf das Verhältnis zur Bundesrepublik zu vereinbaren sein. Wir wissen, daß in manchen Bereichen die in Erfurt gemachte Festellung, die DDR verlange von der Bundesregierung nichts, was sie nicht selbst zu leisten bereit sei, durch die praktische Wirklichkeit vieler Äußerungen aus Ost-Berlin widersprüchlich interpretiert wird. Die Bundesregierung beabsichtigt nicht, den Vorstellungen der DDR über die Gestaltung ihres Verhältnisses zur Bundesrepublik Deutschland mit einer bloßen Negation zu begegnen. Wir gehen vielmehr davon aus, daß die beiderseitigen Vorstellungen — in welcher Form auch immer fixiert — Grundlage der Gespräche und Verhandlungen sein müssen. Das setzt für den Erfolg von Verhandlungen aber auch voraus, daß keine Seite davon ausgeht, allein das Ergebnis der Verhandlungen bestimmen zu wollen. Vielleicht ist es notwendig, rechtzeitig hinzuweisen, daß das Prinzip der Gleichheit der Verhandlungsseiten allein für den Erfolg der Verhandlungen nichts aussagt, sondern erst die Bereitschaft der Verhandelnden zu Leistungen auf Gegenseitigkeit. Die Bundesregierung ist dazu bereit.“

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