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Das Erfurter Pokerspiel

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Willy Brandt, Kanzler der Deutschen Bundesrepublik, und Willi Stoph, Ministerpräsident der Deutschen Demokratischen Republik, haben sich getroffen. Es war der erste offizielle Kontakt der Vertreter der beiden Deutschland seit dem zweiten Weltkrieg. Denn bis vor kurzem gab es gemäß der Hallstein-Doktrin nur ein Deutschland, das durch die Bundesrepublik repräsentiert wurde. Die DDR galt als eine besetzte Zone mit einer Marionettenregierung. Die Zusammenkunft fand in Erfurt statt.

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Willy Brandt, Kanzler der Deutschen Bundesrepublik, und Willi Stoph, Ministerpräsident der Deutschen Demokratischen Republik, haben sich getroffen. Es war der erste offizielle Kontakt der Vertreter der beiden Deutschland seit dem zweiten Weltkrieg. Denn bis vor kurzem gab es gemäß der Hallstein-Doktrin nur ein Deutschland, das durch die Bundesrepublik repräsentiert wurde. Die DDR galt als eine besetzte Zone mit einer Marionettenregierung. Die Zusammenkunft fand in Erfurt statt.

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Warum eigentlich in Erfurt? Ursprünglich sollte das Zusammentreffen in Ost-Berlin ablaufen, aber die DDR verlangte, daß bei der Reise zu diesem Treffen der deutsche Bundeskanzler Brandt Wast-Berlin nicht betrete. Fast wäre an dessen Weigerung das Zusammentreffen überhaupt geplatzt, hätten die Russen der DDR nicht sehr deutlich zu verstehen gegeben, daß sie ein eminentes Interesse an dieser Begegnung haben. Daraufhin wurde Erfurt vorgeschlagen, in Thüringen gelegen, im alten Deutschland eine preußische Enklave inmitten der thüringischen Kleinstaaten. In Erfurt, das große Waffenfabriken beherbergt hat, die in Besitz der sehr deutschnationalen Familie Simson waren, aus deren Reihen auch der Erste Präsident des Deutschen Reichstages 1871 kam und die trotz ihrer sehr betonten nationalen Einstellung wegen ihrer jüdischen Abstammung vom Dritten Reich völlig enteignet wurde, fand 1891 der erste sozialdemokratische Parteitag statt, der das Erfurter Programm erstellte. Es war ein streng marxistisches Programm und die Wahl dlieses Ortes seitens der DDR sollte wohl eine leise Mahnung an Willy Brandt sein, sich der gemeinsamen Vergangenheit zu erinnern und sich aus den Fängen der westlichen Welt zu befreien.

Worum ging es in Erfurt? Die Wünsche der DDR sind klar. Sie will als Endprodukt der Verhandlungen die unetogeschränkte Anerkennung seitens der Bundesrepublik. Und warum will sie diese Anerkennung? Aus zwei Gründen: Zunächst aus sehr egoistischen. Solange die Bundesrepublik die DDR nicht anerkannt hatte, sondern sie nur als einen besetzten Teil Gesamtdeutschlands ansah, war immer noch die Möglichkeit gegeben, daß sie in irgendeinem großen Tauschgeschäft aufgeopfert werden würde. Der zweite Grund ist der Wunsch Rußlands, die DDR endgültig als selbständigen Staat anerkannt zu sehen. Rußlands Politik wird seit Jahren von zwei großen Traumata beherrscht: Von der Angst vor einem geeinten Deutschland und vor der Angst einer Auseinamdersetzjumg mit China. Durch die ganze Geschichte Rußlands, mochte es unter einem weißen oder roten Zaren leben, zieht sich immer wieder das Bestreben, an einer Flanke seines Riesenreiches Ruhe zu haben, wenn an der anderen eine Gefahr droht. Jetzt droht eine Auseinandersetaung mit China, infolgedessen muß die westliche Flanke vollkommen geschützt sein. Um Ruhe an dieser westlichen Flanke zu haben, marschierten die Russen 1968 in Prag ein. Und unter diesem Gesichtspunkt ist auch begreiflich, daß Rußland an einem Gespräch der beiden Willys sehr interessiert ist. Denn wenn das Endziel, die Anerkennung der DDR, einmal erreicht ist, dann ist zunächst das Gespenst einer Wiederveredmgung Deutschlands gebannt. Ein starkes Deutschland ist ein Trauma für Rußland, wie eine starke östliche Macht für Rußland ebenfalls ein Trauma ist. Schließlich hat Rußland den Krieg gegen Japan 1905/6 verloren und die Folge dieses Krieges war die Revolution von 1906. Es hat den Krieg, der 1914 gegen Deutschland begann, verloren und die Folge war die Revolution von 1917. Der zweite Weltkrieg brachte Rußland enorme Verluste an Menschen und Gütern. Der Schrek-ken dieser Tage wird wohl für immer über Rußland schweben und dieses Reich alles mögliche versuchen lassen, um ein Wiedererstarken Deutschlands und damit eine Bedrohung seiner westlichen Flanke zu verhindern.

Wenn die DDR anerkannt ist, dann ist zunächst einmal das Gespenst einer Wiedervereinigung Deutschlands und somit eines starken Deutschlands gebannt. Vielleicht würde es dann eines Tages sogar möglich sein, daß die Bundesrepublik aus dem NATO-Bündnis ausschert und sich zu einem neutralen Staat wandelt, wie Österreich schon jetzt einer ist. Dann wäre nicht nur die Westflanke Rußlands durch die Satellitenstaaten abgesichert, sondern diese auch, da ihnen ein Ring neutraler Staaten vorgelagert wäre. Rußland könnte dann einer Auseinandersetzung an seiner östlichen Flanke ruhiger entgegen^ sehen.

Und was bezweckte Willy Brandt mit diesem Treffen? Seitdem der SPD-Vorsitzende Kanzler der deutschen Bundesrepublik ist, betreibt er eine ausgesprochene Geheimdiplomatie. Was er mit diesem Treffen eigentlich bezweckte, wurde nie ganz ausgesprochen. Man munkelte, er wolle menschliche Erleichterungen im Verkehr der beiden Zonen schaffen, oder eine Aufhebung des Schießbefehls seitens der Ostzone, oder Erleichterungen im Reiseverkehr. Aber man kann ahnen, was er bezweckte: Willy Brandt benötigte einen Erfolg im eigenen Land. Seine Koalition steht unter schwerstem Beschuß und anderseits wird die SPD immer mehr durch radikale Elemente unterwandert. Scheinbar benötigte er einen nationalen Erfolg, um seine Position zu befestigen. Ähnlich wie die SPÖ einst unibedingt einen Erfolg in der Frage Südtirol erringen wollte, um innerpolitisch das Spiel besser gewinnen zu können. Wer wird der Gewinner sein in diesem Pokerspiel? Vorderhand niemand. Denn die nationale Begeisterung in der Bundesrepublik über die Anknüpfung der Fäden nach der DDR wird wieder der nüchternen Erkenntnis Platz machen müssen, daß die Russen sehr harte und geübte Pokerspieler sind, die von ihrem Ziel nicht abgehen werden und auf diese Art versuchen wollen, das freie Deutschland in ihre Fänge zu ziehen. Je früher das die Deutschien erkennen, um so besser wird es sein. Die Russen sind harte Pokerspieler, und wenn sie erkennen, daß die Gegenseite auch einen echten Plan hat und dieser Plan ihnen ebenfalls ihr Ziel, die Ruhe an der Westflanke, garantiert, werden sie sofort bereit sein, auf dieses Spiel einzugehen. Dann wird wenigstens der kalte Friede gesichert sein.

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