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Das Spiel um Berlin

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Es fing ganz harmlos an. Der neue Präsident des Deutschen Bundestages, Kai-Uwe von Hassel, hatte am Mittwoch, dem 12. Februar, die deutsche Bundesversammlung zur Wahl des Bundespräsidenten für den 5. März nach Berlin eingeladen. Durch sie werden die 518 Mitglieder des Bundestages und eine gleich große Anzahl weiterer Wahlmänner, die von den deutschen Landtagen bestimmt werden, zur Wahl des Bundespräsidenten in die Ostpreußenhalle des Messegeländes am Berliner Funkturm bestellt. Die „DDR“ protestierte sofort scharf und verbot allen an der Wahl Beteiligten die Durchreise durch die Ostzone. Der „DDR“ selbst war klar, daß dieses Verbot illusorisch sei, denn die Beteiligten an der Bundespräsidenteawahl müssen ja nicht durch die Ostzone reisen, sondern können nach West-Berlin fliegen.

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Es fing ganz harmlos an. Der neue Präsident des Deutschen Bundestages, Kai-Uwe von Hassel, hatte am Mittwoch, dem 12. Februar, die deutsche Bundesversammlung zur Wahl des Bundespräsidenten für den 5. März nach Berlin eingeladen. Durch sie werden die 518 Mitglieder des Bundestages und eine gleich große Anzahl weiterer Wahlmänner, die von den deutschen Landtagen bestimmt werden, zur Wahl des Bundespräsidenten in die Ostpreußenhalle des Messegeländes am Berliner Funkturm bestellt. Die „DDR“ protestierte sofort scharf und verbot allen an der Wahl Beteiligten die Durchreise durch die Ostzone. Der „DDR“ selbst war klar, daß dieses Verbot illusorisch sei, denn die Beteiligten an der Bundespräsidenteawahl müssen ja nicht durch die Ostzone reisen, sondern können nach West-Berlin fliegen.

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Zunächst hatte es den Anschein, als würden die beiden Großmächte USA und UdSSR die ganze Angelegenheit als eine innerdeutsche ansehen. Der neue amerikanische Außenminister erklärte, daß die deutsche Bundesrepublik diese Versammlung nach Berlin einberufen habe und sdch deshalb mit dem Protest der „DDR“ direkt auseinandersetzen müsse. Und die „Prawda“ erklärte zunächst, daß durch den Protest der „DDR“ alles Notwendige geschehen sei. Die Weltmächte erklärten sich somit als nicht engagiert. Und dann zündete plötzlich der Funke. Rußland schaltete sich massiv ein. Es drohte, den Luftverkehr aus Westdeutschland nach Berlin zu behindern. Das brachte wieder diie Westmächte in Hämisch. Rußland ging einen Schritt weiter und drohte, dais Vier-Mächte-Ab-kommen über Berlin überhaupt zu kündigen. Was war geschehen?

Zum Unterschied von der „DDR“ sieht Rußland das Vier-Mächte-Abkommen über Berlin nach wie vor als gültig an. Während die „DDR“ behauptet, nicht nur Ost-Berlin, sondern auch West-Berlin sei ein Bestandteil der Zone und die Alliierten befänden sich demnach illegal in West-Berlin, ist für die Russen Berlin immer noch eine Stadt mit eigenem Statut, die rechtlich unter der Regierung der vier Großmächte steht. Für das Berlin der Ostzone gilt dies praktisch nicht, wohl aber für das Berlin der Westzone, denn die Bewohner West-Berlins sind nicht Bundesbürger, wenn sie auch den größten Teil deren Rechte besitzen. Berlin ist für Rußland einer der Fäden, die es nach dem Westen laufen läßt, ähnlich wie Rotchina viele Drähte über Hongkong nach der freien Welt.

Berlin ist für die Russen eine Art Druckknopf oder, vulgär ausgedrückt, eine Art Hühnerauge, auf das Rußland nur zu drücken braucht, um die westliche Welt nervös zu machen und um zu erkunden, wieweit die westliche Welt bereit ist, Konzessionen zu machen. Bin typisches Beispiel waren die Parlamentswahlen in Frankreich im Jahr 1968. Als die Stellung de Gaulies durch die Mai-Unruhen kritisch wurde, fing Rußland sofort an, auf Berlin zu drücken. Es fürchtete, de Gaulle werde die Wahl verlieren und Frankreich werde nach links abrutschen. Dieses linke Frankreich wäre Rußland gar nicht genehm gewesen, für Rußland ist de Gaulle ein viel sicherer Kantonist, jener de GauEe, der der NATO und der EWG immer Schwierigkeiten macht und der trotz aller Fneundschafts-beteuerungen ein entschiedener Gegner der Wiedervereinigung Deutschlands ist.

Die russische Politik wird von zwei großen Traumata beherrscht. Das eine Trauma ist die Wiedervereinigung Deutschlands, welches wiedervereinigte Deutschland nach Ansicht der Russen einen Revanchekrieg gegen die Sowjetunion führen könnte. Das zweite Trauma ist China, das zu Beginn der siebziger Jahre die Atombombe einsetzen kanti und heute schon Karten verbreitet, auf denen die Grenzen Chinas bis zum Ural vorgeschoben sind. Alle Politik Rußlands in Europa ist darauf gerichtet, sich im Rücken Ruhe zu verschaffen, um sich für die große .Auseinandersetzung mit dem Reich Maos wappnen zu können. Darunter fiel der Einmarsch in die Tschechoslowakei, und darunter fällt auch das Spiel um Berlin.

Zum erstenmal nehmen an der Wahl in Berlin auch Mitglieder der Nationaldemokratischen Partei teil, und Rußland fürchtet, daß diese Abgeordneten nur zu lalut den Traum von der Wiedervereinigung Deutschlands in die Welt hinausposaunen könnten, der vielleicht in der „DDR“ nur zu gerne gehört würde. Und dies ist der Punkt, wo Rußland nervös wird, und dies ist der Grund, warum Rußland gegen die Abhaltung der Bundesversammlung in Berlin ist.

Es werden wahrscheinlich noch sehr scharfe Worte gewechselt werden, und wenn die Deutschen und die Westmächte nicht zu nervös werden, dann wird die Wahl in Berlin stattfinden. Vielleicht wird Rußland auch das Abkommen kündigen, und dann hätten die Westmächte eine Chance, die sie niemals ausgespielt haben: Die Westmächte können erklären, daß man dieses Abkommen natürlich nicht einseitig kündigen kann, sondern nur durch ein neues Abkommen ersetzen darf. Und sie könnten verlangen, daß das alte oder neue Abkommen für ganz Berlin gültig ist, nicht nur für die Westzone, sondern auch für die Ostzone. Dann haben die Ostberliner Bürger den gleichen Status wie die Westberliner und das werden weder die „DDR“ noch Rußland wollen und so wird wahrscheinlich alles beim alten bleiben.

Vor allem auch, wenn die Westmächte sich klar sind, daß Rußland an der Existenz West-Berlins noch mehr interessiert ist als sie selbst. Denn die Russen werden nicht so leicht auf dieses Hühnerauge verzichten, da sie nur zu gut wissen, wie leicht sie durch einen Druck darauf den Westen nervös machen können.

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