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Immer zweigeteilt

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Berlin, einstens Hauptstadt von Preußen und Hauptstadt des Deutschen Reiches, eine der größten Städte Europas, lebt heute ein merkwürdiges Schicksal: mitten durch die Stadt geht eine Mauer und teilt Berlin in zwei Hälften, eine westliche und eine östliche. Das westliche Berlin selbst stellt eigentlich eine Insel dar, die durch elektrisch geladene Stacheldrahtzäune völlig von der DDR abgetrennt ist. Viele Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg galt für Berlin politisch ein Sonderstatut, das sogenannte „Viermächteabkommen“, auf Grund dessen die vier Sieger diese Stadt gemeinsam verwalteten. Bald kristallisierte sich aber heraus, daß Ost-Berlin faktisch nur durch die Russen und West-Berlin durch die drei westlichen Alliierten verwaltet wurde. Die Versuche, West-Berlin abzuwürgen, waren nicht gering. Dank der Unterstützung durch die Alliierten und hier insbesondere der Amerikaner, aber auch dank der Disziplin der Westberliner mißlangen alle diese Versuche. Schließlich einigten sich die vier Alliierten auf ein merkwürdiges Kompromiß: Ost-Berlin wurde ohne irgendeine Gegengabe an die DDR verschenkt. West-Berlin dagegen wurde ein eigener, politischer Körper, der formalrechtlich nicht zur Bundesrepublik gehört und nur unter ihrem Protektorat steht. Die Westberliner haben eigene Pässe, sie müssen nicht in der deutschen Wehrmacht dienen und sind im Deutschen Bundestag nicht durch Abgeordnete vertreten.

Diese merkwürdige Teilung, die Berlin in unserer Zeit erfahren hat, ist aber eigentlich, historisch betrachtet, nichts Neues. Berlin war immer eine zweigeteilte Stadt. Und das äußere Bild, das sich heute dem Betrachter bildet, ist das Endprodukt eines „Mandel-Prozesses“.

Berlin war im Grunde genommen immer eine zweigeteilte Stadt: Einmal war es sichtbare Hauptstadt Preußens und des Deutschen Reiches, das in Wirklichkeit ein Groß-Preußen war. In dieser Stadt war die ganze Kraft Preußens, die soviel Unglück in der Weltgeschichte angerichtet hat, zusammengeballt. Es war eine Stadt, die dank dieser preußischen Politik nur zu oft eine geheime oder auch offen zur Schau getragene Liebe zu Rußland besaß. Daneben gab es ein zweites Berlin, das diesem ersten Berlin konträr entgegenstand. Es war ein Berlin der freien Geister, der Humanisten, der großen Schriftsteller und großen Künstler, der großen Wissenschafter und Pazifisten. Aber dieses andere Berlin war immer eine kleine Insel, die sozusagen in der Luft hing, so wie heute West-Berlin — das freie Berlin — heute in der Luft hängt. Diese Insel hatte etwas berückend Schönes an sich. Sie war im wahrsten Sinn des Wortes eine Republik der großen Geister, die immer im Schatten des Schwertes leben mußten, und über die die Brutalität der Geschichte nur zu oft hinwegging.

Zwei Neuerscheinungen zeigen deutlich das merkwürdige Schicksal dieser einst so schönen Stadt Berlin. Die Deutsohe Verlagsanstalt gab ein großes Werk unter dem TiteJ „Berlin — teils, teils“ heraus, das auf den ersten Blick ein Bildband ist, aber dessen Text — von Thilo Koch — eigentlich ein einziger Lobgesang für die Insel der freien Geister, die West-Berldn ja darstellt, ist und nur bedauert, daß dieser Inselcharakter sich nicht auf ganz Berlin erstreckt.

Das zweite Werk kam in dem bekannten Prestel-Verlag heraus, dessen Bücher in die Hand zu nehmen schon ein Vergnügen ist. Herausgegeben von Johann Jakob Hässling, unterstützt durch viele schwarzweiße und farbige Bilder, wird hier ebenfalls ein Ahgesang auf die Insel der Freiheit gehalten. Hie und da nur unterbrochen durch einen Seitenblick auf das Berlin des Schwertes und der Macht.

Mit Wehmut legt der Leser beide Bücher aus der Hand. Wie schön war und ist doch diese kleine Republik der großen Humanisten. Und was hätte aus Deutschland werden können, wenn ein echter Humanismus auch hier zum Tragen gekommen wäre. Als ein echtes Mahnmal zeigt das zweigeteilte Berlin dieses traurige Schicksal einer Stadt und eines Volkes auf.

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