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Preußens Wiederkehr

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Woran lag es, daß zur Zeit der Streiks in Polen niemand (bei uns) von Gdansk, Olsztyn, Szczecin schrieb? Sind die alten Namen Danzig, Alienstein, Stettin auch 35 Jahre nach dem Ende der deutschen Besiedlung des alten Preußenlandes doch noch so lebendig, daß sie sich gegen politische Tatsachen durchsetzen? Oder melden sich hier Symptome einer Wiederbesinnung aufwerte, die 35 Jahre Fang bewußt negiert worden waren?

Als Hitler 1938 den Namen „Österreich" auszulöschen versuchte, aus Ober- und Niederösterreich die Wortungetüme „Ober"- und „Niederdonau" machte, da provozierte dieser Akt die Empörung und den Widerstand auch vieler jener Österreicher, die dem Anschluß selbst als Erfüllung eines alten Großmacht-Traumes zugejubelt hatten.

Nicht viel anders ging es im Norden des deutschen Raumes zu.

Für Österreich gab es den Neubeginn schon 1945. Aber erst 30 Jahre später wagte man, mit großen Gedenkausstellungen auch der vor 1918 liegenden Geschichte zu gedenken. Eine Flut von Biographien und Monographien, von Neufassungen und Neuauflagen großer Geschichtswerke entspricht seither dieser Renaissance. Eine ähnliche Welle neuer Bücher, die sich mit der Geschichte Preußen-Deutschlands und seiner hervorstechenden Persönlichkeiten befassen, zieht die Parallele im Norden.

„Namen, die keiner mehr nennt" überschrieb Marion Dönhoff, damals Chefredaktrice der Hamburger „Zeit", schon vor fast 20 Jahren ein schmales Bändchen Erinnerungen an ihre ostpreußische Heimat. Daß es nun als bibliophile Neuauflage erschienen ist, bestätigt die Feststellung einer Neubesinnung.

Was wissen wir - vor allem wir in Österreich, dem Gegner durch Jahrhunderte - von Preußen? Auch für Staaten gilt das Schillerwort: „Von der Parteien Haß und Gunst verzerrt, schwankt sein Charakterbild in der Geschichte."

Was wissen wir von dem Land an Ostsee und Weichselmündung, zwischen dessen Wäldern und Sümpfen vor 2000 Jahren Goten, Burgunder siedelten, bis sie die Völkerwanderung nach Süden führte. Die baltischen Pruzzen blieben, gingen schließlich unter in den Invasionen slawischer Polen und deutscher Kreuzfahrer - aber hinterließen ihren Namen dem Stammland, schließlich dem Großteil des deutschen Nordens, und, wie die Ethnologen meinen, so manche Charaktereigenschaft den sie aufsaugenden Völkern.

Unter den Söldnerführern, die im Gefolge des Deutschen Ordens an die noch kaum besiedelte Ostseeküste kamen, waren auch die Stammväter jener Grafengeschlechter, die 18 Generationen hindurch den oft karikierten, kaum verstandenen, viel angefeindeten Typ des „preußischen Junkers" repräsentierten, ohne den die preußische Geschichte nicht denkbar ist.

Sie stellten die Offiziere, Beamten, Diplomaten, Feudalherren - nicht nur der Hohenzollern, sondern ebenso auch der Könige von Polen und Schweden, der russischen Zaren, je nachdem, wer gerade die legitime Oberhoheit über ihre Heimat ausübte. Sie stellten, in der Schlußphase ihrer Epoche, die Führer des konservativen Widerstands gegen Hitler, den sie eben nicht als legitimen Herren anerkennen konnten.

Rein dynastisch-machtpolitisch fügten sich zwischen 1650 und 1870 die territorialen Beuten zahlreicher Kriege und Erbverträge zu einem Fleckerlteppich zusammen, der von der Memel bis zum Niederrhein reichte und damit das „machtpolitische Grundgesetz und militärpolitische Kompositionsgesetz Preußens" grundlegte, wie Franz Herre ausführt.

„Wir Preußen sind keine geborene, sondern eine gemachte Nation", zitiert Herre den jungen Wilhelm in seiner fundierten Biographie. Die „Macher" waren die aus der schwäbischen Alp nach Norden gekommenen Hohenzollern, die diesen Integrationsprozeß zielsicher durch Jahrhunderte fortführten -bis sie mit der Überdrehung des Nationsbegriffs im 19. Jahrhundert auch schon den Todeskeim legten. '

In der preußisch-(west)deutschen Verbindung schienen sich die negativen Eigenschaften der Partner zu vererben: adlige Arroganz und bürgerliche Großtuerei, preußische Machtbesessenheit und deutscher Sendungseifer.

Motor dieser Entwicklung aber war Otto von Bismarck, zunächst ostelbi-scher Junker, wie er im Buch stand, der schon bei seinem ersten Auftreten im preußischen Landtag durch seinen Konservativismus auffiel. Er war jedoch viel zu sehr Einzelgänger, politischer „Künstler", um auf den Junkertyp festgelegt werden zu können.

Er war durchaus gewillt, die feudalistisch-absolutistische Grundlage des preußischen Staates weiter bestehen zu lassen und seine Vorherrschaft auch im neuen Deutschland zu sichern, schreibt Gordon Craig.

Aber: „Die Mittel, die er anwandte, haben auf dem Höhepunkt seines Wirkens den historischen Prozeß zeitweise enorm beschleunigt und in stürmischem Tempo das heraufgeführt, was wir abkürzend ,die moderne Welt' nennen", stellt Lothar Gall fest, der Bismarck den "weißen Revolutionär" nennt.

„Namen, die keiner mehr nennt" Generals Yorck von Wartenberg - eines stockkonservativen Friderizianers - von der Seite Napoleons auf die des Zaren. Schon 1939 mußte der Tauroggen-Mythos herhalten, um Hitlers Pakt mit Stalin zu begründen ...

Unvergessener deutscher Osten. Von Hermann Schreiber. W. Heyne-Verlag München 1980, (Nr. 7127) 460 Seiten öS 75.50

Namen, die keiner mehr nennt. Von Marion Gräfin Dönhoff. Eugen Diederichs-Verlag, Düsseldorf 1980. 168 Seiten öS 240.

Menschen, Pferde, weites Land. Von Hans Graf von Lehndorff. Biederstein-Verlag München 1980, 287 Seiten, öS 256.-

Kaiser Wilhelm I. Der letzte Preuße. Von Franz Herre. Kiepenheuer & Witsch 1980.541 Seiten, öS 306.50

Bismarck. Der weiße Revolutionär. Von Lothar Gall. PropyläenVerlag-UlIstein 1980, 812 Seiten öS 323.40

Deutsche Geschichte 1866-1945. Vom Norddeutschen Bund bis zum Ende des Dritten Reichs. Von Gordon A. Craig. Verlag C. H. Beck, München 1980, 806 Seiten, öS 464-

... Aus dem nach König Ottokar II. benannten Königsberg, wo einst Immanuel Kant lehrte, wurde das sowjetische Provinznest Kaliningrad. Polens Arbeiter streikten in Gdansk, nicht in Danzig. Aus Rheinpreußen wurde das größte Bundesland der Bundesrepublik Deutschland. /

Nur in der DDR, dem östlichsten Rest des alten Reichs, wo man auch sonst gewöhnt ist, sich aus der Geschichte jene Rosinen herauszuklauben und zurechtzukneten, die einem ins Konzept passen - in dieser DDR wird bei gegebenem Anlaß der Tauroggen-Mythos bemüht, um an die „ewige Freundschaft zwischen Deutschen und Russen" zu gemahnen, jenes befehlswidrige Uberschwenken des preußischen

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