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Für die Zukunft keine Rezepte

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ENDLÖSUNG DEUTSCHLAND. Von Christian W. Hauck. Droemersche Verlagsanstalt Th. Knaur Nachf., München-Zürich, 1963. 304 Seiten mit 20 Karten und Schaubildern. Preis 16.80 DM.

Als am 15. Februar 1763 im Frieden von Hubertusburg Schlesien an Preußen abgetreten wurde, da war eine endgültige Lage geschaffen, und es folgte keine Wiedervereinigungspolitik, auch wurden keine Anklagen an alle Welt gerichtet. Das war ein erprobtes Verfahren, und es diente zweifellos dem Frieden, denn eine Änderung hätte nur wieder einen Krieg herbeiführen können. Immer wenn an Stelle solch klarer Lösungen Provisorien traten, gab es Ungewißheit, Schwebezustand, neue Kriegsgefahr. In Potsdam hat man 1945 das Provisorium vorgezogen, umstrittene Grenzen gezogen, Besatzungsregimes eingeführt und Deutschland vorläufig geteilt. Mit derartigen Teilungen hat man in der Geschichte nie eine rechte Freude gehabt, und Maria Theresia erklärte zur Teilung Polens von 1772: „Wenn ich schon längst tot sein werde, wird man erfahren, was aus dieser Verletzung von allem, was bisher heilig und gerecht war, hervorgehen wird.“ Trotzdem blieben Teilungen bis zu jenen von Palästina, Korea, Vietnam, ja

auch China, Indien und Deutschland beliebte Ausfluchtsmittel, die man fortgesetzten Kriegen vorzog.

„Die deutsche Teilung“, sagt Hauck, „ist eine Zertrümmerung. Fast die ganze Welt beschäftigt sich mit ihr“. Und in der Tat kann man vom Alpdruck der deutschen Frage sprechen, der zumindest auf Europa lastet. Der Autor bringt die harten Tatsachen, wie aus der Weltmacht Deutschland eine Schachfigur im Spiel der Weltblöcke, ein „Limes-Land zwischen weit entfernten Weltmächten... ein Schicksal ohne Gnade... ein Festland und Vorfeld für das Weltinselreich USA“ geworden ist. Wie die DDR zwangsläufig die Ostpolitik, so muß die BRD ebenso zwangsläufig die Weslpolitik beachten, und die BRD konnte überhaupt nur nach Eingliederung in das Westsystem Rußland und Frankreich gegenüber wieder ein Faktor werden. Dieser Kurs Adenauers rindet zwar Würdigung, aber „Adenauers Glaube, durch unendliche Geduld alles wieder zu erringen, ist ein Irrtum“. Wir lesen weiter, Rußlands Wirtschaft werde ohne Verwachsung mit dem Westen nicht ausreifen können, der historische Ost-West-Schub könne ohne europäische Einigung nicht gebremst werden und ohne friedliche Lösung müsse Europa zum Schlachtfeld des dritten Weltkrieges werden. Der Verfasser versteht es, die geo-politischen, biologischen, wirtschaftlichen und strategischen Kräfte in Zusammenhang zu setzen und zeigt, wie die USA unter Truman angeblich erst durch das wiederentdeckte Werk „The Day of the Saxons“ (1912) des USA-Generals Homer Lea (1946 deutsch als „Die Stunde des Angelsachsen“ erschienen) 1945 auf den richtigen weltpolitischen Weg gewiesen worden sind.

Diesem eindrucksvollen Tatsachenbild folgt die „Endlösung Deutschland“, ein Rezept für die Staatsmänner, das nur befolgt werden müßte, um den Weltfrieden zu sichern. Politik und Strategie sind eng verwandt, und man weiß es aus der Strategie, daß nichts schädlicher ist als ein Rezept, dem der Feldherr zum Opfer fällt, weil er im Glauben an das Rezept die Fähigkeit, ganz unvorhergesehenen neuen Situationen richtig zu begegnen, verliert. Nicht anders in der Politik, und auch Haucks Rezept kann deshalb keine Endlösung bedeuten.

Hauck lehnt in 14 Punkten der Reihe nach verschiedene Möglichkeiten ab: eine Integration Westeuropas, eine Neutralisierung beider Deutschlands beziehungsweise eines wiedervereinigten Deutschlands, gemeinsamen Friedensvertrag mit einem Pufferstaat Deutschland zwischen Ost und West, ein Paneuropa (höchstens eines im Sinne de Gaulies!), die EWG, jede Übertreibung eigener Abwehrkraft in der BRD und selbstverständlich jede kriegerische Lösung. Das Rezept heißt: „Mitteleuropa“, dieses bestehend aus beiden Deutschland, Polen, Tschechoslowakei, Ungarn und dem selbstverständlich wiederangeschlossenen neutralen Österreich, während die neutrale Schweiz einzuverleiben vermieden wird. Von dieser Endlösung erwartet der Verfasser die unentbehrliche Sicherheit: „Politik ist Schaffung von Sicherheit ohne Kanonen ... eine schöpferische Umgestaltung des mitteleuropäischen Raumes ist ein solcher Weg zu erhöhter Sicherheit.“ Mitteleuropa werde die Brücke zwischen West und Ost sein und auch den Ost-West-Schub bremsen, mit welcher Annahme sich Haucks Optimismus einigermaßen zur Utopie steigert.

Jede politische Zielbetrachtung kommt ohne Beziehungen auf die Geschichte nicht aus. Diese Beziehungen überzeugend darzulegen, gelingt Hauck nicht durchwegs. So stoßen wir auf die für die Deutschen geltende Verurteilung von Kriegen gegen Gleichnationale, ohne Hinweis darauf, daß

solche Kriege von 1740 bis 1866 ununterbrochen geführt worden sind. Wir lesen auch die Verurteilung des Bündnisses der Westmächte mit Rußland im zweiten Weltkrieg, trotzdem sich auch Hitler mit Rußland verbündet hatte. Auch für die ältere Geschichte wäre einiges zu berichtigen, so etwa, daß es vor 1871 kein „deutsches Kaiserreich“ und keine „deutschen Kaiser“ gegeben hat, daß der Limes nicht bei Kel-heim endete, sondern bis in die Dobru-dscha reichte, ferner daß die Geschichte vom Ost-West-Schub an sich richtig ist, daß es aber nicht bloß die Polen, Ungarn, Preußen und Napoleon waren, die Europa gegen den Osten schützten, sondern daß die ganze europäische Geschichte vorwiegend eine Abwehr gegen Anstürme aus dem Osten war

Für die Zukunft gibt es also keine Rezepte, denn die Zukunft ist nicht die einfache Verlängerung der Gegenwart. Ständigem, ganz unberechenbarem Wandel

unterliegen die geistigen Strömungen, die wirtschaftlichen Entwicklungen, die Rüstungslage, die innenpolitischen Wandlungen und das Auftreten eigenwilliger Staatsmänner, unausrottbar bleiben der nationale Egoismus, Geltungsdrang und Machtstreben: „Es geht um Macht, und nur um Macht“ (S. 48). Jede Politik, die den Krieg ausschließt, wird nichts anderes zu verfolgen haben, als die Feststellung, wann und wo die Umstände zur Erreichung ihrer Ziele zum risikolosen Sofortzugriff einladen, Rezepte mag sie studieren, doch hüte sie sich, ihnen zu verfallen.

„Endlösung Deutschland“ ist eine geistreiche politische Lektüre zum Gegenwartsgeschehen, der wahre Wert des mit zwanzig Karten und Schaubildern wohlausgestatteten Buches liegt jedoch darin, daß es ein nützliches und vollständiges Handbuch zur Deutschlandfrage darstellt, das jeder Politiker zu Rate ziehen sollte.

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