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Kein Grund zum Frohlocken

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Die Staatskanzleien der vier Siegermächte geteilten Stadt erhoffen. Mißtrauen ausr Erfah schließen die Akten: das Berlin-Abkommen ist rung ist vom Grundsatz her am Platz, perfekt. Was noch offen ist, muß zwischen den Inzwischen geht der Streit zwischen Regie- beiden deutschen Partnern ausgehandelt wer- rung und Opposition der Bundesrepublik dar- den. Doch niemand weiß, wie dieser Handel über weiter, wie die Regelung tatsächlich ein- zwischen Bonn und Pankow aussehen und ob zuschätzen ist. Eine Analyse tut also not: Was er den Berlinern jene Erleichterungen bringen war Berlin schon bisher — was wird die Stadt wird und kann, die sich die Menschen in der in Zukunft sein?

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Die Staatskanzleien der vier Siegermächte geteilten Stadt erhoffen. Mißtrauen ausr Erfah schließen die Akten: das Berlin-Abkommen ist rung ist vom Grundsatz her am Platz, perfekt. Was noch offen ist, muß zwischen den Inzwischen geht der Streit zwischen Regie- beiden deutschen Partnern ausgehandelt wer- rung und Opposition der Bundesrepublik dar- den. Doch niemand weiß, wie dieser Handel über weiter, wie die Regelung tatsächlich ein- zwischen Bonn und Pankow aussehen und ob zuschätzen ist. Eine Analyse tut also not: Was er den Berlinern jene Erleichterungen bringen war Berlin schon bisher — was wird die Stadt wird und kann, die sich die Menschen in der in Zukunft sein?

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Die Sonderstellung Berlins geht auf das Drei-Mächte-Protokoll vom 12T. September 1944 zurück, das die Besatzungszonen in Deutschland und die Verwaltung von „Groß-Berlin“ regelt. Nach Beitritt der Provisorischen Regierung der Französischen Republik heißt es dort in der Fassung vom 26. Juli 1945:

„Das Berliner Gebiet (unter welchem Ausdruck das Gebiet von ,Groß-Berlin“, wie im Gesetz vom 27. April 1920 definiert, zu verstehen ist) wird gemeinsam von den bewaffneten Streitkräften der Vereinigten Staaten, Großbritanniens, der UdSSR und der Französischen Republik, die durch die betreffenden Oberkommandierenden dazu bestimmt werden, besetzt. Zu diesem Zweck wird das Gebiet von .Groß- Berlin“ in vier Teile eingeteilt…“

Im Anschluß an die Londoner Konferenz wurden den elf Ministerpräsidenten der Länder der westlichen Besatzungszonen am 1. Juli 1948 die „Frankfurter Dokumente“ übergeben. Obwohl der Oberbürgermeister von „Groß-Berlin“ dort nicht ausdrücklich erwähnt ist, nahmen später Vertreter Berlins unter stillschweigender Duldung der Westmächte an den Beratungen zum Bonner Grundgesetz teil.

Das Grundgesetz selbst enthält hingegen drei Bestimmungen, in denen auf Berlin Bezug genommen wird, Art. 23, Art. 144, Abs. II, und Art. 145. Auf diesem Hintergrund ist deshalb die Frage bedeutsam: Ist Berlin als ein Land der Bundesrepublik Deutschland anzusehen?

Es wäre blanker Unfug, aus der Erwähnung von „Groß-Berlin“ in Art. 23 GG irgendwelche politischen Ansprüche herleiten zu wollen, so als habe diese Vorschrift expansiven oder gar aggressiven Charakter. Vielmehr folgt aus dem Zusammenhang zwischen dieser Bestimmung und Art. 144, Abs. II GG, eine Beschränkung Berlins an einer vollen Mitwirkung bei der Verfassungsgebung, nicht jedoch, daß auch die Verfassungsgeltung für Berlin und damit seine Zugehörigkeit oder Nichtzugehörigkeit zum Bund geregelt sein soll.

Doch kein Bundesland

Die entscheidende Schwierigkeit beruht hingegen darauf, daß klares deutsches Staatsrecht von alliiertem Besatzungsrecht überlagert und teilweise sogar verdrängt wird. Die Militärgouverneure haben nämlich in ihrem Schreiben vom 12. Mai 1949 den erwarteten Genehmigungsvorbehalt für Berlin ausgesprochen und dadurch ihrer Sonderverantwortung für „Groß-Berlin“ Rechnung getragen.

Aber nach und nach änderte sich die Ansicht über die rechtliche Bedeutung des alliierten Genehmigungsvorbehalts. Das Motto „Berlin ist nicht Danzig“ regierte die Stunde, und so kam es am 27. Mai 1957 zu dem gewichtigen Beschluß des Bundesverfassungsgerichts, dessen erster Leitsatz lapidar feststellt: „Berlin ist ein Land der Bundesrepublik Deutschland.“

Das Bundesverfassungsgericht legt den Wortlaut des Genehmigungsschreibens restriktiv aus und wendet Auslegung an: Maßgeblich ist nicht, was der Erklärende — subjektiv — mit seinen Worten meinte, sondern nur, was der Empfänger der Erklärung — „objektiv“ — darunter verstehen mußte. Man wird zugeben müssen, daß diese .Sicht.’ęler.lDinge der Tragweite des Problem* nicht voll gerecht wird. Ein Rest von Unbehagen bleibt zurück.

Das war aber kein Hindernis, daß Verwaltung und Justiz mehr und mehr dazu übergingen, die Hoheitsrechte des Bundes gegenüber Berlin auszudehnen. Es ist keineswegs übertrieben, festzustellen: Unter stillschweigender Duldung der Westmächte vollzog sich eine „schrittweise Einbeziehung Berlins in den Bund“ (Finkelnburg).

Diesen Bestrebungen kamen zwei Vorschriften der Berliner Verfassung vom 1. September 1950 entgegen, die Artikel 1 und 87.

In Art 1 heißt es:

„1. Berlin ist ein deutsches Land und zugleich eine Stadt.

2. Berlin ist ein Land der Bundesrepublik Deutschland.

3. Grundgesetz und Gesetze der Bundesrepublik Deutschland sind für Berlin bindend.“

Die Alliierte Kommandantur stellte jedoch in ihrem Schreiben BK/O (50) 75 anordnend fest: „Absätze 2 und 3 des Artikels 1 werden zurückgestellt.“ Davon unabhängig, wurde jedoch über Art. 87, Abs. I und II, die Möglichkeit einer sogenannten „Mantelgesetzgebung“ eröffnet, das heißt, Gesetze des Bundes werden unverändert auch vom Berliner Abgeordnetenhaus — freilich nach freiem Ermessen — im Wege des Feststellungsverfahrens als in Berlin geltendes Recht übernommen.

Aber auch das erwies sich nicht als ein unübersteigbares Hindernis, um die Eingliederung Berlins in den Bund vorzunehmen. So kam es bereits am 4. Jänner 1952 zum Gesetz „über die Stellung des Landes Berlin im Finanzierungssystem des Bundes".

Vor Jahren ist jedoch eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ergangen, die sogar noch einen Schritt weitergeht. Danach erstreckt sich die Jurisdiktionsgewalt dieses Gerichts auch auf eine „Berliner Sache“, wenn „Grundrechtsverstöße im Verfahren des oberen Bundesgerichts oder bei der Anwendung von Bundesrecht im Wege der Verfassungsbeschwerde“ gerügt werden.

Derartige Auslegungen gingen nun den Westmächten zu wert. In einem Schreiben vom 24. Mai 1967 an den Regierenden Bürgermeister von Berlin und den Präsidenten des Abgeordnetenhauses wiederholt daher die Alliierte Kommandantur (seit 1948 nur noch von diesen drei Mächten dargestellt) ihren Vorbehalt vom 12. Mai 1945: Es entspricht nach wie vor der Absicht und der Auffassung der Alliierten, daß Berlin nicht als ein Land der Bundesrepublik anzusehen und auch nicht durch den Bund zu regieren ist. Außerdem ist und bleibt es die Absicht und die Auffassung der Alliierten, daß Berliner Gesetze, durch die bundesrechtliche Bestimmungen übernommen werden, gesetzgebende Handlungen des Abgeordnetenhauses von Berlin darstellen und sich in rechtlicher Hinsicht von den betreffenden Bundesgesetzen unterscheiden.“

Entscheidend ist nach verbreiteter Ansicht in diesem Zusammenhang, daß die Alliierte Kommandantur am Ende dieses Schreibens nicht etwa die gesamte Gesetzgebungspraxis des Bundes für null und nichtig erklärt, sondern lediglich bemerkt: „Die alliierte Kommandatur ersucht Sie, sicherzustellen, daß, sollte sich für den Senat oder das Abgeordnetenhaus die Gelegenheit ergeben, dem Bundesverfassungsgericht Stellungnahmen zu unterbreiten, solche Stellungsnahmen dem Inhalt dieses

Schreibens Rechnung tragen.“

Das ist im Grunde genommen nicht mehr als eine rechtlich unverbindliche Empfehlung, bei zukünftigen Streitigkeiten schriftsätzlich gegenüber dem Bundesverfassungsgericht den Rechtsstandpunkt dieses Schreibens zu vertreten. Mehr läßt sich diesen Worten kaum entnehmen. Anderseits muß man jedoch festhalten, daß dadurch der zwiespältige Charakter zwischen der besatzungsrechtlichen Stellung Berlins und seiner politisch-rechtlichen im Verhältnis zu Bonn wieder offener alszuvor zutage getreten ist.

Kapitulation vor den Sowjets?

Eine der ganz entscheidenden Fragen, die das jetzt unterzeichnete Viermächteabkommen über West- Berlin aufgeworfen hat, betrifft das Rechtsverhältnis zwischen Berlin und dem Bund. Hat sich die Sowjetunion dem Standpunkt der drei Westmächte angeschlossen? Oder haben die Westmächte — und damit auch Bonn — vor den Forderungen der Sowjetunion kapituliert?

Der maßgebliche Abschnitt betreffend die „Bindungen" ‘ West- Berlins zum Bund findet sich in Anlage II, Ziffer 1 und 2: „In Ausübung ihrer Rechte und Verantwortlichkeiten erklären sie, daß die Bindung zwischen den Westsektoren Berlins und der Bundesrepublik Deutschland aufrechterhalten und entwickelt werden, wobei sie berücksichtigen, daß diese Sektoren so wie bisher kein Bestandteil (konstitutiver Teil) der Bundesrepublik Deutschland sind und auch weiterhin nicht von ihr regiert werden. Die Bestimmungen des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland und der in den Westsektoren Berlins in Kraft befindlichen Verfassung, die zu dem Vorstehenden in Widerspruch stehen, sind suspendiert worden und auch weiterhin nicht in Kraft.

Der Bundespräsident, die Bundesregierung, die Bundesverfassung, der Bundesrat und der Bundestag, einschließlich ihrer Ausschüsse und Fraktionen, sowie sonstige staatliche Organe der Bundesrepublik Deutschland werden in den Westsektoren Berlins keine Verfassungs- oder Amtsakte vornehmen, die im Widerspruch zu Absatz 1 stehen.“

Eine Beurteilung des in diesem Abkommen somit Erreichten kann jedoch nur erfolgen, wenn die Rechtsstellung Berlins zum Bund an Hand der wesentlichen politischen und rechtlichen Daten rekapituliert wird:

Faßt man zusammen und vergleicht man den eingangs zitierten Text des Viermächteabkommens mit der bisherigen Rechtslage, so muß man feststellen: Die Westmächte haben, rein formal gesehen, an ihren früheren Vorbehalten festgehalten. Sie haben aber, materiell betrachtet, nicht erreicht, die Sowjetunion von der Richtigkeit ihrer Rechtsüberzeugung, wie sie auf Grund ihrer stillschweigenden Duldung der staatsrechtlichen Entwicklung im Verhält-

nis Berlins zum Bund als Land der Bundesrepublik gewachsen war, zu überzeugen und durchzusetzen. Das wiegt schwer.

Auf der anderen Seite sollte jedoch nicht übersehen werden, daß die Sowjetunion die „Bindungen“ der Westsektoren Berlins an den Bund zum erstenmal förmlich anerkannt und versprochen hat, diese in Zukunft zu fördern. Das ist gewiß ein nicht unbedeutendes Zugeständnis, dem aber der Westen dadurch entgegengekommen ist, daß er der Errichtung eines sowjetischen Generalkonsulats in West-Berlin zugestimmt hat.

Entscheidend fragt es sich jedoch, ob das Rechtsverhältnis zwischen Berlin und dem Bund, wie die Bundesregierung meint, infolge der getroffenen Viermächtevereinbarung für die Zukunft „außer Streit“ ist. Das muß füglich bezweifelt werden. Denn die Begriffe, die in Anlage II, Ziffer 1 und 2 verwendet werden, sind alles andere als klar und eindeutig, Sie geben der Auslegung freien Spielraum, und das hat noch in keinem Fall die Rechtssicherheit zwischen vertragsschließenden Parteien gefördert. Was sind zum Beispiel: „Verfassungs- und Amtsakte“, die in Berlin nicht erlaubt sind? Fallen darunter etwa auch die Entscheidungen des in Berlin ansässigen Bundesverwaltungsgerichts, das naci Artikel 96 des Grundgesetzes auch für Berlin örtlich zuständig ist? Ferner: Was besagt der nicht klare Begriff „sonstige staatliche Organe", die in Berlin nicht tätig werden dürfen’

Es ist bezeichnend, daß die Westmächte in einer Note an den sowjetischen Botschafter festgelegt haben daß sie eine bestimmte Auslegung dieser Begrffe für richtig halten Dabei haben sie eine sehr enge Umschreibung dieser Begriffe gewählt um wenigstens in etwa der bisherigen politischen und staatsrechtlicher Auffassung und Praxis entgegenzukommen. So verstehen sie untei „Verfassungs- oder Amtsakten“ „Akte in Ausübung unmittelbare: Staatsgewalt über die Westsektorer Berlins“. Unter „staatlicher Organen“ verstehen sie im einzelner „den Bundespräsidenten, den Bundeskanzler, das Bundeskabinett, die Bundesminister und die Bundesministerien, den Bundesrat und der Bundestag sowie alle Bundesgerichte“.

Man wird abwarten müssen welche Rechtsansicht sich in Zukunfl durchsetzen wird. Es ist jedenfalls kein Grund zum Frohlocken, weil es sich bei dieser Note um einen sogenannten völkerrechtlichen, einseitigen Vorbehalt handelt. Dadurch gib1 eine Partei der anderen zu verstehen, daß sie eine bestimmte Auslegung der getroffenen Vereinbarung für richtig hält und andere, entgegengesetzte oder abweichende Auslegungen ablehnt. Zugrunde liegt demnach ein Dissens zwischen den Vertragsparteien. Dieser erhält dadurch noch eine gewisse Brisanz, daß die Sowjetunion diese Note nur stillschweigend zur Kenntnis genommen, nicht aber, ihr zugestimmt hat. Es geht deshalb nicht zu weit, in diesem entscheidenden Punkt, der Festlegung des Rechtsverhältnisses zwischen Berlin und dem Bund, keine Rechtsfrage mehr zu sehen, sondern eine Machtfrage, die politisch zu beantworten ist. Die Bundesregierung irrt: Diese Frage ist keineswegs „außer Streit“. Im Gegenteil, Moskau hat einen wichtigen Punkt zum Sieg errungen.

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