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Das Grundgesetz hat gesiegt

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Seit Dienstag voriger Woche Kai Deutschland neben der D-Mark-Auf- wertung auch eine innenpolitische Sensation: Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe hat die im Sommer vergangenen Jahres vom Bundeskanzler ins Leben gerufene deutsche Fernseh-GmbH. schlicht und einfach als verfassungswidrig erklärt; das Verhalten des deutschen Bundeskanzlers als Verstoß gegen den Grundsatz „bundesfreundlichen Verhaltens” bezeichnet und die eigentümliche Tätigkeit des Bundesjustizministers Fritz Schaffer, der als nicht bestellter und nicht anerkannter Treuhänder der deutschen Länder auftrat, in jene ominösen Anführungszeichen („Treuhänder”) gesetzt, die dem juristischen Charakter dieser Tätigkeit gerechter als viele Worte werden. Damit ist etwas eingetreten, was zwar manche prophezeiten, woran aber niemand glauben wollte: Das Bundesverfassungsgericht hat sich voll und ganz hinter das Grundgesetz gestellt. Wer die Neigungen in Bonn kennt, mit diesem Grundgesetz zu manipulieren, wird dieses Ereignis in seiner Bedeutung gar nicht hoch genug einschätzen können.

Das Objekt, an dem sich der Streit entzündete, das zweite deutsche Fernsehprogramm, wäre diese Aufregung nicht wert gewesen. Man muß überhaupt einen Augenblick nachdenken, weshalb es dazu kam. Nach dem Grundgesetz liegt die Kulturhoheit und damit auch die Hoheit über die Rundfunk- und Fernsehanstalten bei den Ländern. Es war seit langem der Wunsch der Bundesregierung, mit mehr oder weniger gewichtigen oder fadenscheinigen Gründen sowohl die Rundfunkanstalten wie auch ein zweites Fernsehprogramm in ihre Hand zu bekommen. Auch die Länder haben ihre Rundfunk- und Fernsehanstalten nicht in eigener Regie, sondern sie unterstehen Gremien, die aus Politikern und Männern aus verschiedenen Berufsorganisationen zusammengesetzt sind. Der Vorstoß der Bundesregierung zielte also auf zwei Veränderungen: einmal Durchlöcherung des föderalistischen Prinzips und zum zweiten auf die Einführung eines Staatsrundfunks, was bisher in Deutschland als gegen das Grundrecht der freien Meinungsäußerung verstoßend erachtet wurde. Unter dem massiven Druck des Bundeskanzlers kündigte sich bereits eine Lösung an, als sich Bundeskanzler Adenauer am 25. Juli I960 überraschend entschloß, die „Deutschland- Fernseh-GmbH.” zu gründen. Sie sollte von Bund und Ländern gemeinsam getragen werden. Bundesjustizminister Fritz Schaffer übernahm die bedenkliche, durch keine Legitimation ausgewiesene Rolle eines „Treuhänders der Länder”. Seine Versuche, eine nachträgliche Anerkennung dieser Rolle zu erhalten, scheiterten. Aber unter dem Druck von Bonn fing die Front der Länder langsam zu zerbröckeln an. und der Versuch, die von der CDU/CSU regierten Länder zu einem Abschluß mit Bonn zu bringen, zwang schließlich die von der SPD regierten Länder dazu, das Bundesverfassungsgericht anzurufen. Daß heute die SPD als Verfassungshüter und als Siever dasteht, verdankt die CDU/CSU ihrer Linientreue gegenüber dem in diesem Fall schlecht beratenen „alten Herrn”. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes, das gerade diese Taktik als „mit dem bundesfreundlichen Verhalten schlechthin unvereinbar” be- zeichnete, würde heute als ein Sieg des echten, subsidiären Föderalismus und nicht als SPD-Sieg dastehen, wenn sich die CDU/CSU-Länderchefs etwas früher ihrer verfassungsrechtlichen Pflichten erinnert hätten!

Wer hat das bestellt?

Während der Streit noch schwelte, begann in Frankfurt die Deutschland- Fernseh-GmbH. unbekümmert um die juristische Grundlage auf Grund eines Auftrages der Bundesregierung (!) zu produzieren. Mit Phantasiegehäl- tem wurden von den Fernsehgesellschaften Fachkräfte abgeworben, ein Stab von Männern erging sich in Betriebsamkeit, deren hervorstechendste Eigenschaft das in manchen Gegenden Deutschlands so geschätzte Besserwissen war. Ein Programm wurde gezimmert, das alles in den Schatten stellen sollte, aber bei ersten Probevorführungen zeigte, daß es mehrere Jahre hinter dem Niveau der Länderanstalten zurück war. Das alles geschah mit einem Aufwand, daß heute den Passiven von zirka 130 bis 140 Millionen Mark fertige Programme im Wert von zirka 30 bis 40 Millionen gegenüberstehen. Der Rest ist Schweigen, und die Bundesregierung, die den Auftrag dazu gegeben hatte, sieht sich der angenehmen Aufgabe gegenüber, ein sich gewiß noch um 10 Millionen erhöhendes Defizit (den Angestellten der GmbH, ist noch nicht gekündigt!) von schätzungsweise 100 Millionen aus dem Bundesetat ausgleichen zu müssen.

Das alles ist ohne Zweifel mit einem erheblichen Verlust an Autorität verbunden, der im Wahljahr be sonders schmerzt! Anderseits sind aber für die Gesamtentwicklung die Aktiven nicht zu übersehen. Das Bundesverfassungsgericht hat mit Schärfe sowohl die föderalistische Struktur des Bundes wie dessen Grundgesetz gegen alle unbefugten Angriffe verteidigt. Diese Tatsache kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Das war in Deutschland nicht immer so. Als 1932 Reichspräsident Hindenburg, durch den leichtfertigen Franz von Papen beraten, die Weimarer Verfassung durch Absetzen der verfassungsmäßigen Preußenregierung zerstörte, ging dieser Streit auch vor den damaligen Staatsgerichtshof. Das höchste deutsche Gericht beugte sich aber damals der Staatsräson und ließ den Verfassungsbruch ungesühnt. Dies geschah mit Rücksicht auf den 85iähri- gen Reichspräsidenten, was wiederum Papen zugute kam. Auch heute sollte man das Augenmerk weniger auf den 85jährigen Kanzler als auf seine Berater in Verfassungsdingen richten, die ihn in diese Lage brachten. Da wären in erster Linie Bundesinnenminister Gerhard Schröder, Bundesjustizminister Fritz Schaffer und Bundespostminister Stücklen zu nennen. Es kann einem Minister, dessen vernehmlichste Aufgabe die Hütung der Verfassung ist, kaum etwas noch Peinlicheres widerfahren, als daß eine von ihm in der Öffentlichkeit mit fadenscheinigen Argumenten vertretene und von ihm dem Bundeskanzler angeratene Aktion vom Verfassungsgericht als verfassungswidrig erklärt wird. Schröders Verhalten in letzter Zeit bei der Vorlage des Notstandsgesetzes und des Gesetzentwurfes zur Beschränkung der Einreisen aus der Ostzone, die er beide unter bewußter Herausforderung der Opposition dem Bundestag vorlegte und die beide selbst in der eigenen Partei Widerstand hervorriefen, ist durch den Gerichtsspruch erneut desavouiert. Unter normalen Umständen wäre sein Rücktritt kaum noch zu vermeiden. Das gilt, auch für Schaffer und Stücklen, dessen Kündigung der Lizenzen der Länd.erfernsehanstalten im letzten Herbst bedenklich einer Erpressung ähnelte und einen besonders gehässigen Ton in die unschöne Auseinandersetzung brachte.

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