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Die Bonner Republik

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Aus kränklichen Kindern werden oft alte Leute. Die Republik von Weimar trat in ihren Anfängen mit säkularen Ansprüchen auf und sank mit vierzehn Jahren in ihrer Sünden Maienblüte ins Grab der Diktatur. Die Republik von Bonn ist ein sehr zartes und kränkliches Kind — ob sie Aussichten auf ein hohes Alter hat? Man ist versucht, an die Dritte französische Republik zu denken, die es zunächst nicht einmal zum Namen und niemals zur Verfassung gebracht hat und doch manchen Sturm überlebte, ja in der „Vierten" Republik nochmals auferstanden ist und erst jetzt am Ende ihrer Kräfte zu sein scheint. Was die deutschen Länderdeputierten, der „Interparlamentarische Rat“, in Bonn zusammenbosseln, stößt vorläufig beim deutschen Volke, soweit dessen Meinungen sich überhaupt erkennen lassen, auf wenig Beifall, auf wenig Ablehnung und auf ein Übermaß an Gleichgültigkeit. Die Besatzungsmächte haben wieder wie bei den Länderverfassungen ihr Erstaunen darüber ausgesprochen, daß die Öffentlichkeit so geringe Teilnahme an der Diskussion zeige. Man ist in den Kanzleien der Besatzungsmächte ohne rechte Vorstellung von der seelischen Lage des besetzten Landes und von dem, was die Deutschen interessiert oder nicht interessiert. Die Verfassung interessiert sie nicht. Die Währung, der Lastenausgleich, die Verbrauchssteuern und die aus ihnen sich ergebenden Preise, die Genehmigung der Kakaoeinfuhr oder der immer wieder erfolgende Widerruf dieser Genehmigung, die Auswanderung der DP.s und der endliche Abschluß der Entnazifizierung, der Demontagenstopp und das Schicksal der Flüchtlinge, das sind die Themen, mit denen sich die deutsche Öffentlichkeit beschäftigt und absorgt. Aber all das können die deutschen Länder und kann der Deutsche Bund nicht lösen. In all diesen Fragen ist bei den Besatzungsmächten das entscheidende Wort, und leider nicht selten eines, das den Deutschen mißfällt.

In Bonn baut man also abseits von allem, was das deutsche Volk in Wahrheit bewegt, einen deutschen Staat. Wie dies geschieht, zeigt sich schon an der Firmierung. Die Versammlung von Herrenchiemsee, ein Vorparlament aus Experten, das hinter verschlossenen Türen sachlich gearbeitet hatte, war zu dem Vorschlag „Bund deutscher Länder" und zu einem föderalistischen Staats- gerüst gelangt. In Bonn wurden die Föderalisten überrannt, zum Teil wohl auch deshalb, weil der deutsche Föderalismus von 1948 manchenorts nur eine falsche Bezeichnung für den Länderpatriotismus ist und weil nicht wenige Föderalisten von dem Wesen des Föderalismus nur eine mystisch unbestimmte Vorstellung haben. Nun sdilug also die CDU — nördlich des Mains aus vorwiegend deutschnationalen Reservoirs gespeist — die Benennung „Reich“ vor. Die zentralistischen und unitarischen Sozialdemokraten wollten plötzlich „Bund“, was ein Widerspruch zu ihrem Programm war, und Ijfide einigten sich auf die lediglich von den Kommunisten vorgeschlagene Benennung „Republik“.

Statt des Bundes deutscher Länder oder des Deutschen Bundes wird es also eine . wirkliche Selbstverwaltungskörper mit gewählten Kreistagen und Kreishauptleuten würden.

Man wird in Bonn auch in der Frage der zweiten Kammer voraussichtlich weder zu einem Länderrat noch zu einem Senat gelangen, sondern zu einem ähnlichen Kompromiß wie in der Namensfrage, und man wird sich am Ende wieder für ein starres Verhältniswahlrecht entscheiden, an dem jede Demokratie über kurz oder lang blutleer wird. Ob die Volksabstimmung eine Mehrheit für diese Verfassung ergeben wird? Wenn sie den politischen Instinkt der Franzosen hätte — von dem Common sense der Angelsachsen zu schweigen — würde sie mit Nein stimmen, wie es die Franzosen 1946 taten, als sie wahrnahmen, daß ihnen eine Diktatur der Parteien aufgewälzt werden sollte. Da aber zu besorgen ist, daß sie den Instinkt der Franzosen nicht hat, wird sie also mit Ja stimmen und mit dieser scheinföderalistischen zentralistischen Republik ihrer künftigen Außenpolitik eine teure Hypothek auflasten. Carlo Schmidt, dieser Mann der Linken, der für die Ausstattung des neuen Deutschlands mit Andenken an das vorige Jahrhundert vor allem verantwortlich ist, hat geäußert, man müsse die Verfassung vor Ende November unter Dach bringen, da man mit einem Regime de Gaulle rechnen müsse, das sich in die deutschen Dinge einschalten würde. Nun ist es wohl ebenso sicher, daß die Rettung Europas von einer endgültigen Bereinigung des deutschfranzösischen Verhältnisses abhängt. Geradezu planmäßig ein schlechtes deutsch-französisches Verhältnis vorzubereiten, wie es die Bonner Jakobiner tun, heißt daher, Deutschlands künftige Lage erschweren, Europas Einigung zu hemmen, dem Bolschewismus Vorschub leisten.

Gibt es also in Deutschland nur Fatalisten, die sich am Staate desinteressiert haben, und Katastrophenpolitiker? Gewiß nicht. Es gibt viel guten Willen, ernste Arbeit, Einsicht und zarte Keime eines neuen Lebens. Aber es ist schwer, sie im Dickicht einer vorgestrigen und heillos verwachsenen Parteipolitik, sie unter dem üppig wuchernden Unkraut des bürokratischen Apparats, sie hinter der täuschenden Wand einer fehlgelenkten Publizistik und Literatur zu finden.

„Republik Deutschland“ geben. Im übrigen wird die Verfassung aus Restbeständen des westeuropäischen Liberalismus zusammengenäht. Um einen Staat zu schaffen, der dem Entwicklungsstand von Kultur, Gesellschaft und Wirtschaft des 20. Jahrhunderts gemäß ist, lebt man von dem, was 1791 neu, 1830 aktuell, 1848 schon ein wenig unmodern und 1919 ein Mottenfraß war. Von dem deutschen Föderalismus, den die Sieger 1945 gefordert, den sie dann mit der Byrnes-Rede in Stuttgart und der eifrigen Förderung der SPD selbst geschwächt und endlich so gut wie ganz aufgegeben haben, ist nun tatsächlich nichts übriggeblieben als der kostspielige Apparat von elf Landtagen und Regierungen. Da man so nur die Schattenseiten des Föderalismus kennenlernen wird, ist abzusehen, wann die von Moskau genährte, von den Nationalsozialisten geförderte, von den Sozialdemokraten und Liberalen begrüßte Bewegung zu einem rein zentralistischen Einheitsstaat Deutschland endgültig obsiegt haben wird. Nur eine Partei scheint dies — was immer man sonst gegen sie einwenden mag — erkannt zu haben: die Bayernpartei. Sie hat als einzige ein wirklich föderalistisches Programm, das den Staat von unten nach oben bauen und für die Untergliederung der deutschen Länder das österreichisdie Beispiel übernehmen will, so daß die Regierungsbezirke wie die österreichischen Bundesländer

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